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Ankara wird für Bischkek zu einer Alternative zu Moskau


Verteidigungs-, Sicherheits- und Investitionsfragen waren die hauptsächlichen im Verlauf des dreitägigen offiziellen Türkei-Besuchs von Kirgisiens Präsident Sadyr Dschaparow, der am 11. Juni zu Ende ging. Zu den Ergebnissen der Gespräche mit dem türkischen Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdoğan wurde eine gemeinsame Erklärung verabschiedet. Die beiden Staatsoberhäupter gestanden ein, dass die Organisation von Fethullah Gülen (FETÖ — Fethullahçı Terör Örgütü, zu Deutsch „Fethullahistische Terrororganisation“) eine Bedrohung für beide Länder darstelle.

Sadyr Dschaparow rief die türkischen Investoren auf, Geld in Kirgisien anzulegen. Er versprach ihnen, ein günstiges Umfeld zu schaffen und unterschiedliche Vergünstigungen im Rahmen der Gesetzgebung Kirgisiens zu gewähren. Zwecks Gewinnung von Investoren wird am Issyk-Kul, in Tscholponata, am 8. und 9. Juli dieses Jahres die 10. Tagung der gemeinsamen Regierungskommission für Handels- und Wirtschaftskooperation stattfinden, in deren Rahmen ein kirgisisch-türkisches Business-Forum abgehalten wird. In dessen Verlauf sollen neue Projekte in Industrie- und Landwirtschaftsbereichen der Republik präsentiert werden. Dies teilte Dschaparow bei seinem Auftritt bei der V. Tagung des Obersten Rates für strategische Zusammenarbeit beider Länder in Ankara mit.

Die Türkei, unterstrich Sadyr Dschaparow, nehme einen besonderen Platz in der Struktur des kirgisischen Außenhandels ein. Aber die Zusammenarbeit müsse man aktivieren, wobei der Handelsumsatz zwischen beiden Ländern bis auf eine Milliarde Dollar gebracht werden müsse. Er ist sich gewiss, dass die Suche nach neuen Formen der Zusammenarbeit und die Diversifizierung der Kontakte die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Kirgisien und der Türkei stimulieren würden.

Den türkischen Fluggesellschaften bot Dschaparow an, den internationalen Flughafen Manas als Transport- und Logistik-Hub in Asien zu nutzen und gab Garantien für eine begünstigtes Regime bei Realisierung dieses Projekts. Der Präsident unterstrich die Ähnlichkeit der Positionen in der globalen und regionalen Politik und bekräftigte die Notwendigkeit einer Verstärkung der Zusammenarbeit auf dem Sicherheitsgebiet im Rahmen internationaler und regionaler Organisationen. Er betonte die Wichtigkeit der Verstärkung der regionalen Sicherheit in Zentralasien und der Gewährung militärtechnischer Hilfe bei der Modernisierung der materiell-technischen Basis der kirgisischen Streitkräfte, aber auch der Forcierung gemeinsamer Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit.

Für Bischkek ist heute das Wichtigste, die Wirtschaft auf die Beine zu bringen und die Fragen zu lösen, die mit der Demarkation und Delimitation der Staatsgrenze zusammenhängen. Die Türkei ist eines der Länder, mit denen die Offiziellen Kirgisiens solche Fragen erörtern können. Zumal früher, nach dem 2-Tage-Krieg an der kirgisisch-tadschikischen Grenze Erdogan Bischkek moralische Unterstützung gewährte und angeboten hat, rund 100 niedergebrannte Häuser neu aufzubauen.

Auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Verhandlungen mit Sadyr Dschaparow in Ankara teilte Erdogan mit, dass die Türkei auch weiterhin beabsichtige, die Bruderbeziehungen mit Kirgisien zu festigen. „Wir haben dies im Verlauf der Gespräche bekräftigt. Wir haben alle Fragen erörtert – von der Bekämpfung terroristischer Organisationen, in erster Linie der FETÖ, bis hin zu Fragen der regionalen Zusammenarbeit“, sagte das türkische Staatsoberhaupt. Beide Staatsoberhäupter waren sich dahingehend einig, dass die FETÖ eine Bedrohung für die nationale Sicherheit sowohl der Türkei als auch Kirgisiens darstelle, meldete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu.

Es sei daran erinnert, dass Erdogan Gülen des Staatsstreichversuches in der Türkei im Sommer des Jahres 2016 bezichtigte und dessen Organisation als eine terroristische einstufte. Erdogan hatte gefordert, die Bildungseinrichtungen „Sebat“, die in vielen Ländern der Welt, unter anderem auch in Kirgisien eröffnet worden waren, zu liquidieren. Der sich einst in Kirgisien an der Macht befindliche Almasbek Atambajew hatte diese Förderung jedoch zurückgewiesen, wobei er lediglich den Namen durch „Sapat“ ersetzte. Allen nach zu urteilen, muss Kirgisien dieses Mal die Bitte Ankaras erfüllen und die türkischen Lyzeen im Land schließen. Zumal am 1. Juni deren Leiter Orhan Inandi in Bischkek verschwunden ist, ein ethnischer Türkei und Staatsbürger Kirgisiens. Täglich versammeln sich an der türkischen Botschaft in Bischkek und am Weißen Haus (dem Sitz der kirgisischen Regierung) Absolventen und Lehrkräfte der „Sapat“-Lyzeen sowie Schüler und deren Eltern. Die Kundgebungsteilnehmer werden türkischen Sicherheitskräften vor, dass sie hinter dem Geschehen stehen würden, und fordern, Inandi freizulassen.

