Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Belarus erlebt extreme Säuberung»


Weißrussland erlebt „extreme Säuberung“

Die Geheimdienste verhaften Verdächtige wegen einer angeblichen Beteiligung an Diversionsakten

Dmitrij Taratorin

 

Die weißrussischen Geheimdienste haben begonnen, den Auftrag von Alexander Lukaschenko, eine „überaus strenge Säuberung“ unter jenen vorzunehmen, die am Diversionsakt auf dem Flugplatz Matschulistschi beteiligt gewesen waren, umzusetzen. Das Innenministerium berichtet über Festnahmen und Verhaftungen von Verdächtigen. Begonnen hat eine „Bearbeitung“, darunter von Verwandten und Freunden von Teilnehmern des Kastus-Kalinouski-Regiments. Derweil erklären Vertreter dieser Formation, die auf der Seite der ukrainischen Armee agiert, offen, dass sie planen würden, ihren Weg als Kämpfer in Minsk zu beenden.

Wie der offizielle Telegram-Kanal von Weißrusslands Innenministerium berichtete, habe nach dem Zwischenfall auf dem Militärflugplatz in Matschulistschi die Hauptverwaltung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption begonnen, aktiver mit den Bürgern „zu arbeiten“, die an einer „Tätigkeit extremistischer Formationen und terroristischer Organisationen beteiligt sind“.

Jewgenij Pilezkij, Abteilungsleiter in der ausgewiesenen Hauptabteilung, erzählte, dass die Vertreter der Rechtsschutzorgane gegenwärtig „verdeckte Zellen von Extremisten und deren Komplizen“ suchen würden. Vorgenommen werde gleichfalls die Suche nach „Sponsoren“ von Protestaktionen, die sich nach Meinung von Pilezkij ebenfalls in Weißrussland befinden würden. „Zu einer Zusammenarbeit mit Terroristen sind in Regel mit Söldnern verbundene Personen und Teilnehmer extremistischer Formationen in der Art von „Peramoga“ bereit. Punktuell wird die Tätigkeit von Aktivisten auch innerhalb des Landes, die Feindschaft im Internet schüren, unterbunden“, erklärte der hochrangige Vertreter aus dem Innenministerium.

Jewgenij Pilezkij unterstrich. „Wenn irgendwer innerhalb von mehr als zwei Jahren nicht die Absicht hinsichtlich einer Destabilisierung der Lage im Land aufgegeben hat und solch ein Kommando aus dem Ausland erwartet, so können wir mit Gewissheit erklären, dass er zur durch die Gesetze festgelegten Verantwortung gezogen wird“.

Es sei daran erinnert, dass Präsident Alexander Lukaschenko in der vergangenen Woche den Geheimdiensten angewiesen hat, „eine überaus harte Säuberung“ aller unzuverlässigen Elemente im Zusammenhang mit den Drohnen-Angriffen gegen ein russisches Militärflugzeug auf dem Flugplatz von Matschulistschi durchzuführen. Und nun haben die Geheimdienste nicht nur die Festnahme des Hauptverdächtigen gemeldet, sondern ihn auch in einer Sendung des staatlichen TV-Kanals „Belarus 1“ vorgeführt. Wie die Rechtsschützer erklären, hätte man den angeblichen Agenten des ukrainischen Geheimdienstes Nikolaj Schwez mit dem Tarnnamen „Gaspar“ mehrere Monate trainiert, um Objekte mit Hilfe von Drohnen zu sprengen. Es versteht sich: Der Mann, der sich mit diesem Namen auswies, hat vor der Kamera ein Geständnis abgelegt.

In der entsprechenden Reportage war erklärt worden: „Schwez haben über 20 Personen geholfen. Diejenigen, die sich im Land befunden haben, sind festgenommen worden. Eingeleitet wurde ein Strafverfahren“. Die Geheimdienste haben sich nicht darauf beschränkt. Der Pressedienst des Innenministeriums meldete, dass die Mitarbeiter Kontakte von Teilnehmern des Kalinouski-Regiments und anderer weißrussischer Formationen, die in der Ukraine kämpfen, aber auch ins Ausland gegangener Gegner der Offiziellen überprüfen würden. „In unserem Land sind Kontakte der Rebellen geblieben (in einer Reihe von Fällen sind dies Verwandte und Bekannte), die geheime Zellen für eine Unterstützung einer kriminellen Tätigkeit und das Anwerben von Bürgern für eine Teilnahme an den bewaffneten Handlungen auf dem Territorium der Ukraine bilden“, erklärte man im Innenministerium.

