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An den QR-Codes scheiden sich im Moskauer Patriarchat die Geister


Im Moskauer Patriarchat herrscht keine Einigkeit bezüglich des Gesetzentwurfs über die Verwendung von QR-Codes an öffentlichen Orten und in einigen Arten des Transportwesens, der durch die russische Regierung in die Staatsduma (das Unterhaus des Landesparlaments – Anmerkung der Redaktion) eingebracht wurde und bis einschließlich 14. Dezember in den Regionen diskutiert wird. Geplant ist, dass die Normen des Gesetzes, denen entsprechend die Bürger ab 1. Februar des kommenden Jahres nur bei Vorlage entweder eines QR-Codes nach einer Impfung gegen COVID-19 oder eines Dokuments, das bestätigt, dass man am Coronavirus erkrankt gewesen war, oder eines medizinischen Bescheids bezüglich dessen, dass eine Vakzinierung unmöglich ist, öffentliche Orte besuchen und die Verkehrsmittel nutzen können. Und gelten werden sie bis zum 1. Juni 2022. Dabei erklärte die russische Vizeregierungschefin Tatjana Golikowa, dass das Zertifikat, das die Vakzinierung gegen das Coronavirus bestätigt, „zu genau solch einem wichtigen Dokument im Leben unserer Bürger wie der Pass werden muss“.

In der Russischen orthodoxen Kirche hat die Meinung der stellvertretenden Premierministerin Kritik ausgelöst. „Es erfolgt ein Kampf nicht um die Vakzinierung, sondern um eine Kodifizierung. Irgendwann werden wir entsprechend einem digitalen Passierschein in den Hausflur geraten. Und das Vakzin spielt da keine Rolle“, merkte der stellvertretende Verwaltungschef der Moskauer Patriarchie, Bischof Sawwa (Tutunow) in seinem Telegram-Kanal an. „Ein QR-Code ist vor allem eine Technologie zur totalen Kontrolle und die Möglichkeit für allumfassende Einschränkungen. Der QR-Code wird, wenn seine Nutzung nicht durch eine zeitweilige sanitäre Aufgabe beschränkt wird, zu einer Technologie der Kontrolle und Einschränkung in den Händen politischer und über der Politik stehender Akteure, aber auch größer Konzerne und Öko-Systeme. Der QR-Code als eine Technologie zur Kontrolle sichert einen breiten Zugang jener, die die Datenbank der Klicks zum Scannen von Codes, zu den Informationen über die Menschen sowie über deren Entscheidungen und Neigungen kontrollieren werden. Dies erlaubt in der Perspektive, umfangreiche Daten über buchstäblich jeden Schritt des Menschen zu sammeln. Die Technologie zur Kontrolle erweitert die Möglichkeiten für ein Modellieren des gesellschaftlichen Verhaltens. Der QR-Code als eine Technologie zur Einschränkung erweitert wesentlich die Möglichkeiten, um den Menschen Verhaltensweisen oder Verbote für die einen oder anderen Handlungen aufzuzwingen. Im Grunde genommen sehen wir ausgezeichnet ihre Wirkung bei der Vakzinierung. Wenn Sie sich nicht vakzinieren lassen wollen, schalten wir von fast allem ab“, schrieb der Bischof.

Die Position Tutunows teilt aber nicht ein anderer Hierarch der Russischen orthodoxen Kirche. Der Leiter der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen, Metropolit Hilarion (Alfejew), rief in einer Sendung des staatlichen TV-Kanals „Rossia 24“ auf, in Russland nicht nur QR-Codes einzuführen, sondern auch Strafen für ihr Fehlen beim Auftauchen an Orten einer großen Konzentration von Menschen. „Je eher Russland zu Quarantänemaßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie mit QR-Codes und Strafen aufgrund ihres Fehlens kommt, umso besser. Das Regime der QR-Codes ist ein Regime, das sich in sehr vielen Ländern gerechtfertigt hat. Und bei uns in jenen Regionen, wo man es anwandte und anwendet“, versicherte Alfejew. Zur gleichen Zeit machte er die Einschränkung, dass er „nicht denkt, dass die Vakzinierung eine obligatorische sein muss“. Nichtvakzinierte Bürger müssten sich jedoch zu Hause aufhalten, oder „es muss für solche Bürger ein spezielles Regime eingeführt werden“. „Wir selbst sind daran schuld, was sich derzeit ereignet“, unterstrich der Metropolit. „Was die Verbreitung falscher Informationen über die Vakzinierung und das Coronavirus angeht, so ist dies natürlich eine traurige Erscheinung unserer Zeit. Ich hoffe, dass diejenigen, die falsche Informationen, eine entsprechende Bestrafung dafür erhalten werden“, fügte der Kirchendiplomat hinzu.

