Das kremlnahe Allrussische Meinungsforschungszentrum VTsIOM hat in dieser Woche Angaben einer Umfrage über die Haltung der Bürger Russlands zu den sogenannten ausländischen Agenten vorgelegt. Im Vergleich zum vergangenen Jahr haben sich praktisch symmetrische Veränderungen in Bezug auf zwei Punkte vollzogen. Die Vorstellung, dass dies eher einheimische Verräter denn aus dem Ausland eingeschleuste Kundschafter sind, dominiert nunmehr. Wie die „NG“ in Erfahrung brachte, hatten die Soziologen dabei den Befragten beispielsweise keine solche Antwortvariante wie „ich kann dazu nichts sagen“ zur Auswahl vorgelegt. Möglicherweise ist die Darstellung gewisser Stimmungen als dominierende in der Perspektive für eine künftige Anwendung des Gesetzes über Komplizen von ausländischen Agenten nötig. Die Gesellschaft zu überzeugen, den Worten der Herrschenden, wonach das Land voller Spione sei, Glauben zu schenken, ist doch nicht so einfach.
Was für Assoziationen löst der Begriff „ausländischer Agent“ aus, hatte VTsIOM am 9. September 1600 Bürger der Russischen Föderation, ausgesucht strikt nach sozial-demografischen Parametern, telefonisch befragt. Dies war eine Überprüfung dessen, inwieweit sich die Haltung zu den „ausländischen Agenten“ im Verlauf eines Jahres nach der letzten Befragung zu diesem Thema verändert hat. Und es stellte sich heraus, dass im Jahr 2023 die Antwortvariante „Verräter/Verräter der Heimat/Landesverräter/5. Kolonne“ bereits 18 Prozent der Befragten und nicht sieben Prozent wie im Jahr 2022 auswählen. Und dagegen unterstützen die Auswahl von Charakteristika „Spion/Kundschafter“ heutzutage nur neun Prozent der Befragten, während im Jahr zuvor 14 Prozent gerade diese Variante wählten.
Es ist auffällig, dass sich diese beiden Meinungen praktisch symmetrisch verändert haben. Und insgesamt lösen die ausländischen Agenten nunmehr bereits bei 20 Prozent der Befragten „unangenehme Assoziationen“ aus. Und nicht bei 15 Prozent, wie dies im Jahr 2022 der Fall gewesen war. Obgleich beispielsweise die Vorstellung darüber, dass dies alles in allem Feinde des Volkes oder des Staates seien, nach wie vor fünf Prozent teilen. Wenn man aber genau sein will, so waren es im vergangenen Jahr sechs Prozent. Dieser Unterschied liegt aber in den Grenzen eines statistischen Fehlers. Ähnliches gilt für die Meinung darüber, dass man zu den ausländischen Agenten jene rechnen müsse, die in der letzten Zeit Russland verlassen haben. Diese Position vertraten bereits drei Prozent der Befragten. Wobei laut den Angaben von VTsIOM auch die Zustimmung zu den Aussagen „man darf sie nicht wieder ins Land zurücklassen“, „man muss sie verjagen“ oder „man muss ihnen die Staatsbürgerschaft aberkennen“ bekundet wurde.
In den vorgelegten Umfrageergebnissen wurden auch andere Zahlen präsentiert, aber ohne einen Vergleich mit dem vergangenen Jahr. Zum Beispiel sind jetzt 61 Prozent der Auffassung: „Ausländische Agenten sind eher Verräter, die für das Geld unfreundlicher Länder Lügen über unser Land verbreiten“. Und lediglich 16 Prozent denken: „Dies sind eher Kämpfer für die Bürgerrechte und die Redefreiheit in Russland, die die Herrschenden zu bestrafen versuchen, um die übrigen einzuschüchtern“. Bezeichnend ist dabei, dass die Befragten etwa zwei Lager bildeten, als die Soziologen herauszufinden versuchten, wie sich die Haltung zu den Massenmedien oder beispielsweise zu einem Künstler, die ins Register des Justizministeriums gerieten, veränderte. Es stellte sich heraus, dass dies für die einen ein wichtiger Grund ist, ihnen weniger zu vertrauen oder sich weniger für sie zu begeistern. Für andere aber hat dies überhaupt keine Bedeutung. Auch wenn letztere ein wenig überwiegen, ist jedoch unter jenen der ersten Kategorie der Anteil gerade mit radikalen Antworten größer.
Was die Struktur der Befragten angeht, so hat es da keine Überraschungen gegeben. Die ausländischen Agenten machen den jungen Menschen weniger Angst oder lösen weniger Vorsicht aus, während dies in größerem Maße unter den Menschen mittleren und hohen Alters zu beobachten ist. Und natürlich hat sich wieder einmal herausgestellt: Frauen lassen sich insgesamt etwas stärker als Männer beeindrucken oder sind, was für Meinungsumfragen, die durch solche Strukturen wie das Allrussische Meinungsforschungszentrum (VTsIOM) durchgeführt werden, aktuell ist, etwas vorsichtiger. Dabei haben natürlich recht viele Befragte die Variante „ich kann dazu nichts sagen“ ausgewählt. Wie jedoch die „NG“ herausfinden konnte, als sie sich mit den technischen Files dieser Umfrage befasste, war den Fragestellern direkt untersagt worden, den Gesprächspartnern diese Variante vorzugeben. Das heißt, dies waren eigenständige Antworten der befragten Bürger, was verständlicherweise demonstriert, inwieweit sie dem Glauben schenkten, dass sie angeblich Soziologen angerufen haben.
Insgesamt muss ebenfalls betont werden, dass die Durchführung solch einer Umfrage augenscheinlich kein Zufall ist. Es wirkt bereits ein Gesetz, dass für die Offiziellen die Aufgabe von einer Kontrolle der ausländischen Agenten zu einer Aufsicht über die Umsetzung der Verbote durch die gesamte Gesellschaft, die für die ausländischen Gesetze verabschiedet worden sind, verlagerte. Anders gesagt: Offensichtlich steht eine große Kampagne zur Ermittlung offensichtlicher und verdeckter Komplizen bevor. Und in diesem Kontext ist es wohl richtiger, die ausländischen Agenten gerade als Verräter und nicht als Spione anzusehen. Für den Durchschnittsbürger ist es schwer, den Herrschenden zu glauben, dass ringsherum Spione seien. Aber da ist es weitaus einfacher, dem zuzustimmen, dass der Mensch schwach sei und verraten könne.