Am 6. Oktober weilte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zu einem Arbeitsbesuch in Baku. Bei einem gemeinsamen Briefing erklärte sein aserbaidschanischer Amtskollege Ceyhun Bairamov, dass der Krieg in Bergkarabach „bis zum Abzug der Streitkräfte Armeniens von den okkupierten Territorien“ erfolgen werde. „Und dies ist eine „rote Linie“ für Baku“. Gleichzeitig erteilte Aserbaidschans Verteidigungsminister Zakir Gasanov den Befehl, „Handlungen zur Führung von Schlägen… unter Einsatz von Waffen mit einer großen Zerstörungskraft zu planen“.
Derweil erwiesen sich die Nacht und die erste Tageshälfte des 6. Oktober in der nichtanerkannten Republik Bergkarabach als die ruhigsten Stunden seit Beginn des Krieges. Der Pressedienst des armenischen Verteidigungsministeriums vermutete: „Nach den zahlreichen Aufrufen der internationalen Staatengemeinschaft zu einer unverzüglichen Feuereinstellung in der Zone des Karabach-Konfliktes verlief die Nacht relativ ruhig“.
Es hatte den Anschein, dass dem auch so ist. Besonders nach der Meldung über den Baku-Besuch von Çavuşoğlu. Doch die ersten Statements der ihn empfangenen Seite enttäuschten: Ein Ende des Krieges ist bisher nicht in Sicht.
„Unsere Kontakte mit meinem teuren Bruder, dem geachteten Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, seine offenen und entschiedenen Erklärungen haben der ganzen Welt gezeigt, dass Aserbaidschan nicht allein ist. Neben Aserbaidschan ist solch ein im internationalen Maßstab starkes Bruderland wie die Türkei“, erklärte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew im Verlauf seiner Gespräche mit Mevlüt Çavuşoğlu. Seinen Worten zufolge „inspiriert solch eine Unterstützung“, verleiht zusätzliche Kräfte und spielt zur gleichen Zeit eine wichtige Rolle bei der Gewährleistung von Stabilität und Wohlergehen in der Region… Die nur auf Frieden abzielende Politik der Türkei bringt bereits ihre Ergebnisse sowohl in der Region des Nahen Ostens als auch im Kaukasus. Daher demonstrieren der erneute Überfall Armeniens und die in diesem Zusammenhang entstandene Situation noch einmal, dass die Türkei sowohl in der Region als auch in der ganzen Welt zu seinen Worten steht“, sagte Alijew. Der Präsident ist der Auffassung, dass „die türkisch-aserbaidschanische Einheit ein Beispiel für die ganze Welt sein muss… Die Zukunft dieses Bündnisses wird die Hauptbedingung für die Gewährleistung eines stabilen Friedens in der Region sein“.
Mevlüt Çavuşoğlu wünschte seinerseits eine schnellstmögliche Beendigung des Krieges und erklärte, dass die Türkei in der Zukunft die Möglichkeit erhalten werde, an den aserbaidschanisch-armenischen Verhandlungen im Rahmen der Minsker OSZE-Gruppe, deren Co-Vorsitzenden Russland, die USA und Frankreich sind, teilzunehmen.
Den Besuch von Çavuşoğlu beging Baku mit einem erneuten Versuch einer massiven Offensive. „Die Streitkräfte Aserbaidschans haben gegen Mittag des 6. Oktober, wobei Reservekräfte und eine große Menge von Militärtechnik, darunter Panzer und Artillerie zum Einsatz kamen, eine großangelegte Offensive in der südlichen Richtung der Frontlinie in der Zone des Karabach-Konfliktes begonnen“, hieß es in einer Mitteilung des Pressedienstes des armenischen Verteidigungsministeriums. Laut Angaben aus Jerewan „werden die Ressourcen des Gegners methodisch und konsequent vernichtet“.
Etwas später präzisierte die Pressesekretärin des Verteidigungsministeriums von Armenien, Schuschan Stepanian, dass „die Offensive in südlicher Richtung nahe der Grenze des Irans geführt wurde“. „Laut Informationen des Verteidigungsministeriums von Arzach (Eigenname von Bergkarabach – „NG“) haben Aserbaidschans Streitkräfte unter Hinzuziehung von Reservekräften und einer großen Anzahl von Gefechtstechnik inklusive Panzer und (anderer) Waffen eine große Attacke in der südlichen Richtung zwischen Arzach und Aserbaidschan begonnen. Der Feind ignoriert auch die Sicherheit des Irans“, schrieb sie auf Facebook.
Der Iran musste natürlich dem Geschehen an seinen Grenzen Beachtung schenken. Während die früheren Erklärungen der offiziellen Vertreter dieses Staates auf die Appelle hinausliefen, das Problem friedlich zu lösen, so erklärte am Dienstag Ali Akbar Velayati, außenpolitischer Berater des iranischen Ajatollah Seyyed Ali Chamene’i, nachdem er unterstrichen hatte, dass die Bergkarabach-Frage nicht auf militärischem Wege gelöst werden könne: „Dieses Territorium wurde durch ein anderes Land okkupiert. Daher möchten wir, dass Armenien diese okkupierten Gebiete an Aserbaidschan zurückgibt. Die Lösung des Konfliktes in Bergkarabach kann nur eine politische sein“.
Allerdings könne nach Meinung von Experten eine derartige Verschiebung der Akzente durch den Wunsch ausgelöst worden sein, die Bevölkerung der nördlichen Provinzen des Irans – ethnische Aserbaidschaner – zu beruhigen.