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Bidens Präsidentschaft beschleunigt die für Russland gefährliche Grüne Revolution


Der Ökologie-Plan des wahrscheinlich neuen US-Präsidenten Joseph Biden sieht Investitionen von zwei Billionen Dollar in den Übergang der Energiewirtschaft zu erneuerbaren Energiequellen vor. Die Europäische Union bereitet sich ebenfalls vor, Steuern und Verbote für die traditionellen Kohlenstoff-Technologien, die zu Treibhausgasemissionen führen, einzuführen. Russland ist bisher nur zur Grünen Revolution bereit, die nun auch von den USA unterstützt werden wird. Die Beamten der Russischen Föderation arbeiten vorerst an einer eigenen Strategie für eine Entwicklung mit dem Einsatz von weniger Kohle, die die Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 auf 79 bis 90 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern soll. Laut Angaben westlicher Analytiker habe die Coronavirus-Pandemie den Übergang der entwickelten Länder zu kohlenstoffarmen Technologien beschleunigt. 

Die Vorbereitung einer normativen Grundlage für eine Klima-Regelung befinde sich auf einem hohen Stand der Bereitschaft und man müsse so schnell wie möglich ein einheitliches System für das Monitoring und die Erfassung der Treibhausgase schaffen, erklärte am Freitag Gennadij Ordenow, Mitglied des Ausschusses des Föderationsrates (Oberhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) für Agrar- und Lebensmittelpolitik sowie Naturnutzung. Während Russland aber nur Rechenschaft über einen hohen Grad der Fertigstellung von Dokumenten ablegt, realisieren andere Länder bereits ihre ökologischen Ziele. 

„In Europa gehen die Investitionen in fossile Brennstoffe zurück, während die Investitionen in erneuerbare Energiequellen beibehalten werden“, betonen Analytiker der Rating-Agentur Standard & Poor’s (S & P). Während noch im Jahr 2015 die Investitionen in fossile Brennstoffe in der EU über 100 Milliarden Dollar ausmachten, in erneuerbare Energiequellen – rund 70 Milliarden Dollar und in die Elektroenergie – etwa 60 Milliarden Dollar, so investiert man jetzt in die fossilen Brennstoffe nur rund 60 Milliarden Dollar, wobei die erneuerbaren Energiequellen und die Elektroenergiewirtschaft hinsichtlich der Finanzierungsumfänge praktisch nichts verloren haben. 

Die Europäische Investitionsbank hat bereits bekanntgegeben, dass sie ab 2021 auf Investitionen in Öl- und Gasprojekte verzichten werde. Eine derartige Entscheidung ist lediglich eine Illustrierung des generellen Trends. Das Interesse an erneuerbaren Energiequellen wird unter anderem auch durch den Rückgang ihrer Selbstkosten aufrechterhalten. In den letzten zehn Jahren sind die Selbstkosten für Photovoltaik-Systeme um 82 Prozent gesunken, für Systeme zur Solarstromspeicherung – um 47 Prozent. Und die Eigenkosten von Onshore-Windparks sind um beinahe 40 Prozent gefallen, von Offshore-Windparks – um 30 Prozent.

Der wahrscheinliche Präsidentenwechsel in den USA wird die Wichtigkeit der ökologischen und grünen Programme in der ganzen Welt ändern. Der Wahlkampf von Joe Biden basierte unter anderem auf ökologischen Initiativen. Für seinen Plan zur Bekämpfung der Klima-Krise beabsichtigt er, zwei Billionen Dollar im Verlauf von vier Jahren auszugeben. Gemäß dem ökologischen Plan soll die Elektroenergie in den Vereinigten Staaten bereits bis zum Jahr 2035 vollkommen nur aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden. 

