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Armenien probiert, sich den USA anzunähern und dabei mit Russland nicht auf Distanz zu gehen


Mit Vorsicht hat der Kreml die Nachricht über die in diesem Monat anstehenden amerikanisch-armenischen Manöver auf dem Territorium Armeniens aufgenommen. Dies folgt aus den Worten des Pressesekretärs des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow. Zuvor hatte Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan erklärt, dass die Abhaltung von Manöver der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit auf dem Landesterritorium nicht zweckmäßig sei, da, wie er meint, dies eine negative Reaktion der Türkei und Aserbaidschans auslösen könne.

Am Mittwoch kommentierte Peskow die Nachricht über die bevorstehenden Manöver der USA und Armeniens. „Dies löst Vorsicht aus, solche Nachrichten, besonders in der gegenwärtigen Situation. Wir werden tiefgründig diese Nachrichten analysieren“, sagte er als Antwort auf eine entsprechende Frage.

Das auf dem Territorium Armeniens die Manöver „Eagle Partner 2023“ stattfinden werden, gab am Mittwoch, dem 6. September, das Verteidigungsministerium des Landes bekannt. Laut seiner Erklärung würden amerikanische und armenische Militärs die gemeinsame Teilnahme an Operationen von Blauhelm-Truppen trainieren. Die entsprechenden Trainings werden vom 11. bis einschließlich 20. September auf dem Übungsgelände „Zar“ der Brigade von Blauhelm-Soldaten des armenischen Verteidigungsministeriums erfolgen. Wie in der Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums mitgeteilt wurde, würden die Militärs beider Länder Erfahrungen „auf dem Gebiet der Leitung und taktischen Kommunikation“ austauschen, aber auch Fertigkeiten zur „Stabilisierung der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien“ trainieren.

Vom Prinzip her ist allein die Tatsache der Abhaltung von Manövern der USA und Armeniens (genauso wie auch der Vereinigten Staaten und Aserbaidschans) eigentlich nichts so Ungewöhnliches. In Verteidigungsfragen arbeiten die NATO-Länder mit den transkaukasischen Staaten schon lange zusammen. In diesen Tagen (am 28. August) begannen beispielsweise im deutschen Hohenfels die multinationalen Militärübungen „Saber Junction“ („Säbelverbindung“). In deren Rahmen trainieren auch Militärmediziner Armeniens die Fertigkeiten einer Evakuierung und Behandlung Verwundeter gemeinsam mit dem medizinischen Dienst der Landstreitkräfte der USA. Die Militärübungen „Saber Junction“ werden am 23. September beendet. An ihnen nehmen Militärs aus 17 Staaten teil. Die Besonderheit der Manöver „Eagle Partner 2023“ besteht jedoch darin, dass sie in Armenien erfolgen werden.

Und dies vor dem Hintergrund dessen, dass Paschinjan noch im Januar erklärt hatte, dass in diesem Jahr auf dem Territorium des Landes keine Manöver der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) abgehalten werden. Dieser Organisation gehören neben Armenien und Russland Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan an. Die Ablehnung der Ausrichtung von Manöver der OVKS hatte Paschinjan damit erklärt, dass sie durch das Tandem Türkei-Aserbaidschan nicht richtig ausgelegt werden könnten. Nach seinen Worten könne man sie in Baku und Ankara als Absicht der Russischen Föderation und Armeniens, gemeinsam auf aserbaidschanisches Territorium vorzurücken, werten. „Wir haben die Abhaltung der Manöver für nichtzweckmäßige gehalten, da sie eine Bedrohung für das türkisch-aserbaidschanische Tandem schaffen werden. Man wird kommen, Manöver abhalten. Aber danach werden wir allein mit dieser Gefahr bleiben“, sagte Paschinjan. Der armenische Premierminister hat auch andere Beanstandungen in Bezug auf die OVKS. Er erklärte unter anderem, dass die Organisation präzisieren müsse, welche konkrete Hilfe sie bereit sei, dem Land im Falle des militärischen Konflikts mit Aserbaidschan zu leisten, und wie ihr Verantwortungsbereich aussehe.

