Der Sicherheitsrat der Russischen Föderation bereitet sich auf einen Kampf gegen ausländische religiöse Organisationen vor, die nach Meinung von Beamten einen negativen Einfluss auf die russische Gesellschaft ausüben würden. „Die Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates beim Sicherheitsrat haben eine Reihe von Maßnahmen erörtert, die auf eine Abwehr des religiösen Radikalismus abzielen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Institution. „Unter anderem ist vorgeschlagen worden, die Arbeit zur Ermittlung von Mechanismen für eine Ausnutzung der Tätigkeit religiöser Vereinigungen durch ausländische Staaten zwecks Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes zu aktivieren“.
„Dies war zu erwarten“, sagte der „NG“ Professor Roman Silantjew von der Moskauer staatlichen linguistischen Universität. „Viele religiöse Organisationen, besonders totalitäre Sekten, besitzen eine ausländische Herkunft. Die Situation im Donbass hat gut gezeigt, dass im Falle der Notwendigkeit zu kämpfen, die Sekten dies nicht tun. Im besten Fall. Im schlimmsten aber gehen sie auf die Seite des Gegners über. Im Donbass sind auf der Basis der territorialen und der Nationalisten-Bataillone Einheiten aus Sektanten entstanden. Wahhabiten haben das Dschochar-Dudajew-Bataillon gebildet. Im Bataillon „Tornado“ sind größtenteils Heiden. Es gab starke Einheiten auf der Basis von Griechisch-Katholischen. Aber nicht eine solche Einheit war auf der Seite des Donbass gewesen“.
„Wir sehen anhand von Beispielen, dass die Heimat sowohl Nichtgläubige als auch traditionelle Gläubige verteidigen“, meint der Experte. Er stellt sich die Frage: „Aus Protest gegen die Sonderoperation haben viele westliche Unternehmen den Markt verlassen. Warum aber sind nicht die religiösen Organisationen gegangen? Gibt es da nicht irgendeinen Haken? Möglicherweise wollen sie nicht das Agentennetz verlieren. Insgesamt sind dies hunderttausende Menschen, die auf ein Kommando hin an Massenunruhen teilnehmen können. Und eventuell auch zu Diversionsakten übergehen können“. „Nach Beginn der Sonderoperation haben alle religiösen Spitzenvertreter, die dies gewollten haben, ihre Haltung zu ihr bekundet. Die traditionellen Religionen haben sich für eine Unterstützung ausgesprochen, mit seltenen Ausnahmen. Die Organisationen aber, die eine ausländische Herkunft besitzen, haben es abgelehnt, sich zu äußern, oder sind dagegen aufgetreten“, erinnerte Silantjew.
„Die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates für radikale religiöse Konzeption hängt mit der Zuspitzung des ideellen Kampfes der Anhänger des vereinigten Westens und jener, die die Interessen Russlands so oder anders verteidigen und begreifen, zusammen“, erklärte der „NG“ Roman Lunkin, stellvertretender Direktor des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften. „In der neuen Runde der Konfrontation können die früheren Organisationen in einem völlig anderen Licht gesehen werden. Gegen Russland kämpfen schon nicht nur an der ideologischen, sondern auch an der realen Front Islamisten, Paganisten (Heiden). Es gibt auch militante protestantische Pastoren (zum Beispiel Gennadij Mochnenko, ein einstiger Geistlicher aus Mariupol, und andere). Es gibt jene, die die Subkultur des Satanismus imitieren oder verfolgen. Sie alle unterscheiden sich nur wenig hinsichtlich des Grades der Aggression gegen Russland und die Russen. Daneben gibt es ganze Vereinigungen, die recht lautstark Russland verurteilen, solche wie die ukrainischen und lettischen „Neue Generation“-Kirchen (die im vergangenen Jahr in der Russischen Föderation als unerwünschte Organisation eingestuft wurden)“.
Der Experte berichtete, dass „in verschiedenen westlichen Ländern sowohl ukrainische als auch einheimische Ideologen und unsere emigrierten Landsleute aktiv radikale politische Konzeptionen dazu entwickeln, wie und warum man Russland bestrafen müsse, darüber, dass die Idee von der „russischen Welt“ Häresie ist“. „Mehr noch, dem Schutz der traditionellen geistigen Werte, darunter vor einem ausländischen Einfluss, ist ein großer Abschnitt in der Strategie für die nationale Sicherheit der Russischen Föderation aus dem Jahr 2021 gewidmet“, fügte Lunkin hinzu. „Daran erinnert der Sekretär des Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew jedes Mal in seinen Interviews. Diese Ideen werden schrittweise in die Praxis umgesetzt, und die aktuelle Situation ist ein fruchtbarer Boden für ihre Entwicklung“.
