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Bischkek orientiert sich von Moskau auf Ankara um


Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, plant einen offiziellen Kirgisien-Besuch. Besuchen werde die Türkei auch Kirgisiens Präsident Sadyr Dschaparow, im Rahmen der Eröffnung der Weltnomaden-Spiele vom 29. September bis 2. Oktober. Dies teilte der kirgisische Außenminister Scheenbek Kulubajew in Ankara mit.

Kulubajew hatte der Türkei einen offiziellen Besuch abgestattet, den er als einen sehr produktiven bewertete. Nach seinen Worten empfinde Kirgisien seit dem Zeitpunkt der Erlangung der Unabhängigkeit Unterstützung seitens der Türkei. Und „einige Mängel in den Beziehungen werden im Ergebnis von Gesprächen auf Regierungsebene beseitigt“. „Wir wissen um die empfindliche Position der Türkei in Bezug auf die FETÖ (deutsch: „„Fethullahistische Terrororganisation“, einer in der Türkei verbotenen Organisation des islamischen und gesellschaftlichen Aktivisten Fethullah Gülen, dessen Anhänger Ankara in der ganzen Welt, darunter in Kirgisien verfolgt – „NG“)“, sagte Kulubajew. „Unser Sicherheitsdienst arbeitet intensiv an dieser Frage“, unterstrich der Minister.

Es sei daran erinnert, dass am Vorabend des Ankara-Besuchs von Sadyr Dschaparow im Juni 2021 Vertreter türkischer Geheimdienste mit Unterstützung der kirgisischen auf dem Territorium Kirgisiens das FETÖ-Mitglied mit einer Staatsbürgerschaft der Türkei und Kirgisiens, den Direktor des Bildungsnetzwerkes „Sapat“, Orhan Inandy, entführt hatten, wobei sie in diesem Zusammenhang von Dschaparow gefordert hatten, die FETÖ als eine terroristische Organisation anzuerkennen. Nicht eine einzige Regierung Kirgisien hatte es bis dahin zugelassen, eigene Staatsbürger im Interesse eines ausländischen Staates auszuliefern.

Der Leiter des kirgisischen Außenministeriums erklärte gleichfalls, dass Bischkek der Vermittlungsrolle der Türkei im russisch-ukrainischen Konflikt große Bedeutung beimesse. „Die Außenpolitik von Präsident Erdogan bei der Lösung von Problemen der weltweiten Lebensmittelkrise und die Schritte zu einem Frieden in der Ukraine lösen Stolz aufgrund Ihrer weitsichtigen Politik aus“. „Wir wollen uns über die Türkei für die Welt öffnen“, zitiert die türkische Nachrichtenagentur „Anadolu“ Kulubajew.

Bischkek betrachtet Ankara nicht nur als einen politischen, sondern auch als einen wirtschaftlichen Verbündeten. Bei den Gesprächen mit dem türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay erörterte Kulubajew Möglichkeiten für eine Nutzung der nationalen Währungen im Handel zwischen beiden Ländern und der Bildung eines türkisch-kirgisischen Investitionsfonds. „Ich hoffe, dass wir zum Jahresende auf einen Stand des gegenseitigen Handels im Umfang von einer Milliarde Dollar kommen werden“, fügte Kulubajew hinzu. Details der Vereinbarungen werden im Verlauf einer Tagung des hochrangigen Rates für strategische Zusammenarbeit „Türkei – Kyrgystan“ erörtert werden, die bis Ende dieses Jahres durchgeführt werden soll. Allerdings macht es Sinn, daran zu erinnern, dass diese Pläne bereits vor einem Jahr diskutiert worden waren, jedoch sind sie in der verstrichenen Zeit ohne eine jegliche Vorwärtsbewegung geblieben.

Dr. sc. hist. Alexander Kobrinskij, Direktor der Agentur für ethnonationale Strategien, ist der Auffassung, dass Kirgisien Geld brauche. Und das Ziel dieses Türkei-Besuchs sei ein recht merkantiles. „Geld in jeglicher Form – in Form von Anleihen, Investitionen, Hilfe usw. Kirgisien braucht verzweifelt Geld. Sein nationaler Haushalt beläuft sich auf rund 6,7 Milliarden Dollar. Dabei erreichen die Staatsschulden rund 5,2 Milliarden Dollar. Allein deren jährliche Bedienung verlangt 500 Millionen Dollar. Und wie Wirtschaftsexperten sagen, darf der maximale Umfang der Staatsschulden für ein sicheres Funktionieren des Staates keine 60 Prozent des Etats übersteigen“, sagte Kobrinskij der „NG“.

