Moskau und Kiew haben Bedingungen für eine Fortsetzung der Verhandlungen genannt. Nach Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij seien sie möglich, wenn die Frage nach einer Beendigung der Kampfhandlungen auf dem Tisch liegen werde. Die russische Seite erklärte, dass sie von Kiew eine Antwort auf den unterbreiteten Vertragsentwurf erwarte. Und der Sprecher des Kremls Dmitrij Peskow betonte, dass Kiew die Moskauer Forderung anerkennen und erfüllen müsse. Derweil werden in der Ukraine Initiativen zur Einschränkung des russischen Einflusses in der Kultur und im religiösen Leben vorgeschlagen.
Wladimir Selenskij ist entsprechend einer Version des Magazins TIME zu den einhundert einflussreichsten Menschen des Jahres 2022 gerechnet worden (https://time.com/collection/100-most-influential-people-2022/#leaders-5). Zuvor hatte er in einem Videoauftritt den Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums in Davos von der Vorbereitung von Plänen hinsichtlich Handlungen der Kiewer Führung im Falle seiner Ermordung berichtet. Selenskij teilte gleichfalls mit, dass er bereit sei, sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zwecks Erörterung nur einer Frage – der nach der Beendigung der Kampfhandlungen – zu treffen.
In einem Gastbeitrag des TIME-Magazins schrieb US-Präsident Joe Biden: „Mit Präsident Selenski haben die Menschen in der Ukraine ein Staatsoberhaupt, das ihrer Tapferkeit und ihrer Widerstandsfähigkeit würdig ist, während Bürger über das ganze Land hinweg… für ihr Zuhause und ihre Freiheit kämpfen“. Zuvor hatte bei einem Online-Briefing im Ukrainischen Haus am Rande des Weltwirtschaftsforums Selenskij zu Plänen für den Fall seiner Ermordung gesprochen. Nach seinen Worten hätten er sich selbst, der Premier und der Parlamentschef vorab vorbereitet und aufgeteilt. „Wir haben das Ministerkabinett in zwei Teile aufgeteilt, dies sind zwei Doubles, damit das Land selbst vor solchen Ergebnissen geschützt sein kann“, teilte das ukrainische Staatsoberhaupt mit.
Er erklärte erneut, dass er bereit sei, sich mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu treffen, ohne den in Moskau „keinerlei Entscheidungen getroffen werden“. Solch eine Begegnung könne jedoch stattfinden, nur wenn auf dem Verhandlungstisch eine Frage sein werde – die über eine Beendigung der Kampfhandlungen. „Das ist alles. Über mehr gibt es nichts zu reden“, resümierte Selenskij.
Wie der Berater des russischen Präsidenten und Chef der Delegation der russischen Unterhändler Wladimir Medinskij anmerkte, hätte sich Moskau nie gegen Verhandlungen gesperrt, darunter auf höchster Ebene. Damit aber ein Treffen der Präsidenten erfolge, seien eine ernsthafte Vorbereitung erforderlich und Dokumente mit einem hohen Vorbereitungsgrad nötig, präzisierte Medinskij in einer Sendung des Fernsehkanals ONT. Vor einem Monat hätten die Vertreter der Russischen Föderation, fuhr er fort, der ukrainischen Seite den Entwurf eines Vertrages mit einer Reihe bereits abgesprochener prinzipieller Positionen übergeben. Seit jener Zeit hätten aber die Kiewer Unterhändler kein Streben demonstriert, den Dialog fortzusetzen. Und selbst offiziell hätte man durch sie den abgestimmten Entwurf nicht bestätigt. „Das Einfrieren der Verhandlung ist vollkommen eine Initiative der Ukraine“, sagte der Chef der russischen Delegation. Nach seinen Aussagen sei der Ball derzeit auf der ukrainischen Seite (die offensichtlich nicht bereit ist, territoriale Zugeständnisse an Moskau zu machen sowie den ultimativ erscheinenden Forderungen Russlands nachzugeben – Anmerkung der Redaktion).