Armenische Militärs nahmen auch nicht an den Manövern „Kampfbruderschaft“ teil, die vom 1. bis einschließlich 6. September in Weißrussland stattfanden und bei denen Streitkräfte Russlands, Weißrusslands, Kirgisiens und Tadschikistans zum Einsatz gekommen waren. Übrigens, am 6. September weilte die Gattin von Armeniens Regierungschef, Anna Akopjan, in Kiew beim sogenannten Summit der Ladies und Gentlemen. An ihm nahmen Ehepartner der Staats- und Regierungschefs vieler Länder teil, darunter Großbritanniens, Spaniens, aus Tschechien, der Türkei und Israel. Am Vorabend hatte Nikol Paschinjan der italienischen Zeitung „La Repubblica“ ein Interview gewährt. In dem erklärte er, dass die Russische Föderation dem Westen ein Drängen Armeniens zum Ergreifen von Maßnahmen vorwerfe, die auf ein Verdrängen Russlands abzielen würden. Nach Meinung von Paschinjan stimme dies nicht. „Im Gegenteil, wir sehen, dass Russland selbst die Region aufgrund jener Schritte verlässt, die es unternimmt oder nicht unternimmt. Aufgrund welcher Ursachen dies erfolgt? Wir wissen es nicht. Wir können diesbezüglich unsere Beobachtungen haben, ich kann aber nichts behaupten“, sagte er.

Es sei angemerkt, dass die USA in der letzten Zeit wirklich spürbar in der südkaukasischen Richtung aktiver geworden sind. Washington tritt genauso wie auch Moskau für einen ungehinderter Verkehr über den Latschin-Korridor aus Armenien nach Bergkarabach ein. „Wir rufen die Offiziellen Aserbaidschans auf, den freien Verkehr für kommerzielle, humanitäre und private Transportmittel über diesen Korridor wiederherzustellen“, erklärte beispielsweise am 15. August der offizielle Vertreter des US State Departments Vedant Patel bei einem Briefing.

Dennoch spricht man weder im Weißen Haus noch in der Regierung Armeniens von der Notwendigkeit einer euro-atlantischen Integration des Landes heute oder in der fernen Perspektive. Und ein Ausscheiden aus zwischenstaatlichen Projekten mit einer Beteiligung Russlands (die GUS und die EAWU) wird in Jerewan gleichfalls nicht diskutiert. Im Gegenteil, die Wirtschaftskontakte der Russischen Föderation und Armeniens entwickeln sich dynamisch.

Und noch ein interessantes Zusammentreffen: Über die Manöver „Eagle Partner 2023“ hatte das armenische Verteidigungsministerium am Tag der Veröffentlichung eines Interviews für die staatliche aserbaidschanische Nachrichtenagentur AZERTAG und das ungarische Blatt „Magyar Demokrata“, das Aserbaidschans Außenminister Jeyhun Bayramov während seines Ungarn-Besuchs gegeben hatte, informiert. In dem hatte er Armenien aufgefordert, die Öffnung des Sangesur-Korridors, der über das Territorium der armenischen Region Sjunik verläuft und die westlichen Regionen Aserbaidschans mit dessen Enklave – der Autonomen Republik Nachitschewan – verbindet, nicht zu behindern. Nach Aussagen Bayramovs könne diese Straßenverbindung Armenien umgehen. „Aserbaidschan wird aber die Arbeit in dieser Richtung fortsetzen, wobei es einen Plan B hat. Und dafür wird das Projekt selbst ohne eine Beteiligung Armeniens realisiert werden. Aber in solch einem Fall wird es einfach aus dem Kreis der Nutznießer fallen“, sagte er.