Nach Meinung des Experten entstehe der Eindruck, dass Kirgisien wie auch die anderen Republiken Zentralasiens nach einem sicheren Landeplatz suche, um sich irgendwem anzuschließen, aus Furcht vor der Zukunft Russlands. „Aus ihrer Sicht befindet sich die Türkei unter den heutigen Bedingungen in einer vorteilhafteren Lage als Russland. Aber Herumhastende und Schwankende mit einer sich verändernden Haltung zugunsten der Situation lösen stets eine vorsichtige Einstellung ihnen gegenüber aus und lösen keine Achtung aus“, ist der Experte überzeugt.

Was aber das Interesse der Türkei angeht, so ist hier alles mehr oder weniger offensichtlich. „Die pantürkischen Ideen und Stimmungen in der Türkei, die durch die konsequente Politik für die Etablierung eines Großen Turans verstärkt wurden, das „Sammeln“ der Turk-Völker unter der Führung der Türkei erfordern die Gewährleistung der Sicherheit im weiten Sinne dieses Wortes. Damit ist der systematische Kampf der Türkei gegen jegliche Opponenten, gegen die Gegen sowohl des derzeitigen Regimes als auch des Staates (die FETÖ, Kurden usw.) in der ganzen Welt zu erklären. Kirgisien ist hier keine Ausnahme. Und dieses Ringen kann nur Achtung aufgrund seiner Konsequenz und Entschlossenheit auslösen. Es ist ein sichtbares Beispiel für Russland, die dies bei der Türkei erlernen muss“, meint Alexander Kobrinskij.

Außerdem wird die Türkei sich bemühen, die logistischen Wege auf dem Territorium Zentralasiens, die aus China in die EU und andere Länder verlaufen, unter Kontrolle zu bekommen. Das menschliche Potenzial sei nach seinen Worten gleichfalls für die Türkei wichtig – sowohl als Konsument von Erzeugnissen als auch als billige Arbeitskraft. „Das Thema der billigen Arbeitskräfte erlangt eine überaus wichtige Bedeutung. Von daher auch der Kampf gegen die russische Sprache im postsowjetischen Raum. Aus dieser Sicht ist Kirgisien für die Türkei auch von Interesse“, unterstrich Kobrinskij, wobei er anmerkte, dass es für Kirgisien Sinn mache, sich darüber Gedanken zu machen, was für einen Platz es in den einen oder anderen Bündnissen einnehmen wird, welches die Folgen einer Annäherung mit den einen oder anderen Ländern sein werden, wie sich dies auf die Kultur, die Traditionen der Kirgisen und das historische Positionieren auswirken wird.

Der Politologe Mars Sarijew sagte der „NG“, dass es schwierig sei, Kulubujew bei der Beurteilung der türkischen Politik nicht beizupflichten. „Das geschickte politische Manövrieren von Erdogan bringt die Türkei in die Kategorie der erfolgreichen Staaten. Selbst Moskau begreift sie als einen zeitweiligen Verbündeten“, unterstrich Sarijew. Das Wichtigste bestehe aber nach Meinung des Politologen in der anstehenden Unterzeichnung eines Abkommens über den Beginn des Baus einer Eisenbahnstrecke, die China mit der Türkei verbinden wird. Das historische Dokument werde Anfang September in Samarkand unterschrieben.

„Kirgisien wird in diesem Projekt zu einem Transitland. Diese Frage ist im Vorfeld in Baku bei Gesprächen von Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew mit Kirgisiens Vizepremier Bakyt Torobajew erörtert worden. Diese Frage wurde gleichfalls in Ankara besprochen. Die neue Route wird einen großen Einfluss auf die geopolitische Situation ausüben. Eines der Schlüsselländer Zentralasiens – Usbekistan – erhält Zugang zur asiatisch-pazifischen Region. Diese Veränderungen können eine Destabilisierung in der Region auslösen“, betonte Sarijew.

Die Sache ist die, dass die Seewege noch seit Zeiten der Großen geografischen Entdeckungen durch den Westen kontrolliert werden, insbesondere durch die USA. Dies passe nach Aussagen des Politologen Washington nicht, zumal sich mit der Inbetriebnahme dieser Bahnstrecke die Positionen Chinas verstärken würden, unter anderem in Zentralasien. Dies sei auch nicht Russland ganz recht. Außerdem werde die neue Strecke zu einem Konkurrenten für die Transsib. Außen vor bleibe auch Kasachstan, da der Hauptzugang Chinas nach Europa über die kasachische Stadt Horgos (auch: Korgas) verlief. „Folglich werden sich weite Kreise auf dem geopolitischen Feld ziehen“, resümierte Sarijew, wobei er daran erinnerte, dass sich eine analoge Situation vor dem Ersten Weltkrieg ergeben hatte, als das deutsche Kaiserreich eine Bahnstrecke nach Bagdad gebaut hatte.