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Bergkarabach kann die Blockade nicht durchbrechen


Die Nationalversammlung (Armeniens Parlament) war am 14. Dezember zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Sie galt der Situation rund um den Latschin-Korridor, der Armenien mit Bergkarabach verbindet. Seit dem 12. Dezember wird die Trasse durch aserbaidschanische Umwelt-Aktivisten blockiert. Am Mittwoch riefen Washington und Paris Baku auf, den Korridor ohne Vorbedingungen zu öffnen. Und die russischen Friedenstruppen versuchen, die Situation zu kontrollieren.

Die Geschichte hatte Anfang Dezember begonnen, als eine Gruppe aserbaidschanischer Ökologen beschlossen hatte, die Lage an mehreren Lagerstätten und Förderfeldern in Bergkarabach zu überprüfen, die Stepanakert ausbeutet. Die armenische Seite hatte den Verdacht, dass dies eine ungewöhnliche Expedition sei. Im Ergebnis dessen hatte man die aserbaidschanische Gruppe nicht zu einer der Lagerstätten durchgelassen. Sie blockierte als Antwort die Trasse, die Bergkarabach mit Armenien verbindet, — den Latschin-Korridor.

Dies stellte sich als eine Warn-Aktion heraus. Die Trasse wurde bald freigegeben. Aber bereits am 13. Dezember versperrte eine aserbaidschanische Initiativgruppe grundlegend den Korridor, wobei sie dort ein Zeltlager aufschlug. Laut Angaben der armenischen Seite hätten sich der Initiativgruppe verkleidete Mitarbeiter von Sicherheits- und Rechtsstrukturen Aserbaidschans angeschlossen. Im Ergebnis der Unterbrechung des Latschin-Korridors war Bergkarabach somit in eine Transportblockade geraten. In die selbstausgerufene Republik gelangen keine Lebensmittel und Medikamente. Hunderte Fahrzeuge sind auf der Trasse steckengeblieben. Nicht nach Hause zurückkehren konnten über 40 Kinder, die in diesen Tagen beim Kinderwettbewerb der Europäischen Rundfunk- und Fernsehunion (EBU) – beim Junior Eurovision Song Contest 2022 – in Jerewan gewesen waren.

Zur gleichen Zeit wurde die Lieferung von Gas nach Bergkarabach unterbrochen. Mit der Gasversorgung der nichtanerkannten Republik befasst sich Armenien, doch die Pipeline verläuft durch Gebiete, die nach dem 44-Tage-Krieg des Jahres 2020 unter die Kontrolle von Aserbaidschan kamen. Daher begann man sich bei Baku, für die Ursachen des Ausbleibens von Gas zu interessieren. Das aserbaidschanische Staatsunternehmen „Azerigaz“ distanzierte sich von der Situation, wobei es lediglich betonte, dass sich Jerewan mit der Versorgung von Karabach befasse und man die Frage an die armenische Seite richten müsse.

Wie dem nun auch sei, mit den Brennstoffen und Lebensmitteln hat sich aufgrund der Blockade eine schwierige Situation ergeben. Gemäß einer Anweisung der Regierung werden die Tankstellen in erster Linie SMH-Fahrzeuge abfertigen. Laut Aussagen des Staatsministers von Bergkarabach, Ruben Wardanjan, sind die Behörden gezwungen gewesen, die Ausbildung in den Schulen und Hochschulen zu unterbrechen, die mit Erdgas beheizt werden. Es funktionieren nur jene Schulen, die mittels auf der Grundlage von Brennholz arbeitenden Öfen beheizt werden. Der Präsident der nichtanerkannten Republik, Araik Arutjunjan, hat sich an die armenischen Organisationen im Ausland mit der Bitte gewandt, die Offiziellen ihrer Länder über die katastrophale Lage von Bergkarabach zu informieren.

Bei der Sondersitzung hat Armeniens Parlament die Russische Föderation aufgerufen, Handlungen zur vollständigen Erfüllung der trilateralen Erklärung (der Spitzenvertreter Russlands, Aserbaidschans und Armeniens) zu unternehmen. Es sei daran erinnert, dass in dieser Erklärung auf die Notwendigkeit des Funktionierens des Latschin-Korridors als einzige Transportarterie, die Bergkarabach mit Armenien verbindet, hingewiesen wird.