Ein anderer, nicht weniger wichtiger Punkt ist die Einschränkung für das Niederbringen von Äl- und Gasbohrungen auf dem Boden und in Gewässern, die der föderalen Regierung gehören. Dies sei eine bedeutsame Einschränkung, meinen Experten. Laut Schätzungen des US-Innenministeriums belief sich im Jahr 2019 die Förderung von Erdöl in den föderalen Gebieten auf rund drei Millionen Barrel am Tag, die von Erdgas – auf 13,2 Milliarden Kubikfuß (ca. 373,78 Millionen Kubikmeter) am Tag, was ein Viertel des gesamten Erdöls und ein Achtel des gesamten geförderten Gases in den USA ausmacht. Das Verbot für Bohrarbeiten bedeutet, dass die Öl- und Gasförderung in den Bereichen der föderalen Gebiete innerhalb weniger Jahre fast vollkommen eingestellt wird. 

„Wenn ein vollkommenes Verbot für die Erteilung neuer Genehmigungen für Bohrarbeiten verhängt wird, so wird sich bis zum Jahr 2035 die Öl- und Gasförderung auf dem Schelf um 30 Prozent verringern“, meint man in der Consulting-Firma Wood Mackenzie.  

Es bestehen auch die Befürchtungen, dass sich unter Biden die Investitionen für die Erschließung von öl- und gashaltigen Schieferlagerstätten verringern werden, was zu einem erheblichen Rückgang der Förderung führen werde. Verringern könne sich auch die Investitionsattraktivität der Schieferöl- und Schiefergas-Unternehmen, die ohnehin mit Schulden belastet seien, meinen Experten. Überleben würden nur jene Schieferöl- und Schiefergas-Unternehmen, die in der Lage sind, einen positiven Cash Flow unter den Bedingungen geringer Preise für Energieträger zu generieren. Und von solchen gibt es ganz wenige, weniger als ein Viertel.

Im Unterschied zu vielen anderen Ländern kann sich Russland bisher keiner aktiven Klima-Politik rühmen. Es ist eher das Gegenteil der Fall. Unser Land formuliert faktisch nur formale Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemissionen. Gemäß dem geltenden Präsidentenerlass soll die Russische Föderation bis zum Jahr 2030 die Emissionen um 30 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Dabei werden ohne eine staatliche Unterstützung die Emissionen im Jahr 2030 76 Prozent im Vergleich zu 1990 ausmachen, und bis zum Jahr 2050 – bereits 90 Prozent. Solche Orientierungspunkte sind unter anderem in der staatlichen Entwicklungsstrategie der Russischen Föderation mit einer geringen Emission von Treibhausgasen enthalten. Derartige Kriterien sehen mehr als erstaunlich aus, wenn man berücksichtigt, dass allein im Jahr 2017 unsere Emissionen rund 52 Prozent der Werte von 1990 ausmachten, berechnete man in S & P. 

Eine derartige Zielsetzung charakterisiert Russland als einen Staat, der bisher zu keiner radikalen Verringerung der Emissionen bereit ist und sogar plant, sie zu erhöhen, betonen Experten der Moskauer Wirtschaftshochschule (HSE). Der Übergang der meisten Länder zu Kohlenwasserstoff-Null-Emissionen führt zu einer Verringerung der Nachfrage nach traditionellen Energieressourcen, was sich negativ auf die Exportperspektiven der Russischen Föderation auswirken wird. Nach Schätzungen der HSE könne Russland aufgrund des Übergangs der Welt zu einer Kohlenwasserstoff-Neutralität und der Verringerung der Nachfrage nach Rohstoffen beim Export von Energieressourcen ein Viertel seiner Einnahmen verlieren. Und die Verluste des russischen BIP könnten bis zu 0,5 Prozent im Jahr ausmachen. 

Die sogenannte Energiewende (die Verringerung des Einsatzes fossiler Brennstoffe und die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energiequellen an der Stromerzeugung) ist ein stabiler Trend, erinnern die Experten der „NG“. „Die Bewegung in dieser Richtung hat schon lange begonnen. Und es wird keinen Weg zurück, keine Rückkehr zu einer maximalen Nutzung von Erdöl geben“, sagt Artjom Dejew, Leiter des analytischen Departments von AMarkets. 

