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An wen sind die Referenda im Osten der Ukraine gerichtet?


Die prorussischen Herrschenden des Verwaltungsgebietes Saporoschje haben nicht die Zusage erfüllt, innerhalb von zwei, drei Tagen Modalitäten für die Abhaltung eines Referendums über den Beitritt zur Russischen Föderation und die Form eines Stimmzettels auszuarbeiten. Letzteres hätte auch eine präzise Formulierung jener Frage erfordert, die für eine Willensbekundung der Einwohner vorgelegt werden soll. Der Chef der Militär- und Zivilverwaltung von Saporoschje, Jewgenij Balizkij, hatte in der vergangenen Woche erklärt, dass das Referendum in der ersten Septemberhälfte stattfinden solle.

Die übrigen sogenannten befreiten Territorien der Ukraine und selbst die Donbass-Republiken DVR und LVR, das heißt: die Quasi-Staaten mit irgendwelchen Rechtssystemen und Machtvertikalen beeilen sich nicht, in einen analogen Enthusiasmus zu verfallen. Dies bedeutet, dass Moskau augenscheinlich die Hauptpunkte des bestätigten Szenarios noch nicht den Ausführenden vor Ort vermittelte und sich auf allgemeine ideologische Vorgaben beschränkte. Somit ergibt sich, dass, auch wenn die Administration des Präsidenten der Russischen Föderation eine Organisierung der politischen Arbeit auf den ostukrainischen Territorien in Angriff genommen hat, dies alles scheinbar nach wie vor einen gewissen Null-Zyklus darstellt. Entsprechend der sich herausgebildeten russischen Tradition ist ein endgültiges Abwinken durch den Kreml-Herren nötig, wonach auch das hektische Arbeiten des Apparates und ein Medien-Rummel beginnen werden.

Solange aber nichts begonnen hat, kann man den Versuch unternehmen, um zu begreifen: Wird sich Russland auf elektorale Maßnahmen faktisch in einem frontnahen Streifen einlassen? Ist dies vom Prinzip her möglich oder reduziert sich doch die ganze Arbeit auf einen propagandistischen Rummel? Wenn aber die elektoralen Handlungen als mögliche anerkannt werden, so stellt sich die Frage: An wen richten sich die vermutlichen Referenda? An die Einheimischen oder an alle Ukrainer, an den Westen oder an die russische Bevölkerung? Oder sind die Referenda überhaupt nur für einen Berichterstattung vor dem Präsidenten nötig?

Der von den Offiziellen der Russischen Föderation deklarierte Wunsch, die Meinung der Bürger zu ermitteln, ist doch nicht mehr als eine schöne Erklärung. Auf jeden Fall hatte sich die derzeitige Herrschaftsvertikale innerhalb des Landes nur im Jahr 2020 einmalig zu einer Art Plebiszit entschlossen. Und hatte sich von allen Seiten aus vor der hypothetischsten Variante eines Flops der vorgeschlagenen Verfassungsänderungen abgesichert. Sicherlich kann man als solch eine Ver- bzw. Absicherung die synchronen Entscheidungen der Militär- und Zivilverwaltungen von Cherson und Saporoschje über eine Ausweisung von Extremisten in die Ukraine ansehen, das heißt jener, die gegen einen Beitritt zu Russland auftreten.

Da wird aber die Anzahl der „Wähler“ in diesen Regionen eine ganz geringe sein. Doch die bewegen die Offiziellen offensichtlich nicht so stark wie die Notwendigkeit, das anvisierte Ergebnis zu erreichen. Daraus ergibt sich, dass scheinbar doch gerade Informationsaktionen und keine juristischen Prozedere vorbereitet werden. Allem nach zu urteilen, ist dem auch so, da die geplanten Referenda a priori keine rechtliche Relevanz besitzen, zumindest allein schon aufgrund des Fehlens einer auch nur in geringer Weise legitimen gesetzgeberischen Grundlage. Etwas Derartiges gibt es lediglich in der DVR und LVR zusammen mit der Anerkennung seitens Russlands. Folglich ist für den Donbass das abchasisch-südossetische Stadium der Fixierung einer faktischen territorialen Übernahme augenscheinlich bereits durchlaufen worden. Bleibt das Krim-Muster – eine direkte Aufnahme in den Bestand der Russischen Föderation. Hinsichtlich der übrigen Territorien sind beide Variante Arbeitsvarianten. Die Erwägungen hinsichtlich einer Unifizierung der Herangehensweise werden aber wahrscheinlich siegen.

Somit sind die Referenda offensichtlich weder an den Westen noch an die offizielle Ukraine gerichtet, da man dort mit ihnen von vornherein nicht einverstanden ist. Die ukrainische Bevölkerung wird insgesamt ebenfalls die künftige Annexion mit Vorsicht aufnehmen. Und in Sonderheit werden sich auch viele neugebackene Bürger Russlands analog ihr gegenüber verhalten. Da ergibt es sich, dass zum Hauptadressaten der ostukrainischen Referenda die Bürger der Russischen Föderation werden. Das heißt: Diese Abstimmungen werden für innenpolitische Ziele gebraucht. Die Frage besteht lediglich darin, inwieweit letztere globale sind. Eine Option ist, wenn der Kreml einfach einen Sieg feiern wird, zu dessen Beweis die territorialen Erwerbungen werden. Eine andere, wenn diese Tatsache zum Ausgangspunkt für die Ankündigung einer großangelegten Reconquista mit einem Erreichen der früheren sowjetischen Grenzen wird.