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Der Kreml bewegt Lukaschenko zu einer Verfassungsreform


Die Führung der Russischen Föderation erinnert Alexander Lukaschenko daran, dass man die Sotschi-Vereinbarungen erfüllen müsse. Dabei stellt die Öffentlichkeit über deren Inhalt nur Vermutungen an. Experten sind der Annahme, dass Moskau Lukaschenko zu einem Machttransit bewege und plane, eine vertiefte Integration mit dem neuen Staatsoberhaupt zu erörtern.

Am Donnerstag besuchte der russische Außenminister Sergej Lawrow Minsk. Er traf sich mit Alexander Lukaschenko, nahm an einer Kollegiumssitzung der Außenministerien beider Länder teil und sprach zusammen mit dem weißrussischen Amtskollegen Wladimir Makej zu deren Ergebnissen mit Journalisten. Offiziell wurden als die Hauptthemen der Gespräche von Lawrow und Lukaschenko die Handels- und Wirtschaftskooperation, die Zusammenarbeit im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion, aktuelle Fragen der GUS und das Zusammenwirken im Rahmen der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrages genannt.

Jedoch sei es unmöglich, wie am Vorabend Experten betonten, die Fragen des äußeren Friedens ohne eine Regelung der tiefen innenpolitischen Krise, die in Weißrussland entstanden ist, zu lösen. Sie hegten keinen Zweifel daran, dass gerade diese Frage zur wichtigsten bei den Gesprächen werde. „(Er) wird eine erneute Warnung von Putin mitbringen. Eine hatte bereits der Chef der Auslandsaufklärung Sergej Naryschkin mitgebracht. Jetzt bringt Lawrow eine. Die letzte chinesische Warnung“, sagte der Politologe Valerij Karbalewitsch der „NG“ am Vorabend.

„All meine Erwartungen und Prognosen haben sich bestätigt“, kommentierte der Experte für die „NG“ die Erklärungen, die im Besuchsverlauf abgegeben wurden. „Das wichtigste war die Anmerkung Lawrows, dass man alle Vereinbarungen erfüllen muss“, sagte er.

In der Tat, die erste Worte von Sergej Lawrow beim Treffen mit Alexander Lukaschenko bestätigten die Prognose des Experten. „Vor allem die Grüße von Wladimir Wladimirowitsch. Er hat alles bestätigt, worüber Sie sich mit ihm zuvor geeinigt hatten, und insbesondere Ihre Vereinbarungen, die in Sotschi während Ihres Besuches erzielt worden waren. Sie haben eine ganze Reihe von Initiativen unterbreitet, die, wie ich meine, sehr wichtig für die weißrussische Gesellschaft sind. Präsident Putin hat mehrfach unterstrichen, dass wir daran interessiert sind, dass diese Initiativen umgesetzt werden. Wenn wir etwas zu ihrer Unterstützung tun können, so sind wir stets dafür offen“, sagte der russische Außenminister.

Diese Vereinbarungen und Initiativen sind offiziell nicht artikuliert worden. Doch auf der Grundlage von Insider-Informationen und öffentlicher Äußerungen offizieller Vertreter stellten Experten die Vermutung an, dass Alexander Lukaschenko, der in eine schwierige Lage geraten ist, Wladimir Putin eine „vertiefte Integration“ und einen nichtrevolutionären Machttransit zugesagt habe. In der seit dem Sotschi-Treffen verstrichenen Zeit war aus Moskau mehrfach zu vernehmen, dass man dort die Pläne Weißrusslands billige, eine Verfassungsreform durchzuführen. Und nach ihr — neue Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Wladimir Putin persönlich hatte behauptet, dass sich Alexander Lukaschenko nicht an die Macht klammere und bereit sei, nach Durchführung der Reform abzutreten. Das weißrussische Staatsoberhaupt hat jedoch selbst nicht einmal solche Absichten bekräftigt. „Es ist offensichtlich, dass Lukaschenko milde die Vereinbarungen torpediert, die in Sotschi mit Putin erzielt wurden. … Er erfüllt nicht den versprochenen Zeitplan für den Machttransit, den er Putin zugesagt hatte“, meint Valerij Karbalewitsch.