Stanislaw Prittschin, wissenschaftlicher Oberassistenz am Zentrum für postsowjetische Forschungen des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, betonte, dass der Ankara-Besuch Dschaparows vor dem Hintergrund des Tadschikistan-Besuchs des usbekischen Präsidenten Shavkat Mirziyoyev (10.-11. Juni) erfolgte. „Die Besuche auf höchster Ebene sind durch das Prisma des Grenzkonfliktes zwischen Kirgisien und Tadschikistan sowie der Suche nach Unterstützung in der internationalen Arena zu betrachten. Der Trend zur Verstärkung der Beziehungen zwischen Kirgisien und der Türkei zeichnete sich nach dem Grenzkonflikt und der politischen Unterstützung, die die Türkei bereit war, Bischkek zu gewähren, ab. Diese sich herausgebildete Situation beeinflusste den Status des Besuchs und dessen Dauer“, sagte der „NG“ Stanislaw Prittschin. Es macht Sinn, darauf hinzuweisen, dass auch Kasachstans Präsident Kasym-Shomart Tokajew in Duschanbe weilte.

Der Experte ist der Auffassung, dass aus der Sicht der globalen Perspektiven der türkisch-kirgisischen Beziehungen wohl kaum zu erwarten sei, dass türkische Investoren massenhaft nach Kirgisien kommen und die Situation mit dem Investitionsklima in der Republik verbessern werden, besonders nach dem Skandal mit dem kanadischen Bergbauunternehmen Centerra Gold Inc. Es sei daran erinnert, dass die Behörden Kirgisiens die Golderz-Lagerstätte „Kumtor“ nationalisierten und gegen das erschließende Unternehmen Strafen in einer Höhe von beinahe fünf Milliarden Dollar verhängt haben. Und hinsichtlich dessen Mitarbeiter werden Strafverfahren eingeleitet. Das kanadische Unternehmen hat gegen Kirgisien Klage eingereicht. Dennoch rechnet man in Bischkek damit, dass diese Geschichte das Investitionsklima in der Republik nicht negativ beeinflussen werde, da, wie die Offiziellen meinen, ein Kampf gegen die Korruption erfolge.

Außerdem gebe es, betonte der Experte, in Kirgisien keine großen Branchen und Objekte für türkische Investoren, die die Handelsbilanz zwischen den Staaten grundlegend ändern und das Investitionsportfolio erweitern könnten.

Ja, und die Situation in der Türkei an sich ist aus der Sicht der Wirtschaftsrealitäten nicht die günstigste. „Dies ist ein politisch motivierter Besuch“, sagte Prittschin bezüglich der Ankara-Reise Dschaparows.

Der Experte auf dem Gebiet der Außenpolitik, Verteidigung und Sicherheit Grigorij Trofimtschuk merkte gegenüber der „NG“ an, dass Kirgisien souverän sei und Verbindungen mit jenen herstellen und verstärken könne, die für das Land wichtig seien. Aber heute würden sich die Ereignisse im postsowjetischen Raum so entwickeln und so aussehen, dass viele zwischenstaatliche Beziehungen unwillkürlich einen anderen Sinn erlangen würden. So nehmen wir beispielsweise aufgrund der bekannten Ereignisse die Verstärkung der armenisch-französischen Beziehungen bereits etwas anders wahr. Und genauso beginnen die Beobachter, auch aufmerksamer in die postsowjetischen Hauptstädte zu blicken, die mit der Türkei Beziehungen eines neuen Formats gestalten.

„Nach seinem Zwischenerfolg in der Bergkarabach-Zone – bis zu einem Ende ist es dort noch weit, und es wird nicht gelingen, dort durch einen Krieg letztlich etwas zu klären – hat Ankara massiv die Aktivitäten hinsichtlich eines Zusammenwirkens mit den bedingt moslemischen Republiken Zentralasiens verstärkt. Bischkek wird für Ankara zu einem noch interessanteren Partner unter Berücksichtigung dessen sich allmählich ausdehnenden militär-politischen Konflikts mit Duschanbe. Aufgrund einer Reihe von Ursachen nimmt Ankara automatisch die Seite von Bischkek ein, ist aber auch bereit, alle miteinander auszusöhnen, wie dies auch viele andere tun. Wenn die türkischen Pläne realisiert werden, wird Ankara auch in dieser Richtung stärker werden. Zumal Russland wiederum aufgrund einer Reihe von Ursachen der Türkei keinen eindeutigen Widerstand leisten kann. Ankara wird für Sadyr Dschaparow zur einzigen Alternative zu Moskau. Und dieser Faktor ist der relevanteste, wenn man über das Ziel des Türkei-Besuchs des kirgisischen Präsidenten spricht. Letzten Endes kann man dort auch Kredite erhalten“, betonte Grigorij Trofimtschuk.