Wjatscheslaw Wolodin, der wiedergewählte Chef der Staatsduma (des Unterhauses des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion), hat vorgeschlagen, eine Prozedur für das Aberkennen des Friedensnobelpreises einzuführen. In seinem Telegram-Kanal betonte er, dass diesen Preis in verschiedenen Jahren Politiker erhalten hätten, beispielsweise Barak Obama, Michail Gorbatschow, Aung San Suu Kyi aus Myanmar oder Abiy Ahmed Ali aus Äthiopien. Sie alle hätten nach Aussagen Wolodins später ernsthafte Fehler begangen, die unter anderem zur Entfesselung von Krieg und einem Genozid geführt hätten. Und mitunter hätten sie auch unmittelbar diese Prozesse in Gang gebracht. Das Nobelkomitee habe jedoch nicht ein einziges Mal den Preis zurückgezogen, erinnerte der Staatsduma-Chef. Nach seiner Meinung sei damit die Auszeichnung diskreditiert.
In diesem Jahr hat man den Friedensnobelpreis Journalisten zuerkannt – dem Chefredakteur der Moskauer „Novaya Gazeta“ Dmitrij Muratow und Maria Ressa von den Philippinen. Weder Muratow noch Ressa sind keine Politiker. Sie bekleiden keine staatlichen Posten und erheben keinen Anspruch auf sie. Doch das Gerede über die Kriterien der Auszeichnung, über den Mechanismus für eine Abberufung bzw. Aberkennung hat gerade jetzt begonnen. Wjatscheslaw Wolodin hat im Großen und Ganzen das artikuliert, was viele Vertreter der russischen Elite denken oder gedacht haben, vor allem aus dem Bereich der bewaffneten, Sicherheits- und Rechtsschutzstrukturen. Gerade sie haben die Auswahl des Nobelkomitees als eine Herausforderung aufgefasst. Man kann von einer kollektiven unwillkürlichen Gereiztheit der herrschenden Elite in Russland sprechen.
Jüngst fragte man den russischen Präsidenten Wladimir Putin, ob nicht Dmitrij Muratow aufgrund der Würdigung aus Oslo auf die Liste der sogenannten ausländischen Agenten geraten könne. Putin erwiderte, dass er sich dort nicht wiederfinden werde, wenn er das russische Gesetz nicht verletze. „Wenn er sich aber hinter dem Nobelpreis wie hinter einem Schutzschild versteckt, um das zu tun, was das russische Gesetz verletzt, bedeutet dies: Er lässt sich bewusst darauf ein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder aus irgendwelchen anderen Erwägungen“, sagte das Staatsoberhaupt. Für die Herrschenden in Russland ist es überhaupt schwer, einen richtigen Kommentarton auszuwählen, wenn man einem Oppositionellen oder einem kritisch eingestellten Journalisten einen internationalen Preis verleiht. Schließlich ist dies auf die eine oder andere Weise ein Tadel an ihre Adresse.
Wenn man aber den Vorschlag, den Nobelfriedenspreis abzuerkennen, losgelöst vom aktuellen Kontext untersucht, so kann man sagen, dass dem russischen Menschen und folglich auch den russischen Politikern eigen ist, global zu denken. Sich die USA, das „untergehende“ Europa zu Herzen zu nehmen. Weltweite Probleme zu lösen und sich erst dann mit den eigenen zu befassen.
Natürlich kann man sich darüber Gedanken machen, wie man Entscheidungen des Nobelkomitees revidieren kann. Aber für den Anfang wäre es nicht schlecht, sich dessen zu erinnern, welche Mechanismen für eine Abberufung bzw. Aberkennung – und von wen – im heutigen Russland ausgearbeitet worden sind. Die Initiative bezüglich des Friedenspreises hat der Vorsitzende der Staatsduma formuliert. Von daher die Frage: Können denn die Bürger der Russischen Föderation einen Abgeordneten abberufen, wenn er seinen Pflichten nicht gerecht wird? Ein Volksvertreter Russlands kann bei Parlamentssitzungen nicht erscheinen, keine Gesetzesvorlagen schreiben, nicht auftreten… Kann man ihn aber abberufen? Solch einen Mechanismus gibt es nicht.
Es kommt vor, dass Oberhäupter von Regionen ihre Ämter im Zusammenhang mit einem „Verlust des Vertrauens“ verlieren. Oder es kommen Männer aus den sogenannten kompetenten Organen zu ihnen ins Büro, legen Handschellen an, bringen ihn fort. Und dann erfolgt ein Prozess, wird ein Urteil verkündet. Parallel dazu wird derjenigen aufgrund des eingeleiteten Strafverfahrens aus der (Kreml-) Partei ausgeschlossen (wenn er ihr angehörte). Es gibt da aber keinen Mechanismus. Dies ist der Wille der herrschenden Elite oder einzelner Kreise von ihr – einen Menschen aus dem Amt zu entfernen und durch einen anderen zu ersetzen. Oder dies sind auch die Spiele der Vertreter der bewaffneten, Sicherheits- und Rechtsschutzorgane, die über Informationen verfügen, die für die Gesellschaft kein Gemeingut werden, solange man nicht den Beamten festnimmt. Selbst solch eine simple Prozedur wie die Reaktion von Offiziellen oder eben jener Vertreter der bewaffneten Organe etc. auf eine journalistische investigative Nachforschung funktioniert nicht. Die Journalisten erklärt man eher zu „ausländischen Agenten“ aufgrund solcher Publikationen. Und dies sei nur einmal zur Frage nach dem Nobelpreis angemerkt!
Man kann internationalen Organisationen neue Arbeitsmechanismen vorschlagen. Es ist aber merkwürdig, dies zu tun, wenn analoge Mechanismen bei uns im Land nicht funktionie