Die Erinnerung an die Verfassungsreform erklang erneut während des Minsk-Besuch von Lawrow. „Wir sind natürlich interessiert, dass die Situation (in Weißrussland – die „NG“) eine ruhige, eine stabile ist. Und unserer Auffassung nach wird dies die auf Initiative der Landesführung begonnene Verfassungsreform als eine wichtige Etappe der Vervollkommnung und Umgestaltung des politischen, Wirtschafts- und Rechtssystems, wie dies proklamiert worden war, fördern“, sagte er während eines Briefings nach Abschluss der Kollegiumssitzung.

Sergej Lawrow widersprach einigen Statements der Anführer der Protestierenden, in denen behauptet worden war, dass Moskau mit ihnen Verhandlungen führe. „Dies ist eine vollkommene Lüge. Und charakterisiert ein weiteres Mal jene, die versuchen, als ausländische Kostgänger irgendeine unklare Karriere zu machen“, sagte er als Antwort auf die Frage nach dem Bestehen solcher Kontakte.

Am Vorabend hatten Experten ebenfalls angenommen, dass man im Kreml nicht einverstanden sei, die Variante eines revolutionären Machtwechsels zu unterstützen, um den Bürgern keinen Anlass zu geben, darüber als einen möglichen nachzudenken. In Minsk wurden gleichfalls die Meinungen bekundet, dass Russland nicht anfangen werde. mit dem Westen bei der Ausübung von Druck auf Lukaschenko zu kooperieren, obgleich es dies androhen könne. „Russland betrachtet Belarus als seine Einflusssphäre, als seine „Parzelle“ und wird nicht anfangen, diesbezüglich mit dem Westen zusammenzuarbeiten“, meint Valerij Karbalewitsch. Der Experte ist davon überzeugt, dass Russland weiter Lukaschenko zu einer Verfassungsreform schubsen werde, zu einem Übergang zu einer Abstimmung mit Parteilisten, was erlauben werde, im Land prorussische Kräfte zu schaffen und eine den russischen Interessen loyale Politik zu verfolgen.

Einen interessanten Gedanken äußerte der ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts Michail Pastuchow. Er vermutet, dass Moskau Lukaschenko zwingen werde, sich mit den Gegnern an einen Verhandlungstisch zu setzen. Dies würden aber nicht die Anführer der Proteste – Swetlana Tichanowskaja und Pawel Latuschko – sein, sondern beispielsweise der Ex-Chef der Belgazprombank Viktor Babariko, der es nicht geschafft hat, sich durch eine Teilnahme an den revolutionären Ereignissen zu beflecken, der Jurist Maxim Znak, der stets aufrief, im Rahmen des Rechts zu handeln, und Maria Kolesnikowa. „Ich kann vermuten, dass sie in Bälde schon auf freiem Fuß sein werden und die derzeitigen Herrschenden beginnen werden, gehorsam ihre politischen Forderungen, unter anderem hinsichtlich einer Beendigung der Repressalien, der Freilassung der politischen Gefangenen sowie der Einleitung von Strafverfahren gegen die Vertreter der bewaffneten Organe zu erfüllen. Einen anderen Ausweg aus der entstandenen Situation gibt es für Lukaschenko einfach nicht. Und Russland fordert von ihm Zugeständnisse“, meint Michail Pastuchow.