Es sei daran erinnert, dass im Juni der Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen der Kirche mit der Gesellschaft und den Massenmedien, Wladimir Legoida, erklärte, dass „die Kirche keine QR-Codes für den Besuch von Gotteshäusern einführen kann“. Er hatte gleichfalls betont, dass in allen Gotteshäusern der Russischen orthodoxen Kirche „alle Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden“.

Laut Angaben der Arbeitsgruppe beim Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill zur Koordinierung der Tätigkeit der Kircheneinrichtungen unter den Bedingungen der Verbreitung der Coronavirus-Infektion sind allein in den ersten 15 Tagen des Novembers in der Russischen orthodoxen Kirche 18 Kleriker an COVID-19 und dessen Folgen verstorben. Mit Stand vom 6. Oktober waren in der Kirche 200 Todesfälle aufgrund der Coronavirus-Infektion unter dem Klerus von Moskau und der Diözesen, aber auch der Bewohner der unterschiedlichen Klöster des Landes registriert worden.

Vor diesem Hintergrund teilte am 9. November der Vizegouverneur des Swerdlowsker Gebietes Pawel Krekow mit, dass die Behörden der Region den Kult-Einrichtungen empfehlen, für das Betreten der Gotteshäuser QR-Codes einzuführen. Man werde jedoch keinen dazu zwingen. Und die Konfessionen würden eigenständig die Entscheidung dazu treffen. In der Jekaterinburger Diözese der Russischen orthodoxen Kirche merkte man sofort an, dass man nicht plane, QR-Codes der Gläubigen, die die Gottesdienste besuchen, zu überprüfen. Der Vorsitzende der Geistlichen Verwaltung der Moslems des Verwaltungsgebietes, Artur Muchutdinow, erklärte, dass viele der Gemeindemitglieder mit der Einführung von QR-Codes einverstanden seien, es sei aber bisher keine Entscheidung getroffen worden. „Wir orientieren uns an der Hauptorganisation, an der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Russischen Föderation. Jeden Tag erfolgen irgendwelche Aktualisierungen, denn die Situation ist eine schwere. Wir sehen dies anhand dessen, wie bei uns die Totenmessen vor der Beisetzung erfolgen. Die Situation ist eine schwierige. Die Frage besteht aber in etwas anderem: Bei uns gibt es bei den Freitagsgebeten in der Moschee eine große Anzahl von Menschen. Viele beten auf der Straße. Wenn wir in den Moscheen QR-Codes einführen, so wer wird diejenigen überprüfen, die auf der Straße das Gebet verrichten?“, sagte der Imam-Mu(c)htasib aus dem Ural. In der Geistlichen Verwaltung der Moslems Russlands ist man der Auffassung, dass die regionalen Organisationen eigenständig die Entscheidung über die Einführung von QR-Codes in den Moscheen in Abhängigkeit von der Epidemie-Situation und den Forderungen der Behörden treffen müssten, teilte der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der Geistlichen Verwaltung der Moslems Russlands, Damit Muchetdinow, der Nachrichtenagentur RIA Novosti mit.

Nicht ausgeschlossen hat man in der Föderation der jüdischen Gemeinden Russlands (FJGR) eine Verwendung von QR-Codes in den Synagogen, „wenn dies helfen wird, vor einer Verbreitung des Virus zu schützen“. „Für uns ist in erster Linie die Gesundheit der Gemeindemitglieder eine Priorität. Und wenn wir begreifen, dass die zum gegenwärtigen Moment ergriffenen Maßnahmen unzureichend sind, werden wir zu den strengsten Formen zur Wahrung der Sicherheit, darunter auch zu QR-Codes greifen“, versicherte FJGR-Präsident Alexander Boroda.