Seiner Meinung nach werde mit dem Erdöl genau das gleiche wie auch mit der Kohle passieren, deren Anteil an der weltweiten Stromerzeugung unablässig zurückgehe. „Dies hängt einerseits mit der allgemeinen Bewegung zur Verringerung der Schadstoffemissionen zusammen. Andererseits besteht eine Ursache in der Erschöpfung der Lagerstätten von leicht förderbarem Erdöl. Es wird immer schwieriger, die Rohstoffe zu fördern. Es müssen neue Lagerstätten mit tiefliegendem Erdöl und komplizierten Klimabedingungen erkundet werden. Das bedeutet seinen hohen Endwert“, erzählt der Experte, wobei er präzisiert, dass gerade mit diesem Umstand alle Veränderungen auf den globalen Märkten der Energieressourcen in den letzten Jahren zu erklären seien.

Eine Kohlenwasserstoff-Neutralität streben nicht nur die Länder der Europäischen Union an, sondern auch China, Japan, Südkorea und jetzt auch die USA, fährt Jurij Melnikow, Senior Analytiker des Zentrums für Energiewirtschaft der Moskauer Management-Schule „Skolkovo“, fort. „Diese Ziele sind absolut real. Dies ist keine Laune von Politikern und keine einmalige „Marotte“ (wie man sie in Russland mitunter darzustellen versucht), sondern das Produkt eines breiten gesellschaftlichen Konsenses, der auf dem Kampf gegen die Klimaveränderung beruht“, unterstreicht er. „Laut Prognosen des Szenarios für die Energiewende wird der Export von Energieressourcen aus Russland im Jahr 204 um 15 Prozent in realen Mengen unter dem Stand von 2019 und um 17 Prozent hinsichtlich der finanziellen Einnahmen liegen“, sagt Melnikow.

Die Verringerung der Nachfrage nach Kohlenwasserstoffen kann für die russischen Offiziellen zu einer unangenehmen Überraschung werden. „In Bezug auf die 37 hochentwickelten Länder aus der Organisation für Wirtschaftszusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind die Parameter der Nachfrage nach Kohlenwasserstoffen als Brennstoff für Russland recht unerfreuliche. Die gesamten Spitzennachfrage hinsichtlich der OECD machte 41,4 Millionen Barrel am Tag aus. Für den Anfang wird sie bis auf 38,2 Millionen bis zum Jahr 2030 zurückgehen. Und dann bis auf 35,5 Millionen Barrel/Tag bis zum Jahr 2035. In der Perspektive wird sich die Nachfrage bis auf 30 Millionen Barrel/Tag in den weiteren zehn Jahren verringern. Im Ergebnis können die Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl und Erdölprodukten in diesem Teil der Welt um mehr als 28 Prozent einbrechen“, prognostiziert Pjotr Puschkarjow, Chefanalytiker von „TeleTrade“. 

„Wenn man den Trend zur Entwicklung der erneuerbaren Energiequellen nicht berücksichtigt, kann man strategisch in der Zukunft verlieren. Ein Verzug kann sowohl zu Verlusten für den Haushalt (Exportzölle, MWSt., Gewinnsteuer) als auch zu einer Zunahme des technologischen Zurückbleibens führen“, pflichtet Igor Golubtschenko, Dozent an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst, bei. Die Wichtigkeit der ökologischen Tagesordnung wird heute nicht bestritten, und die Folgen der Klimaveränderung wird jeder selbst spüren. Allein die Zunahme der Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche um 2,5 Grad führt zu einer Verringerung der globalen Pro-Kopf-Einkommen im Durchschnitt um 1,3 Prozent, berechnete man im Internationalen Finanzinstitut.

Eine länderübergreifende Untersuchung des Internationalen Währungsfonds zeigte, dass eine ständige Zunahme der mittleren globalen Temperatur um 0,04 Grad (wobei eine kumulative Zunahme um drei Grad im Zeitraum ab dem Jahr 2020 bis zum Jahr 2100 angenommen wird) das weltweite BIP pro Kopf der Bevölkerung um mehr als sieben Prozent bis zum Jahr 2100 verringere.