In Berlin haben zweitägige Verhandlungen der Außenminister Armeniens und Aserbaidschans, Ararat Mirzojan und Jeyhun Bayramov, stattgefunden. In der Rolle eines Vermittlers agierte die bundesdeutsche Außenamtschefin Annalena Baerbock. Zuerst hatte sie sich mit jedem von ihnen separat getroffen, später sind sie alle zusammen spazieren gegangen und danach begannen sie die Erörterung des Friedensvertrages zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie der Herstellung diplomatischer Beziehungen.
Jeyhun Bayramov dankte Deutschland für die Organisierung der Gespräche. Nach seinen Worten sei dies für Baku eine gute Möglichkeit gewesen, erneut sein Streben nach Frieden zu signalisieren. Dabei warf Bayramov Armenien eine Verletzung der fünf Monate anhaltenden Stabilität zwecks Führung eines Schlages gegen den Friedensprozess vor.
Mirzojan akzentuierte seinerseits, dass die Grenze zwischen beiden Ländern gemäß der Deklaration von Almaty verlaufen müsse, das heißt entsprechend den Grenzen der Armenischen und der Aserbaidschanischen SSR. Außerdem schlug er vor, die Transportwege in der Region auf der Grundlage der Prinzipien einer Achtung der Souveränität und Jurisdiktion sowie der Gegenseitigkeit und Gleichheit zu deblockieren.
Annalena Baerbock ist der Auffassung, dass es möglich sei, zwischen Aserbaidschan und Armenien Frieden herzustellen. „Wir glauben, dass nach den langen Jahren des schmerzlichen Konfliktes Armenien und Aserbaidschan die Chance haben, einen stabilen Frieden zu erreichen“, resümierte Baerbock. Laut ihren Worten würden Baku und Jerewan „mutige Schritte“ unternehmen, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen, die von großen Leiden und von Menschenopfern geprägt wurde. Seinerseits beabsichtigt Berlin, deren Anstrengungen zu unterstützen.
Dabei hatte am Vorabend des Treffens an der Spree Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew versichert, dass sein Land keine Pläne für einen Überfall auf Jerewan habe. Dennoch schenkt Armenien dem Nachbarn keinen Glauben. „Gegenwärtig wird das gesamte Territorium Armeniens als „West-Aserbaidschan“ dargestellt, das mit dem simplen Ziel einer Aufrechterhaltung der Spannungen in der Region ausgedacht wurde“, betonte Armeniens Außenminister Ararat Mirzojan.
Derweil setzte in Jerewan der armenische Premierminister Nikol Paschinjan, während in Berlin die Diplomaten versuchten, sich über die Zukunft des Südkaukasus zu einigen, die Klärung der Beziehungen mit der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) in einem Fern-Regime fort. Im Parlament unterstrich der Regierungschef, dass er bereits im Jahr 2021 dem militärischen Block die Frage gestellt hätte: Was für einen Verantwortungsbereich hat diese Organisation in seinem Land? Und da es darauf nach wie vor keine Antwort gibt, gaben die armenischen Offiziellen faktisch die Mitgliedschaft des Landes in der OVKS auf Eis gelegt. Wenn sie aber auch weiterhin nicht geben werde, werde Jerewan eine entsprechende Entscheidung rechtlich formulieren, da es nicht verstehe, wozu die Mitgliedschaft in der von Moskau angeführten und bestimmten Organisation verlängern.
„Das Verhalten von Paschinjan ist ein recht brüskierendes. Er versucht mit allen Kräften, Moskau zu harten diplomatischen Erklärungen und anderen groben Schritten zu provozieren, um unter diesem Vorwand die armenisch-russischen Beziehungen abzubrechen. Wobei Paschinjan behaupten wird, dass nicht er der Initiator des Konfliktes gewesen sei“, erklärte der Leiter der Kaukasus-Abteilung des in Moskau ansässigen Instituts für die GUS-Länder, Wladimir Nowikow. „Wahrscheinlich denkt Armeniens Premierminister, dass, je länger sich die militärische Sonderoperation hinzieht, desto mehr werde Moskau Probleme und weniger Interesse für den Südkaukasus haben. Daher sucht er nach anderen Garanten für die Sicherheit, in deren Rolle nur die Länder des Westens auftreten können, die Jerewan ohne ein Brechen mit Moskau nicht akzeptieren wird“.