Konstantin Bendas, Bischof des Russischen Verbands der Christen des evangelischen Glaubens, ist seinerseits der Auffassung, dass die Mitteilung des russischen Sicherheitsrates „erlaubt, den Vektor des gesetzesschöpfenden Denkens auszumachen. Dies ist die Suche nach Feinden, in diesem Fall im religiösen Umfeld“. „Die Formulierung über die „Aktivierung der Arbeit zur Ermittlung von Mechanismen für die Ausnutzung der Tätigkeit religiöser Vereinigungen durch ausländische Staaten für eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes“ klingt nicht schlecht“, betonte ironisch der Vertreter der protestantischen Vereinigung. „Ich unterstütze: ermitteln Sie, unterbinden Sie! Aber irgendwie kommt da einem die Geschichte mit der Ausweisung des betagten Landwirts, des Baptisten Helmut Boehringer, aus Russland im Jahr 2019 in den Sinn. Er hatte 25 Jahre in unserem Land gelebt. Seine Frau und Kinder sind Bürger Russlands. Worin hatte sein Einmischen in die Angelegenheiten des Landes bestanden? Dass er mehrere Hektar von Boden im Ural bearbeitete und Kartoffeln anbaute? Dass sich in seinem Haus mehrere Mitbewohner seines Dorfs sonntags versammelten und zusammen die synodale Bibel lasen?“. „Beginnend ab dem Jahr 2016, mit den sogenannten Gesetzesänderungen von Jarowaja und Oserow (Politiker die die Kremlpartei „Einiges Russland“ vertreten – Anmerkung der Redaktion), bestand das Problem mehr nicht in den Buchstaben des Gesetzes, sondern in der Möglichkeit und dem Recht, diese Buchstaben x-beliebig auszulegen, jegliche Äußerungen jeglichen Menschen zu einem religiösen Thema als eine missionarische Tätigkeit zu bestimmen“, betonte Bendas in einem Gespräch mit der „NG“.
In derartigen Fällen, in denen sich das Problem der staatlichen Sicherheit mit der Notwendigkeit überschnitt, die verfassungsgemäße Glaubensfreiheit zu sichern, verwiesen Juristen und Menschenrechtler auf die Unrechtmäßigkeit einer Verwendung von Formulierungen, die religiöse Bewegungen in einem unschönen Licht darstellen. Es scheint, dass der russische Sicherheitsrat auch in dieser Richtung eine Initiative an den Tag legt. „Als perspektivreiche Richtungen für eine wissenschaftliche Durcharbeitung wird die Sektion des Wissenschaftlichen Rates die Frage nach einer Verankerung von Basisbegriffen in der russischen Gesetzgebung herauslösen, die mit einer Bekämpfung radikaler religiöser Konzeptionen zusammenhängen, solcher wie „religiöse destruktive Sekte“, „ausländische religiöse Organisation“, „traditionelle Religion (Konfession)“ und „nichttraditionelle Religion (Konfession)“, „religiöser Extremismus“, „religiöser Radikalismus“ und „religiöser Fundamentalismus““, heißt es in der entsprechenden Mitteilung auf der Internetseite dieser staatlichen Institution.
Nach Meinung von Silantjew ändere dies nichts. „Hinsichtlich der Termine: Es gibt das Gesetz. Und es gibt – sagen wir einmal – die Definitionen des Obersten Gerichts. Da gibt es all diese Termini. Sie erfordern keine Präzisierung in den Gesetzen. Sie werden aber in einem Gutachten verwendet“, erinnerte der Experte.
Lunkin ist seinerseits der Meinung, dass das „beim Wissenschaftlichen Rat des Sicherheitsrates verkündete Bestreben, eine ganze Reihe von Begriffen in die Gesetzgebung einzuführen – von „Sekte“ bis „Fundamentalismus“ – bereits mehrfach erklungen war. Es ist aber unmöglich, alle diese Definitionen in das Gesetz aufzunehmen, ohne die gegenwärtige Rechtsgrundlage zu zerstören. Und einige Begriffe, solche wie „religiöser Extremismus“ sind bereits de facto in der Gesetzgebung vertreten“. „Das Wichtigste in diesem Fall ist die Bestimmung darüber, dass die Glaubensfreiheit kein Instrument für das Zufügen von Schaden am Staat sein darf und die Zahl der radikal eingestellten Bürger nicht vermehren darf“, sagte der Religionsexperte.
