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Bischkek führt eine Handsteuerung für die Wirtschaft ein


In Kirgisien bereitet man sich vor, in der Wirtschaft ein Notstandsregime zu verkünden, das heißt Maßnahmen zur sogenannten Handsteuerung einzuführen. Dies ist eine politische Entscheidung, die zu den anstehenden Parlamentswahlen getroffen wurde, deren Abhaltung für den 31. Oktober dieses Jahres geplant ist. Die Maßnahme ist eine erzwungene. Das Land steht an der Schwelle zu einem Default. In der Gesellschaft nimmt die Unzufriedenheit zu. Die Offiziellen müssen Wirtschaftsparameter aufbessern und das Elektorat beschwichtigen.

Die Abgeordneten von Kirgisiens Parlament haben den Herrschenden ein unschätzbares Geschenk gemacht, indem sie gleich in drei Lesungen den Gesetzentwurf über die Verhängung eines Ausnahmezustands in der Wirtschaft des Landes verabschiedeten. Eingebracht hatten ihn der Vizepremier und Minister für Wirtschaft und Finanzen Akylbek Dschaparow. Für die Annahme der Gesetzesvorlage stimmten 81 der 83 anwesenden Abgeordneten, wonach die Volksvertreter ihre Ferien begannen. Solch eine Einmütigkeit hinsichtlich eines wirtschaftlichen Notstands ist nicht zufällig.

Am Vorabend waren die Parlamentarier fast in vollständiger Zahl beim Präsidenten Sadyr Dschaparow in der Staatsresidenz „Ala-Artsch“ zu Gast gewesen. Das Staatsoberhaupt hatte sie zu einem Gespräch eingeladen, nachdem die parlamentarische Mehrheit gleich mehrere Gesetzentwürfe zur Überarbeitung zurückgegeben hatte. Die Unterhaltung sei, wie die Volksvertreter selbst sagen, eine „herzliche“ gewesen und mit dem Verzehr von Beschbarmak (gekochtes und in feine Stücke geschnittenes Fleisch, das mit gekochten Nudeln gemischt und mit einer Zwiebelsauce abgeschmeckt wird, ein Nationalgericht bei den Kirgisen – Anmerkung der Redaktion) – für das Abendessen war speziell ein Pferd geschlachtet worden – beendet worden.

Außer dem Gesetz über den Notstand in der Wirtschaft verabschiedeten die Parlamentarier das Gesetz „Über den Schutz vor falschen und unglaubwürdigen Informationen“ – im Land wird eine Zensur auf allen Ebenen eingeführt. Und noch ein neues Gesetz – „Über das Ministerkabinett“ – verschafft den Staatsbeamten uneingeschränkte Privilegien. Beispielsweise kann ein Mitglied des Ministerkabinetts keinen Verfolgungen ausgesetzt werden. Und wenn es staatliche Auszeichnungen besitzt, kann es nicht verhaftet werden. Eine Ausnahme bildet ein Hausarrest. Für seine Arbeit stehen ihm eine finanzielle Vergütung aus dem Haushalt der Republik und ein soziales Paket, das eben von diesem Ministerkabinett festgelegt wird, zu.

Gesonderte Beachtung verdienen die Gesetze, die die Tätigkeit des Schogorku Kenesch (des Parlaments) regeln. Von nun an hat das Parlament kein Recht, die Regierung zu bilden. Aufgehoben werden solche Begriffe wie Koalitionsmehrheit oder oppositionelle Minderheit.

Den größten Schock löste jedoch in der Öffentlichkeit das erwähnte Gesetz „Über die Verhängung eines Ausnahmezustands in der Wirtschaft des Landes“ aus, da es dem Ministerkabinetts erlaubt, nicht nur den „Notstand“ auszurufen, sondern auch über 20 Prozent der Einnahmen und Ausgaben des Budgets ohne eine Abstimmung mit dem Schogorku Kenesch zu verfügen, die Steuersätze und Bedingungen für staatliche Einkäufe zu ändern usw. Die Hauptidee besteht darin, dem Ministerkabinett die meisten Vollmachten in der Zeit des sogenannten Ausnahmezustands in der Wirtschaft zu übergeben. Allerdings erlaubt die gegenwärtige Lage des Landes bereits, das Regime einer besonderen Regulierung in der Wirtschaft einzuführen.