Dabei seien nach Aussagen von Nowikow die Erklärungen von Paschinjan bezüglich der OVKS leeres Gesülze. Wenn Jerewan seine Mitgliedschaft in der Organisation auf Eis legen möchte, so müsse es ein bestimmtes juristisches Prozedere für eine Aussetzung der Mitgliedschaft durchlaufen. Dementsprechend habe alles, was Paschinjan in privaten Gesprächen sagt, keinerlei rechtliche Konsequenzen. Der Experte ist jedoch der Annahme, dass, wenn Armenien einen Friedensvertrag mit Aserbaidschan an einem der westlichen Orte abschließen könne, so es wahrschlich aus der OVKS austreten werde.
Derweil hatte Alijew bei einem Treffen mit der Delegation aus Deutschland den USA und Frankreich angeraten, sich ein Beispiel an Russland zu nehmen, das „gut versteht, was geschieht, und die neuen Realitäten akzeptiert“. „Andernfalls werde die Situation nicht solch eine werden, wie sie die geplant hatten. Diese Länder müssen mit Aserbaidschan arbeiten, das das führende Land des Südkaukasus mit seiner Wirtschaft, Armee und breiten internationalen Verbindungen ist“, unterstrich das Staatsoberhaupt. Alijew versprach gleichfalls, ernsthaft die Frage eines Ausscheidens aus dem Europarat zu prüfen, wenn die Rechte der aserbaidschanischen PACE-Delegation nicht im Verlauf des Jahres wiederhergestellt werden.
Am nächsten Tag wurde jedoch bekannt, dass das Europaparlament vorgeschlagen hat, zielgerichtete und individuelle Sanktionen gegen die politische und militärische Führung Aserbaidschans zu verhängen, aber auch den Import von Erdöl und Erdgas zu stoppen, wenn Baku eine militärische Aggression gegen Jerewan vornehme. Außerdem riefen die Europaabgeordneten auf, die Größe der Beobachtermission des Europarates in Armenien zu erweitern, sie aber auch nicht nur an der aserbaidschanischen, sondern auch an der türkischen Grenze zu stationieren.
Der Leiter des Kaukasus-Sektors am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Wadim Muchanow, schlägt vor, sich an Russlands Führung zu orientieren, wenn von Moskaus Außenpolitik die Rede sei. „Bisher torpediert die Erklärung Paschinjans direkt die OVKS. In Armenien sind viele darüber unzufrieden, dass sie der Militärblock in der schweren Minute nicht verteidigt hätte. Und wir kommen zum abschließenden Stadium des Brechens von Jerewan mit dieser Organisation“, betonte der Experte. „Dabei geht es vorerst um kein Brechen mit Russland. Insgesamt aber machen die russisch-armenischen Beziehungen die schlechteste Zeit durch. Wobei dies nicht nur mit dem armenisch-aserbaidschanischen Konflikt zusammenhängt, sondern generell mit der gesamten Situation im postsowjetischen Raum, in der die Interessen nicht nur der früheren Sowjetrepubliken involviert sind“.
Im Zusammenhang damit betonte Muchanow, dass Paschinjan keine Alternative offeriere, während er die Beziehungen mit der OVKS zuspitze Es entstehe der Eindruck, dass er überhaupt keine durchdachte außenpolitische Strategie hat, ungeachtet dessen, dass Armenien keine Kräfte hat, um eigenständig seine Sicherheit zu gewährleisten. „Möglicherweise ist es an der Zeit, zu beginnen, die heutige Lage Armeniens mit dem zu vergleichen, was es vor 100 Jahren durchgemacht hat, als es den erniedrigenden Friedensvertrag von Alexandropol unterzeichnen musste, dem entsprechend es beispielsweise das Gebiet Kars, den Surmalu-Ujesd des Eriwaner Gouvernements mit dem Ararat und Nachitschewan verlor. Davor hatten die armenischen Offiziellen auch beschlossen, sich den westlichen Partnern anzuvertrauen, vor allem Großbritannien und Frankreich, und verzichteten auf einen Dialog mit Russland und der Türkei. Dieses historische Beispiel belegt, dass es, sobald ein kleiner Staat die Unterstützung eines der führenden Staaten, die sich nebenan befinden, verliert, zu einer ernsthaften Dysbalance kommt“, betonte Muchanow.
Post Scriptum
Am Montag veröffentlichte die armenische Vertretung der Gallup International Association Ergebnisse einer Umfrage zur Bündnispolitik Jerewans. Über 40 Prozent der Befragten sind der Auffassung, dass die Republik auf eine Mitgliedschaft in militärpolitischen Blöcken verzichten und zu einem neutralen Land werden müsse. Derweil meinten 28 Prozent, dass das Land Mitglied der OVKS bleiben sollte. Geringer ist die Zahl derjenigen, die für einen NATO-Beitritt plädierten (22,5 Prozent).