Hinsichtlich möglicher Vereinbarungen über eine Vertiefung der Integration haben die Experten weitaus weniger Versionen. Offizielle Informationen gibt es dazu keine. Einige Analytiker schließen nicht aus, dass Russland nach wie vor auf die Unterzeichnung der „Roadmaps“ bestehen werde, die Experten ein ganzes Jahr lang diskutiert hatten. Die Erörterung endete mit der Erklärung Lukaschenkos, dass die Unterzeichnung der „Roadmaps“ einen Verlust der Unabhängigkeit bedeuten könne. Und er sei damit nicht einverstanden. Andere sind der Annahme, dass sich die russische Führung nicht mit der Unterzeichnung von Abkommen mit dem „toxischen“ Lukaschenko beflecken werde.

Beim Treffen mit Lawrow erklärte der verstörte Lukaschenko, dass „eine Verstärkung der Intensivierung unserer Beziehungen“ notwendig sei. „Ich möchte, dass Sie verstehen und wissen, dass wir dazu bereit sind… Wir hätten gern nicht einfach gutnachbarschaftliche Beziehungen. Wir hätten gern sehr nahe, brüderliche Beziehungen mit der Russischen Föderation“, sagte er. Wobei Lukaschenko Sergej Lawrow versicherte, dass er stets solch eine Meinung vertreten hätte. „Man hat mich einfach nicht immer vernommen und wollte dies unterstreichen und wiederholen, besonders in Russland. … Augenscheinlich war dies für irgendwen nicht vorteilhaft. Die Zeit hat gezeigt, dass wir um sehr enge und freundschaftliche Beziehungen nicht umhinkommen“, konstatierte Lukaschenko.

Die Führer der weißrussischen Proteste haben die russische Seite bereits gewarnt, dass es keinen Sinn mache, mit dem illegitimen Lukaschenko Verträge abzuschließen. „Was im Alexander Lukaschenko vereinbaren mag, er hat die Unterstützung des weißrussischen Volkes verloren. Und dies bedeutet, all seine Vereinbarungen und Verträge werden durch die neue Regierung revidiert und annulliert“, erklärte Swetlana Tichanowskaja. „Hinsichtlich der Ergebnisse des Treffens in Sotschi hat das weißrussische Volk keine Informationen erhalten. Und heute stellt sich heraus, dass Lukaschenko etwas versprochen hat und erfüllen muss. Jegliche separate Vereinbarung wird keine Gültigkeit besitzen“, warnte Pawel Latuschko.

Valerij Karbalewitsch ist der Auffassung, dass Russland die Fragen schrittweise lösen werde: „Zuerst der Machttransit, danach eine vertiefte Integration. … Die Unterzeichnung der Abkommen, die die Souveränität Weißrusslands in Zweifel zogen, können ein neues Aufflammen von Unmut auslösen zu noch einem Trigger der Proteste werden. Daher forciert Moskau diese Richtung nicht“, betonte er.

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Auf die Ereignisse in Minsk haben auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle reagiert. „Aus Minsk kommen Signale, wonach Moskau von Lukaschenko eine schnellstmögliche Durchführung von Verfassungsreformen und vorgezogene Präsidentschaftswahlen fordern könne. Derartige ultimative Forderungen von der russischen Seite könnte es geben, wenn Russland die Funktionen des Koordinierungsrates der weißrussischen Opposition übernommen hätte“, schreibt „Meister“. „Jedoch ist dem offensichtlich nicht so… Es ist Zeit, sich methodisch und ohne Tricks mit den dringenden Wirtschafts- und Integrationsfragen des Unionsstaates zu befassen. Russland hat ihm (Alexander Lukaschenko – „NG“) in der letzten Zeit erhebliche Unterstützung geleistet. Und daher sieht die Möglichkeit von Forderungen nach seinem schnellstmöglichen Abtritt zumindest unlogisch aus. Er wird natürlich abtreten, und Russland wird nicht dagegen sein. Aber nicht, solange er die Situation im Land stabilisieren, die Mechanismen für eine legitime Machtübergabe sichern und einen richtigen Vektor für die Entwicklung des Unionsstaates vorgeben kann“