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Bereuender weißrussischer Oppositioneller erhielt hartes Urteil


Das Minsker Gebietsgericht hat am 3. Mai Roman Protassewitsch zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Für seine Festnahme hatte man vor zwei Jahren in Minsk das Flugzeug der irischen Airline Ryanair auf der Route Athen-Vilnius kurzfristig zur Landung genötigt. Verkündet wurden auch die Strafen für zwei seiner einstigen Mitstreiter. Freilich befinden sich letztere im Ausland. Das Schicksal der damals mit Protassewitsch festgenommenen russischen Bürgerin Sofia Sapega wird am 24. Mai entschieden, wenn ein russisches Gericht über ihre Extradierung in die Heimat entscheiden wird. Derweil ist am Vorabend bekannt geworden, dass Friedensnobelpreisträger Ales Beljazkij in eine der strengsten Strafkolonie Weißrusslands überführt wurde.

Einer der Koordinatoren der Protestaktivitäten des Jahres 2020 – Roman Protassewitsch – ist am 3. Mai durch das Minsker Gebietsgericht zu acht Jahren Freiheitsentzug in einer Strafkolonie verurteilt worden. Wie in der Anklageschrift gesagt wurde, hätten die Angeklagten, unter denen gleichfalls Stepan Putilo und Jan Rudik waren, beginnend ab dem Jahr 2020 und sich vorrangig in Polen aufhaltend, einen „Verschwörungsplan zwecks Ergreifung der Staatsgewalt in Belarus auf verfassungsfeindlichem Wege“ realisiert und in den Telegram-Kanälen NEXTA und „Belarus des Gehirns“ Informationsmaterialien veröffentlicht, die destruktive Ziele haben. Außerdem hätten sie nach Meinung der Untersuchungsorgane und jetzt auch des Gerichts die zu Protesten eingestellten Bürger aufgerufen, Terrorismus-Akte zu verüben. Unter den angelasteten Artikeln waren gleichfalls das Schüren sozialen Feindschaft und von Zwist, die Organisierung von Massenunruhen, öffentliche Aufrufe zur Ergreifung der Staatsgewalt, die Bildung einer extremistischen Formation und deren Leitung, aber auch Verleumdung und öffentliche Beleidigung des Präsidenten Weißrusslands.

Putilo und Rudik sind ihrerseits zu 20 bzw. 19. Jahren verurteilt worden. Allerdings, da sich beide außerhalb von Weißrussland befinden, werden sich diese schrecklichen Zahlen in keiner Weise auf ihr Schicksal ausweisen.

Das Schicksal von Protassewitsch war bis zur Verkündung des Urteils das hauptsächliche Rätsel geblieben. Er hatte eine wirklich weltweite Bekanntheit erlangt, als am 23. Mai 2021 ein Ryanair-Jet auf dem Flug von Athen in die litauische Hauptstadt zu einer kurzfristigen Landung in Minsk gezwungen worden war. Die weißrussischen Behörden hatten den Piloten den „Bären aufgebunden“, dass sich an Bord eine Bombe befinde. Nach der Landung wurde jedoch erwartungsgemäß kein Sprengsatz an Bord gefunden. Dafür wurden zwei Personen festgestellt und unverzüglich festgenommen, die einer Wühltätigkeit bezichtigt worden waren. Dies waren Roman Protassewitsch und seine damalige Freundin Sofia Sapega.

Für den Zwischenfall mit dem Flugzeug musste Weißrussland recht teuer bezahlen. Polens Premier Mateusz Morawiecki hatte den Vorfall als einen „Akt von Staatsterrorismus“ bezeichnet. Und US-Präsident Joseph Biden – als eine „direkte Herausforderung für die internationalen Normen“. Kurze Zeit später folgten entsprechende Sanktionen. Die EU sperrte für die weißrussischen Airlines ihren Luftraum. Die Wirtschaftssanktionen, die von den westlichen Ländern etwas später ergriffen wurden, wurden teilweise auch mit diesem Zwischenfall in Verbindung gebracht.