Derweil sind besorgniserregende Informationen im Mediziner-Telegram-Kanal „Weiße Kittel“ aufgetaucht. Der Kanal berichtet über in Weißrussland erfolgende Festnahmen von Psychotherapeuten und Psychiatern. Die Autoren des Messenger-Kanals behaupten: „Einen Teil von ihnen hat man nach den Verhören gehen lassen, einen anderen Teil – nicht. Wie viele Personen in Haft bleiben, ist unbekannt. Laut bruchstückhaften Angaben kann man von einer Festnahme von mindestens 20 Spezialisten sprechen. Gleichfalls ist bekannt geworden, dass man bei den Verhören von den Spezialisten verlangt, das Gesetz über das Arztgeheimnis zu verletzen und über „unzuverlässige“ Patienten zu informieren, die man ihnen in der Sprechstunde gewesen waren“.

Entsprechen diese Angaben der Wirklichkeit oder nicht, ist unklar. Es ist aber offensichtlich, dass die Mitarbeiter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane mit aller Ernsthaftigkeit die Anweisung des Präsidenten zu Herzen genommen und sich angeschickt haben, das Aufrührerische noch systematischer als früher auszurotten.

Die Informationen über ein solch radikales Vorgehen kommentierte für das Internetportal „Zerkalo“ (deutsch: „Spiegel“) der Politologe Valerij Karbalewitsch. Der Experte betonte: „Seit dem Zeitpunkt des Beginns der Herrschaft von Alexander Lukaschenko hat es so etwas stets gegeben. Jetzt schreiben die Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane offen darüber. Und dies belegt, dass sich der Prozess des politischen Terrors vertieft und erweitert. Dies erinnert an die Politik des revolutionären Rechtsbewusstseins der Bolschewiken. Die Anführer der Tscheka (in Sowjetrussland der Geheimdienst – Anmerkung der Redaktion) hatten Anweisungen an die Adresse der örtlichen Machtorgane ausgegeben, in denen ausgewiesen wurde, dass, wenn ein Mensch ein Vertreter der Aristokratie oder Bourgeoisie ist, keinerlei Beweise für seine Schuld nötig sind“.

Der Politologe hebt hervor, dass sich die Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane vollkommen von den Vorgaben des Präsidenten leiten lassen würden. „Faktisch ergibt sich aus seinen Erklärungen, dass alle Menschen, die in irgendeiner Weise an einer Protesttätigkeit beteiligt gewesen sind, automatisch zu Schuldigen hinsichtlich des Zwischenfalls in Matschulistschi werden. Die Hauptverwaltung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption handelt in völliger Übereinstimmung mit dieser Anweisung. In solch einem Fall werden die Verwandten der Verdächtigten auch zu Verdächtigen“, betonte der Experte.

Allerdings verleugnen die Vertreter des radikalen Teils der Opposition in keiner Weise ihre Absichten, die Macht in Weißrussland auf gewaltsamen Weg zu ändern. Dies bekräftige ein weiteres Mal der stellvertretende Kommandeur des Kastus-Kalinouski-Regiments, Wadim Kabantschuk, in seinem Interview für das Internetportal „Malanka.Media“. Er erklärte unter anderem: „Wir sind der Auffassung, dass sich Belarus zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter einer Okkupation befindet. Wir wollen das Land de-okkupieren, es zu einer normalen Entwicklung zurückbringen und die Gesetzlichkeit im Land wiederherstellen“.

Auf die Fragen, wie das Regiment nach Weißrussland kommen werde und auf welche Weise es plane, dort zu handeln, antwortete Kabantschuk: „Die Geschichte zeigt uns, wie Diktatoren fallen. Es genügt sich anzuschauen, wie die Diktaturen der Freunde Lukaschenkos im Irak oder in Libyen gefallen sind. Deren Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane, auf denen sie sich all diese Jahre gestützt hatten, verschwinden im verantwortungsvollsten Moment einfach irgendwohin. Um Tripoli hatte es keinerlei Gefechte gegeben, obgleich sie auch angedroht worden waren. So geschieht es mit den Diktaturen. Sie existieren dutzende Jahre. Und dann verschwindet auf einmal alles. Genau das Gleiche wird auch in Belarus der Fall sein“.