Derweil dauern auf dem ukrainischen Territorium die aktiven Kampfhandlungen an. Bereits den 94. Tag. Im Zusammenhang damit bleibt auch die Frage nach der Situation um die Kriegsgefangenen aktuell (siehe auch https://ngdeutschland.de/die-ukraine-versucht-davos-mit-militartribunalen-zu-erpressen/). Nach dem vor allem durch die russischen Staatsmedien initiierten Rummel um die Arbeit des Internationalen Roten Kreuzes auf diesem Gebiet, der mehr diskreditierte als Nutzen brachte, erklärte man auch der „NG“ in der Moskauer Vertretung dieser angesehenen internationalen Organisation: „Hier muss man im Blick haben, dass ein großer Teil der Arbeit des Internationalen Roten Kreuzes mit Kriegsgefangenen vertraulichen Charakter trägt und im Verlauf eines bilateralen Dialogs mit jeder der Seiten erörtert wird. Wir veröffentlichen keine Informationen über konkrete Fälle oder die generellen Haftbedingungen. Wir informieren nicht publik sowohl über die Anzahl der von uns besuchten Kriegsgefangenen als auch über Details der Listen, die uns durch die Seiten im Konflikt vorgelegt wurden. Diese Regeln werden hinsichtlich aller Kriegsgefangenen angewandt“, berichtete man in der Moskauer Vertretung des Internationalen Roten Kreuzes. Ob freilich die russischen Staatspropagandisten bewusst ignorierten oder einfach Inkompetenz demonstrierten, steht auf einem anderen Blatt.
Derweil verschärft sich die Situation im Ukraine-Konflikt weiterhin auch in nichtmilitärischen Bereichen. Am Dienstag informierte der Synod der Orthodoxen Kirche der Ukraine über die Absicht, ein Mönchskloster auf der Basis einer der Kirchen des Kiewer Höhlenklosters, der Petscherska Lawra, zu bilden und es als Heiliges Kiewer Mariä-Himmelfahrt-Kloster der Orthodoxen Kirche der Ukraine zu bezeichnen. Wie in einer Erklärung der Synod betont wurde, berücksichtige diese Entscheidung die besondere Wichtigkeit des ausgewiesenen Heiligtums von gesamtukrainischer und weltweiter Bedeutung und sei auf „eine Überwindung der Folgen der nichtkanonischen Unterstellung dieses Klosters unter die Offiziellen des Moskauer Patriarchats“ ausgerichtet. Mit diesem Ziel werde sich weiter das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine, der Metropolit von Kiew und der ganzen Ukraine Epiphanij, an die Regierung der Ukraine mit dem Gesuch über eine Übergabe einer der Kirchen der Oberen Lawra zwecks Zelebrierung von Gottesdiensten und des Führens einer klösterlichen Tätigkeit wenden, hieß es in der Erklärung. Es sei daran erinnert, dass sich die Untere Lawra im Verantwortungsbereich der von Moskau offiziell anerkannten einzigen kanonischen Ukrainischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats befindet. In der Oberen Lawra befindet sich aber ein Museumskomplex. Das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine Epiphanij hatte bereits im Dezember des Jahres 2020 angekündigt, dass er anstreben werde, eine Übergabe beider Lawras an seine Struktur zu erreichen. Und in dem gleichen Jahr hatte das ukrainische Kulturministerium die Möglichkeit einer Exmittierung der Ukrainischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats nicht ausgeschlossen.
Übrigens, was die Kultur angeht. Die Direktorin des ukrainischen Instituts für das Buch Alexandra Koval hat in einem ihrer Interviews aufgerufen, aus den Bibliotheken des Landes die russische Klassik zu entfernen. Sie bezeichnete die Werke Puschkins und Dostojewskijs als „schädliche“. Und sie unterbreitete den Vorschlag, derartige Literatur aus allen öffentlichen und Schulbibliotheken zu entfernen, obgleich sie auch die Möglichkeit ihrer Bewahrung in Universitäts- und wissenschaftlichen Bibliotheken „für ein Studium der Wurzeln des Bösen und des Totalitarismus durch Spezialisten“ einräumte. Laut Berechnungen von A. Koval müssten über 100 Millionen Bücher eingezogen werden. Bis Ende des laufenden Jahres soll aus den Bibliotheksregalen die Literatur verschwinden, die zu Sowjetzeiten herausgebracht worden war, und danach sollen die Werke zeitgenössischer russischer Autoren folgen, die in der Russischen Föderation nach 1991 verlegt wurden. Darunter Kinderbücher, Liebesromane und Krimis. Obgleich sie eine Nachfrage genießen können. Aber so seien halt heute die Zeiten, meinte die Chefin des Ukrainischen Instituts für das Buch.