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Armenien hat wohl Ersatz für Russland im Sicherheitsbereich gefunden


  1. Paris und Jerewan haben am 23. Oktober ein Abkommen über den Erwerb von Waffen französischer Hersteller durch Jerewan abgeschlossen. Am Vorabend war Armeniens Verteidigungsminister Suren Papikjan in der französischen Hauptstadt eingetroffen. Nach Aussagen seines französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu würden die Lieferungen Armenien helfen, seinen Luftraum zu verteidigen. Bisher kann die Republik nicht mit dem Grad seiner Sicherheit herumprahlen. Doch die Neuerwerbungen von den französischen Waffenbauern würden sie ganz und gar nicht unbedingt verstärken, meinen von der „NG“ befragte Experten.

    Der Verteidigungsminister der Republik Armenien, Suren Papikjan, besuchte im Rahmen seines Frankreich-Arbeitsbesuchs das französische Ministère des Armées. Es erfolgte seine Begegnung mit dem französischen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Im Verlauf des Treffens wurden Fragen im Zusammenhang mit einer armenisch-französischen Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung und regionalen Sicherheit erörtert. Bilanziert wurde die Arbeit zur Realisierung der Vereinbarungen, die im Ergebnis der Diskussionen erreicht worden waren, die im September vergangenen Jahres und im Juni dieses Jahres in Paris erzielt worden waren. Und skizziert wurden gleichfalls neue Möglichkeiten für die Entwicklung der Zusammenarbeit.

    Wie mitgeteilt wurde, würdigten die Seiten das gegenwärtige Niveau der Zusammenarbeit und bekundeten die Bereitschaft, neue Anstrengungen für ihre weitere Entwicklung zu unternehmen. Im Verteidigungsministerium Frankreichs erfolgte die Unterzeichnung von Dokumenten über die die bilaterale Zusammenarbeit.

    Der Leiter des Kaukasus-Instituts, Alexander Iskandarjan, ist der Auffassung, dass, da Russland aufgehört habe, Waffen an Armenien zu verkaufen, und Aserbaidschan seine Neubewaffnung fortsetze, Jerewan keinen anderen Ausweg habe, außer nach neuen Quellen für Lieferungen zu suchen. „Dieser Prozess war kein plötzlicher. Nach dem Krieg von 2020 begannen die russischen Lieferungen zurückzugehen und wurden vor dem Hintergrund der Kampfhandlungen in der Ukraine vollkommen eingestellt. Nunmehr hofft Jerewan, den Einbruch mit Hilfe von Frankreich und Indien wettzumachen, zumal nach dem zweiten Bergkarabach-Krieg das Thema der Gewährleistung der Sicherheit zu einem sehr aktuellen geworden ist“, erklärte der Experte.

    Zur gleichen Zeit denkt Iskandarjan nicht, dass der Erwerb französischer Waffen die Beziehungen Armeniens mit Russland beeinflusse. Nach seinen Worten würden sie sich bereits in einer Krise befinden, aber nicht noch schlechter werden würden. „Jerewan kauft in anderen Ländern Waffen, nicht weil es Moskau kränken möchte, sondern weil es keine Möglichkeit hat, dies in Russland zu tun“, unterstrich der Leiter des in Jerewan ansässigen Kaukasus-Instituts.

    Es sei daran erinnert, dass im Jahr 2022 bekannt wurde, dass Armenien von Indien Waffen und Munition im Gesamtwert von mehr als 244,7 Millionen Dollar erwarb. Darunter kaufte Jerewan Mehrfachraketenwerfer-Systeme „Pinaka“. Im Januar dieses Jahres meldeten indische Medien, dass die armenischen Offiziellen sich anschicken würden, die sowjetischen Fla-Raketenkomplexe S-125 „Petschora“ durch indische MRASM zu ersetzen. Außerdem gab es Informationen über den Erwerb von selbstfahrenden ATAGS-Haubitzen in diesem Land. Das amerikanische Magazin „Forbes“ schrieb gleichfalls, dass sich Armenien vorbereite, vier Su-30M-Jagdflugzeuge, die im Jahr 2019 von Russland erworben worden waren, zwecks Modernisierung und Ausrüstung mit modernen Raketen nach Indien zu schicken.

    Was Frankreich angeht, so hat Paris beschlossen, seinen Einfluss auf Armenien zu verstärken, nachdem über 100.000 Armenier gezwungen waren, Bergkarabach zu verlassen. So hat der Chef der Europäischen Union unter anderem beschlossen, ihr Konsulat im Verwaltungsgebiet Sjunik der Republik zu eröffnen. Im Übrigen haben in den vergangenen Jahren – mit einem Intervall von mehreren Monaten – Vertreter sowohl von Paris als auch von Jerewan regelmäßig den Wunsch bekundet, die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zu erweitern.

    Derweil betonte Ruslan Puchow, Direktor des Zentrums für die Analyse von Strategien und Technologien, dass die Menschen nicht immer Waffen kaufen würden, um mit ihrer Hilfe zu kämpfen. „Oft tun sie dies, um sich en passant die Zuneigung von irgendwem oder eine Sicherheitsgarantie zu kaufen. Das heißt: Sie kaufen von irgendwem Waffen und warten dann, dass er selbst ihnen zur Hilfe kommt. So kauft beispielsweise Saudi-Arabien Waffen von den USA“, erklärte der Experte.