Später wurde Sofia Sapega zu sechs Jahren Strafkolonie unter der Anklage des Administrierens des Telegram-Kanals „Schwarzbuch von Belarus“ verurteilt. Sie wandte sich mit einem Begnadigungsgesuch an Alexander Lukaschenko. Dem wurde nicht stattgegeben. Am 14. April wurde jedoch dem Antrag auf ihre Übergabe an Russland zwecks weiterer Verbüßung der Strafe in der Heimat entsprochen. Und jetzt wird am 24. Mai bereits das Presnja-Stadtbezirksgericht von Moskau über die Frage ihrer Überstellung entscheiden.

Allerdings verbindet Protassewitsch und Sapega schon gar nichts mehr. Roman heiratete kurze Zeit nach der Festnahme eine ganz andere Frau. Und praktisch sofort nach der Festnahme distanzierte er sich von Mitstreitern, bekundete Reue für das Begangene und ließ sich auf eine Zusammenarbeit mit den Untersuchungsorganen ein. Dank alle dem hatte er sich bis zur Gerichtsverhandlung nicht hinter Gittern, sondern unter Hausarrest befunden.

Freilich bleibt die Frage hinsichtlich seines weiteren Schicksals offen. Schließlich ist er nach der Verkündung des Urteils nicht im Gerichtssaal festgenommen worden und verließ ihn ohne eine Bewachung, wobei er es abgelehnt hatte, mit Journalisten zu sprechen.

Am 26. April hatte er in seinem Schlusswort erneut aktiv Reue bekundet und Vorwürfe gegen seine ehemaligen Mitstreiter vorgebracht. Protassewitsch unterstrich, dass seine „ideelle Einstellung und in einer gewissen Weise Leutseligkeit von anderen Menschen schlicht und einfach für das Erreichen ihrer Ziele ausgenutzt worden sei, in einigen Fällen gar für eigennützige Ziele“. Und seine Rede beendete er mit solchen eindringlichen Worten: „Ich verstehe, dass es unmöglich ist, eine Bestrafung für die Sachen, die ich begangen habe, zu umgehen. Dennoch bitte ich, die Situation mit Verständnis zu behandeln und eine gerechte Bestrafung zu beschließen, die mit keinem Freiheitsentzug verbunden ist“.

Dennoch ist das Urteil, das gegen ihn gesprochen wurde, ein recht strenges, obgleich die Haftdauer bezeichnenderweise weniger als die Hälfte der Strafen ist, die seine einstigen Mitstreiter erhielten. Allerdings ist dies eventuell noch nicht das Ende der Geschichte, denn Protassewitsch hatte so aufrichtig appelliert, ihm die Möglichkeit zu geben, alles wiedergutzumachen, so dass die Perspektive einer Begnadigung nicht auszuschließen ist.

Derweil hat am 3. Mai in einem anderen Gericht von Minsk, die Behandlung des Strafverfahrens gegen den Programmierer und Administrator des Telegram-Kanals „Auf Belarussisch“, Andrej Filiptschik, begonnen. Ihm wird eine „aktive Teilnahme an Gruppenhandlungen“ angelastet, „die die öffentliche Ordnung grob verletzen“. Nach der Festnahme hatte er vor einer Videokamera eingestanden, dass „er mindestens fünfmal an nichtsanktionierten Massenveranstaltungen teilgenommen hatte“. Es ging dabei um die Ereignisse des Jahres 2020. Und der Inhalt seines Kanals wird durch die Untersuchungsbehörden als ein Propagieren der „lateinischen Schrift und von Hass gegen das russischsprachige sozio-kulturelle Umfeld“ bewertet.

Und am Vorabend hatte man den Friedensnobelpreisträger des Jahres 2022 Ales Beljazkij sowie seine Mitstreiter Valentin Stefanowitsch und Wladimir Labkowitsch in Straflager gebracht. Wie Menschenrechtler mitteilen, wird der Nobelpreisträger die Haft in der Strafkolonie Nr. 9 in Gorki verbüßen, die durch ihre extrem strengen Haftbedingungen bekannt ist. Es sei daran erinnert, dass der Vorsitzende der Menschenrechtsbewegung „Vesna“ (deutsch: „Frühling“) Beljazkij zu zehn Jahren strenger Lagerhaft verurteilt wurde, sein Stellvertreter Valentin Stefanowitsch – zu neun Jahren und der Jurist und Koordinator der Kampagne „Menschenrechtler für freie Wahlen“, Wladimir Labkowitsch – zu sieben Jahren. Keiner der Verurteilten hatte die Schuld zu allen angelasteten Paragrafen eingestanden.