Armeniens Parlamentschef Alen Simonjan teilte mit, dass Russland beabsichtige, eine Erklärung zur Situation im Latschin-Korridor abzugeben. Simonjan erinnerte daran, dass das State Department der USA und Frankreichs Außenministerium Aserbaidschan aufgerufen hätten, die Trasse freizugeben. Laut seinen Angaben beabsichtige auch die Russische Föderation, eine analoge Erklärung abzugeben. Das armenische Volk warte auf diese. Er schloss nicht aus, dass in der Zukunft möglicherweise „andere Varianten für eine Gewährleistung der Sicherheit von Bergkarabach, die alternative zur russischen Friedensmission sind“, erörtert werden müssten. Der Parlamentschef hält es im Zusammenhang damit für notwendig, ein „ernsthaftes Gespräch“ mit den Partnern zwecks Erörterung eines internationalen Mandats von Beobachtern in der Region zu führen. Zu einer möglichen Variante könnte die Entsendung einer Beobachter-Mission unter Beteiligung von Vertretern aus zwölf Ländern – von den Mitgliedern der Minsker OSZE-Gruppe – nach Bergkarabach werden. Armenien sei zweifellos auch an der Verlängerung des Mandats der russischen Friedenstruppen in Bergkarabach interessiert, erklärte ein Vertreter der regierenden Partei „Zivilvertrag“.

Der Präsident von Bergkarabach hat einen Erlass über Maßnahmen unterzeichnet, die unter den Bedingungen des verhängten Kriegszustands realisiert werden sollen. Auf ein besonderes Arbeitsregime werden die Machtorgane, Verteidigungsobjekte und staatliche Einrichtungen umgestellt. In der Republik wird das Recht auf einen ungehinderten Reiseverkehr eingeschränkt, verstärkt wird der Schutz lebenswichtiger Objekte, und das Streikrecht und die Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt. Derweil erklärte der Fraktionschef der Regierungspartei „Zivilvertrag“, Aik Kondschorjan, gegenüber Journalisten, dass der beste Mechanismus für eine Klärung der Fragen ein direkter Dialog zwischen Baku und Stepanakert sei. Nach Meinung von Beobachter könne Baku für eine Freigabe des Latschin-Korridors von Jerewan Schritte zur Öffnung des sogenannten Sangesur-Korridors (einer Magistrale, die über das Territorium von Armenien verläuft und Aserbaidschan mit seiner Autonomie Nachitschewan verbindet) verlangen. Nicht zufällig hatte Präsident Ilham Alijew beim Dreier-Gipfel mit den Staatsoberhäuptern von Turkmenistan und der Türkei in der Stadt Turkmenbaschi den Kollegen von Erfolgen beim Anlegen des Sangesur-Korridors berichtet. Nach seinen Worten werde Aserbaidschan auf seinem Territorium die Arbeiten im Jahr 2024 abschließen. Da würden eine neue Fernverkehrsstraße, Bahnstrecken und ein Flughafen in Latschin eingeweiht werden.

Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses für den vorliegenden Beitrag verschlechterte sich die Situation im Latschin-Korridor. Laut Aussagen einer Quelle der „NG“ in Bergkarabach seien gefährliche Bewegungen an der Berührungslinie mit Aserbaidschan zu beobachten. Als Geiseln der Situation haben sich die russischen Friedenstruppen erwiesen. Ihre möglichen Handlungen, um den Korridor zu deblockieren, würden für Baku inakzeptabel sein und vom Wesen her die Frage über eine Verlängerung des Mandats und des Aufenthalts in Bergkarabach ad acta legen. Aserbaidschan spricht bereits schon jetzt darüber, dass es nicht beabsichtige, die Aufenthaltsdauer der russischen Blauhelme in Bergkarabach zu verlängern. Und wenn es zu irgendeinem Zwischenfall komme, werde Baku ganz bestimmt seine Position nicht revidieren. Andererseits ist aber die Tatenlosigkeit der russischen Friedenstruppen für die armenische Seite inakzeptabel.

Und am Donnerstag kommentierte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, die Lage: „Wir sind über die Blockierung des Latschin-Korridors besorgt. Ausgelöst wurde sie durch die Meinungsverschiedenheiten der Seiten hinsichtlich der Frage nach der Ausbeutung von Erdlagerstätten“, erläuterte sie. „Russlands Verteidigungsministerium und das russische Friedenskontingent arbeiten in all diesen Tagen aktiv an einer Deeskalation der Lage. Wir rechnen mit einer Wiederherstellung vollwertiger Transportverbindungen in der allernächsten Zeit“.