    Konkret bezüglich der französischen Waffen unterstrich Puchow, dass sie zu den teuersten und anspruchsvollsten gehören würden. Gleichfalls müsste ihnen „Personal“ beigestellt werden, das in Frankreich geschult wurde. Ungeachtet dessen hält er die Auswahl des Waffen-Lieferanten aus der Sicht eines Anbändelns der Offiziellen Armeniens mit den Ländern des Westens für eine logische.

    Dabei ist Puchow der Annahme, dass es für Jerewan recht schwer werde, die in verschiedenen Regionen der Welt erworbenen Waffen in ein einheitliches Sicherheitssystem zu integrieren. Der Ukraine gelingt es beispielsweise mit dieser Aufgabe, nur dank einer nicht versiegenden finanziellen und militärischen Unterstützung fertig zu werden. Puchow sagt, dass Kiew kaputte Modelle einfach auf den Müll werfe, ohne den Versuch zu unternehmen, sie irgendwie zu reparieren.

    Bemerkenswert ist, dass westliche Medien mehrfach gemeldet hatten, dass in Europa die Waffen beinahe ausgegangenen seien, die man der Ukraine übergeben könne. Für Armenien hat man aber in Frankreich doch etwas gefunden. „Es ist bekannt, dass Kiew die Franzosen und die Italiener um die modernen Luftabwehrsysteme „Mamba“ gebeten hatte. Die aber sagten, dass sie diese selbst nicht hätten“, erinnert der Militärexperte und Direktor des Museums für Geschichte der Luftverteidigungstruppen, Jurij Knutow. „Wenn Paris Jerewan damit bewaffnet, wird es einen diplomatischen Skandal geben. Die Armenier haben aber überhaupt schon lange freundschaftliche Beziehungen mit Frankreich. Dem zu Ehren können die Franzosen ihnen durchaus einen ihrer alten Komplexe hergeben und für sich einen neuen bauen“.

    Freilich erklärt Knutow, dass Armenien vom Prinzip her überhaupt ohne Waffeneinkäufe auskommen und sich vollkommen auf den russischen Militärstützpunkt in Gjumri stützen könne. Überdies würden Millionen Dollar freigesetzt werden, die man besser für die Entwicklung der Wirtschaft und für die Hilfe für die Flüchtlinge aus Bergkarabach investieren könne. Dafür müssten aber der außenpolitische Kurs des Landes revidiert und die antirussischen Ausfälle eingestellt werden.

    Dem pflichtet der Militärexperte Wassilij Dandykin bei, der hinzufügt: „Die Hilfe Frankreichs kann Aserbaidschan zu einer Eskalierung des Konflikts provozieren. Ich denke nicht, dass die Franzosen in diesem Fall zustimmen werden, für Jerewan zu kämpfen. Und die an Jerewan verkauften werden nicht sehr helfen“. Nach Aussagen von Dandykin versuche Paris mit der Vertiefung der Beziehungen mit Armenien, sein internationales Image nach der Entscheidung über den Truppenauszug aus dem Niger und dem Scheitern des Deals über den Verkauf von U-Booten an Australien aufzubessern. Dabei beunruhige die Situation hinsichtlich der Situation im Südkaukasus die Franzosen nicht allzu sehr.

    Derweil steht man in Aserbaidschan wirklich mit Vorsicht der Verstärkung der militärischen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Armenien gegenüber. Die Community von Westaserbaidschan (befindet sich auf dem Territorium des heutigen Armeniens) teilte unter anderem mit, dass der Verkauf von Waffen an Jerewan vor allem ein Demonstrieren von Feindseligkeit gegenüber Baku sei. „Die Lieferung von Waffen nach Armenien seitens Frankreichs dient einer Verstärkung des Revanchismus in diesem Land und der Spannungen in der Region“, heißt es in einer Erklärung der Organisation. Seinerseits unterstrich Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew, dass die Waffenlieferungen zu einem neuen Konflikt im Südkaukasus führen könnten, für den Paris die Verantwortung tragen werde.

    Post Scriptum

    Dass die Beziehungen zwischen Armenien und Russland sehr angespannt sind, ist kein Geheimnis mehr. Und beinahe jeder Tag bringt Bestätigungen für diesen Gedanken. So ist Moskau nicht bereit, der Ernennung eines neuen armenischen Botschafters in der russischen Hauptstadt zuzustimmen. Jerewan will den bisherigen Botschafter Vagharshak Harutyunyan durch Gurgen Arsenyan ersetzen. Der prominente armenische Geschäftsmann und Parlamentarier aus der regierenden Fraktion stößt aber auf Widerstand der russischen Seite, da er durch mehrfache antirussische Statements in der jüngsten Vergangenheit Verärgerung an der Moskwa ausgelöst hat.

    Und am Dienstag, dem 24. Oktober entschieden die Abgeordneten der Staatsduma, den Gesetzentwurf über eine Anerkennung der Fahrerlaubnisse Armeniens in der Russischen Föderation auf unbestimmte Zeit auf die lange Bank zu schieben.