Hier aber die Meinung eines Vertreters einer religiösen Organisation: „Die Versuche, in der föderalen Gesetzgebung solche Begriffe wie „religiöse destruktive Sekte“, „traditionelle und nichttraditionelle Religion“, „religiöser Extremismus“ usw. zu verankern, sind in den letzten 20 Jahren regelmäßig unternommen worden. Und alle Konfessionen, alle Religionswissenschaftler hatten ernsthaft und begründet auf den unwissenschaftlichen Charakter hingewiesen, dass dieser Schritt inakzeptabel und gefährlich ist“, meint Bendas. „Dies sind nicht mehr als Etiketten, der Versuch, die Gläubigen und Konfessionen in eine erste und eine zweite Sorte aufzuteilen sowie ein System der Erniedrigung und Unfreiheit zu schaffen“ (was im Grunde genommen für Russland unter Wladimir Putin schon fast eine Realität ist – Anmerkung der Redaktion). „Aber jene Experten gibt es schon nicht mehr. Folglich wird man sie (die von Patruschew & Co. angestrebten Gesetzesänderungen – Anmerkung der Redaktion) unter Beifall annehmen können“, betonte traurig der Bischof.
„Ich werde nicht überrascht sein, wenn für die Realisierung dieser Initiativen in Russland bald irgendeine spezifische Behörde mit einem Etat und umfangreichen Vollmachten nach dem Vorbild von beispielsweise dem 2002 etablierten französischen Miviludes – eines Staatlichen interministeriellen Ausschusses zur Überwachung und Bekämpfung gefährlicher Entwicklungen bei Sekten, der dem Innenministerium zugeordnet ist — geschaffen wird“, fügte er hinzu. „Ich hatte die Gelegenheit, mich mit dem Leiter eben dieser Kommission zu treffen. Wobei er mich als einen Kollegen empfing und mit solch einem Eifer und Lachen berichtete, wie es gelinge, jegliche Person und jegliche Organisation – inklusive der Römisch-katholischen Kirche – sowie kommerzielle Firmen unter den Begriff „sektiererische Abweichungen“ zu bringen…“.
Die „NG“ wandte sich zwecks Kommentare auch an andere religiöse Organisationen, die offiziell in Russland registriert sind. „In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen-Kirche – Anmerkung der Redaktion) in Russland weist man jegliche Formen pseudoreligiösen Extremismus zurück“, erklärte Sergej Antamanow, Direktor für Öffentlichkeitsarbeit dieser religiösen Vereinigung. „Wir nehmen aktiv an gesellschaftlichen und interreligiösen Veranstaltungen an unterschiedlichen Orten in Moskau und in den Regionen teil. Gemeinsam mit zuverlässigen Partnern realisieren wir Projekte zur Gewährung von Hilfe für Flüchtlinge aus den Regionen des Donbass. Wir sind bestrebt, einen wirksamen Beitrag dort zu leisten, wo dies erforderlich ist“. „Was die Vorsichtigkeit angeht, die mitunter hinsichtlich der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zum Tragen kommen kann, kann ich betonen, dass dies meistens dann erfolgt, wenn die Menschen nicht mit ihrer Glaubenslehre oder Tätigkeit in Russland vertraut sind“, fügte Antamanow hinzu. „Die Kirche ist wie auch andere in Russland wirkende religiöse Vereinigungen in allen entsprechenden Organen in mehr als 40 Regionen der Russischen Föderation registriert worden. Wir durchlaufen auf ständiger Grundlage alle möglichen und notwendigen Überprüfungen. Dabei sind wir offen für einen Dialog und stets bereit, etwas zu erläutert, zu präzisieren, damit eine richtige Vorstellung über das Wirken der Kirche in Russland besteht“.
„In dem Fall, wenn entsprechend den Ergebnissen einer öffentlichen Diskussion die einen oder anderen zusätzlichen Initiativen in der russischen Gesetzgebung, die die religiösen Vereinigungen betreffen, verankert werden, werden die Spitzenvertreter der Kirche und die Gläubigen in ganz Russland das Gesetz erfüllen“, versicherte der Vertreter der religiösen Bewegung, die umgangssprachlich als Mormonen bezeichnet wird. „Letztlich sind die Gemeindemitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Russland, ja und auch in der ganzen Welt durch ihre Gesetzestreue bekannt“.