Im Ergebnis von Verhandlungen zwischen Vertretern Bakus und Stepanakerts ist eine Vereinbarung über die Wiederaufnahme einer ununterbrochenen Strom- und Gasversorgung von Bergkarabach erzielt worden. Die Gespräche erfolgten unter Beteiligung des Kommandos der russischen Friedenstruppen, die in der Konfliktzone disloziert sind. Die Seiten setzen derweil die Gespräche hinsichtlich einer De-Blockierung des Latschin-Korridors fort, der Arzach (armenische Bezeichnung für Bergkarabach – „NG“) mit Armenien und dementsprechend der ganzen Welt verbindet.
Der EU-Sondervertreter im Südkaukasus, der estnische Politiker Toivo Klaar, bekundete Genugtuung über die Prozesse, die sich zwischen Baku und Stepanakert vollziehen. Nach seinen Worten hätten sich „ein klarer Ausweg aus der Sackgasse und Perspektiven für eine Konfliktregelung“ abgezeichnet.
Der Vertreter des Präsidenten von Bergkarabach für Sonderaufträge, David Babajan, bezeichnete jedoch die erfolgten Verhandlungen als nichtpolitische. „Und daher kann man den Dialog von Baku und Stepanakert nicht als einen begonnenen ansehen“. Auf seiner Seite in einem der sozialen Netzwerke unterstrich Babajan, dass ab dem ersten Tag der Blockade die russischen Friedenstruppen Verhandlungen geführt hätten. Bei ihnen sei es um eine De-Blockierung der Infrastrukturen gegangen. Politische Fragen seien aber nicht tangiert worden.
„Begegnungen in solch einem Format sind wichtig, dies bedeutet jedoch nicht, dass irgendwer auf irgendeine Weise Arzach im Bestand von Aserbaidschan sehen kann. Dies ist unmöglich. Seit 1988 hält sich und das eigene Land keiner in Arzach für einen Teil von Aserbaidschan. Selbst in der Zeit der Angliederung von Arzach an Aserbaidschan (1921-1988) hatte sich unser Volk nicht damit abgefunden. Und jetzt müssen wir es so tun, dass die humanitären Fragten geregelt werden. Es ist notwendig, sich zu vereinigen und Arzach zu retten, indem eine weise Politik verfolgt wird“, schrieb Babajan.
Der Grund für die überraschende Flexibilität Bakus in den Fragen der Energieversorgung bestand, wie sich herausstellte, im Rücktritt des Staatsministers von Bergkarabach, Ruben Wardanjan. Die aserbaidschanische Seite hatte hinter den Kulissen versprochen, Verhandlungen mit Stepanakert gleich nach dem Rücktritt von Wardanjan zu begonnen, den sie öffentlich als „Moskauer Projekt“ bezeichnet hatte. Im Umfeld von Wardanjan an sich heißt es, dass sich die Beziehungen mit dem Präsidenten von Bergkarabach, Araik Arutjunjan, und mit Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan nicht ganz etabliert hätten. Und bereits nach den heftigen Personalveränderungen in Arzach wurde er für zu viele zu einem unliebsamen in der selbstausgerufenen Republik. Sein Rücktritt erfolgte in der vergangenen Woche. Und wie armenische Experten meinen, könne man ihn nicht als eine Erfüllung der Forderung von Baku ansehen, obgleich sie eine gewisse Rolle spielen konnte.
Ruben Wardanjan selbst bezeichnete seine kurzzeitige Tätigkeit in Arzach als eine fruchtbare. Nach seinen Worten sei es gelungen, die roten Linien zu bestimmen, die Stepanakert nicht überschreiten dürfe. Als einen besonderen Erfolg hielt er die Unterbindung des Zugangs für eine Reihe von Personen Bergkarabach zu den Geldströmen. „Ihnen ist der Sauerstoff abgedreht worden. Und jetzt, nach meinem Rücktritt, trinken sie sicherlich vor Freude nicht nur einen Tag“, erklärte Wardanjan. Er betonte, dass sein Kommen nach Arzach eine Aktualisierung des Bergkarabach-Problems im internationalen Maßstab gefördert hätte. Wardanjan unterstrich, dass sich Baku bis dahin geweigert hätte, Verhandlungen mit Stepanakert zu führen. Jetzt aber sei es zu ihnen bereit. Der Milliardär gab zu verstehen, dass er nicht am Patriotismus der Führung der nichtanerkannten Republik zweifele, schloss aber mögliche Fehler nicht aus. Wardanjan teilte gleichfalls mit, dass er sich nicht anschicke, Bergkarabach zu verlassen.
Ungeachtet der optimistischen Beurteilung der Situation durch Toiva Klaar bleibt die Lage in Bergkarabach eine schwere. Die Stromversorgung ist in der nichtanerkannten Republik scheinbar wiederhergestellt worden. Es gibt aber keinerlei Garantien dafür, dass dies für lange sein wird. Die Sache ist die, dass sich Armenien mit der Stromversorgung von Bergkarabach befasst. Die gesamte Infrastruktur befindet sich jedoch in jenen Gebieten, die im Ergebnis des 44-Tage-Krieges unter die Kontrolle von Baku geraten sind. Dies hatte die aserbaidschanische Seite voll und ganz ab dem Tag der Blockade von Bergkarabach ausgenutzt. Und im Bedarfsfall kann es Arzach ohne Licht und Gas lassen. Der eigentliche Latschin-Korridor ist bereits fast 80 Tage durch aserbaidschanische Aktivisten blockiert, ungeachtet einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes.
An die erinnerte UN-Generalsekretär Antonio Guterres. In einer offiziellen Erklärung der Vereinten Nationen heißt es, dass die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes eine verbindliche hinsichtlich der Umsetzung sei. Und die lautet: Es muss ein ungehindertes Bewegen der Menschen, Transportmittel und Frachtgüter durch den Latschin-Korridor in beiden Richtungen gewährleistet werden.
Die Lösung der „Latschin-Krise“ verknüpft Baku mit der Schaffung eines Kontrollpunktes an dieser Trasse. Nach Aussagen des aserbaidschanischen Außenministers Jeyhun Bairamow „wird die Eröffnung eines Kontrollpunktes an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze im Raum Latschin die Spannungen in der Region verringern“. Der Minister betonte, dass Aserbaidschan bei den Verhandlungen mit Armenien zu einer „Online-Diplomatie“ übergegangen sei. „Wir übergeben einander unsere Bedingungen. Die Zeit wird zeigen, wie effektiv dies ist“, zitieren aserbaidschanische Medien den Minister. Bairamov versicherte, dass der Vorschlag über die Einrichtung des Kontrollpunktes von den internationalen Partnern Bakus als ein konstruktiver aufgefasst worden sei.
„In der Vorgehensweise Armeniens gibt es große Widersprüche, die darin bestehen, dass Jerewan einerseits Druck auf Aserbaidschan ausüben möchte, indem es die Frage auf allen internationalen Plattformen aufgeworfen hat. Andererseits, wenn Armenien ein konstruktiver Dialog angeboten wird, weicht es ihm unbegründet aus“, sagte der aserbaidschanische Minister.