Bereits im Mai hatte Präsident Dschaparow in einer Botschaft an das Volk erklärt, dass „die Wirtschaft von Kirgistan in einem erbärmlichen Zustand mit einem Haushaltsdefizit von 20 Milliarden Som (rund 199 Millionen Euro) ist“, und versprach, ein eigenes Modell für die Entwicklung des Landes zu finden. Die Zeit vergeht, doch es gibt immer noch keine Lösung. Man muss eiligst Parlamentswahlen abhalten. Die gegenwärtige Zusammensetzung hat ein Jahr über die Legislaturperiode hinaus gearbeitet. Im Haushalt klafft ein Loch. Es gibt kein Geld für die Auszahlung von Löhnen und Gehältern an die Beschäftigten aus den Bereichen, die aus dem Staatshaushalt finanziert werden, sowie Renten und Beihilfen. Der Reservefonds musste angetastet werden. Ohne eine Abstimmung mit dem Parlament haben die Staatsbeamten 300 Millionen Dollar für Löhne und Gehälter sowie Renten im Juni und im Juli dieses Jahres aus dieser eisernen Reserve abgezapft. Die Situation kann sich im August und September wiederholen. Zu dieser böswilligen Gesetzesverletzung hatten sich die Offiziellen entschlossen, da sie eine Volksaufruhr befürchten. „Ein zweites Mal wird es nicht klappen, solch einen Trick ohne eine Abstimmung mit dem Parlament vorzunehmen. Daher war dieser Gesetzentwurf vorgeschlagen worden“, sagte der „NG“ eine Quelle in der Regierung Kirgisiens. Nach deren Worten rechnen die Offiziellen mit den sechs Milliarden Som, die von Geschäftsleuten im Gegenzug für die Freiheit konfisziert wurden. Diese Summe befindet sich auf einem Konto des Staatskomitees für nationale Sicherheit. Nach Annahme dieses Gesetzes können der Präsident oder der Finanzminister diese Gelder auf die Branchen umverteilen, die einer kurzfristigen Hilfe bedürfen. Dabei wird es schwierig werden, die Ausgabe dieser Mittel zu kontrollieren.

Minister Akylbek Dschaparow, der die Annahme dieses Gesetzes kommentierte, ist dagegen der Auffassung, dass dies dem Ministerkabinett erlauben werde, schnell die Situation in der Wirtschaft zu verbessern und präventive Maßnahmen zu ergreifen, ohne es zu einer Unzufriedenheit der Menschen und deren Meetings kommen zu lassen. Nach seinen Worten sei er nicht dagegen, für die Verhängung eines Ausnahmezustands in der Wirtschaft eine Zustimmung vom Parlament zu bekommen. „Doch das Schogorku Kenesch geht in die Ferien. Dann werden Wahlen stattfinden. In der Wirtschaft können die nächsten vier Monate zu schweren werden. Und wenn wir ab Januar nicht die Renten anheben, kann alles schlimmer werden“, sagte Akylbek Dschaparow auf der letzten Parlamentssitzung. Er denkt, dass ein direktes staatliches Eingreifen in die marktwirtschaftlichen Instrumente reale Ergebnisse bringen könne, was durch die erfolgreichen Erfahrungen Südkoreas, Singapurs, Usbekistans und Russlands bestätigt werde.

„Die kirgisische Staatsmaschinerie ist eine äußerst schwerfällige und kann nicht operativ auf Herausforderungen und einen Ausnahmezustand reagieren. Dies hat die Pandemie anschaulich gezeigt, als man hinsichtlich elementarer Fragen über Monate hin keine Entscheidungen treffen konnte. Und man musste aber schnell handeln. Daher wurde dieser Gesetzentwurf unterbreitet, damit effiziente Lösungen und Entscheidungen nicht in der Bürokratie und bei Abstimmungen und zahllosen Rückversicherungen untergehen“, sagte der „NG“ Kubat Rachimow, Direktor des Zentrums für strategische Lösungen „Applicata“.

Beobachter sind der Auffassung, dass die Offiziellen Kirgisiens eine neue Pandora-Dose geöffnet hätten. Dabei hätten es die Herrschenden nicht einmal für nötig gehalten, den Gesetzentwurf mit der Business-Community abzustimmen. Seine Befürchtungen bekundete der Business-Ombudsmann Kirgisiens, Großbritanniens ehemaliger Botschafter in Kirgisien Robin Ord-Smith: „Unsere erste Beurteilung des Gesetzentwurfs über die Einführung des Begriffs eines Ausnahmezustands in der Wirtschaft hat einzelne Momente ausgemacht, die potenziell die Subjekte der Wirtschaft und die Landeswirtschaft insgesamt negativ beeinflussen können“. Gemäß der unterbreiteten Gesetzesvorlage könne das Ministerkabinett beispielsweise die Höhe der Steuern und Gebühren verändern, aber auch zusätzliche Pflichten und Restriktionen für die Steuerzahler einführen. Es wäre logisch anzunehmen, dass unter Berücksichtigung der schwierigen Lage im Land, wenn schon das Regime eines Ausnahmezustands verhängt wird, man auf eine Verringerung der Steuerlast hoffen könne. In den vorgeschlagenen Änderungen gebe es aber nicht ein Wort darüber. Es sei aber die Möglichkeit der Einführung zusätzlicher Steuern festgeschrieben worden.

Experten vermuten, dass das Ziel der Änderungen sei, dem Ministerkabinett die Möglichkeit zu geben, im Falle einer Schrumpfung des Haushalts die Wirtschaft mit neuen Steuern zusätzlich zu belegen. Die Wirtschaftsvereinigungen Kirgisiens haben dazu aufgerufen, das Gesetz zu überarbeiten. „Das Gesetz untergräbt das Investitionsklima und die Bereitschaft der Wirtschaft, Steuern zu zahlen, was die Risiken ihres Verschwindens in der Schattenwirtschaft erhöht“, sagte Rachimow.