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Bischkek wird zu einer russischen Stadt


Länder Zentralasiens nehmen bereits die zweite Migrationswelle von Bürgern Russlands seit Beginn der militärischen Sonderoperation der Russischen Föderation in der Ukraine auf. Anfangs war dies eine Reaktion des Business auf die gegen Russland verhängten Sanktionen des Westens. Ab dem 21. September setzte eine Flucht vor der Teilmobilmachung ein. Zu einer Hauptrichtungen wurde Kasachstan, dass die längste Grenze mit Russland und fünfzig Grenzübergangsstellen besitzt. Dieses Land wurde jedoch für Bürger Russlands auch zu einem Transitland auf dem Weg nach Kirgisien und Usbekistan. „Bischkek ist zu einer russischen Stadt geworden“, sagte der „NG“ der kirgisische Politiker Rawschan Dschejenbekow.

Seite Jahresbeginn sind in Kirgisien 184.000 Bürger Russlands eingetroffen, teilte man im Department für die Anmeldung der Bevölkerung beim Ministerium für digitale Entwicklung Kirgisiens mit. Dabei sei dies, wie Rawschan Dschejenbekow gegenüber der „NG“ anmerkte, für die Republik nicht kritisch, da sich mehr als eine Million kirgisischer Bürger zum Jobben in Russland befinden würden. Zum einzigen Problem wurde das Mieten von Unterkünften. Die Preise sind um das 3- bis 4fache angestiegen. Und es ist problematisch, nicht nur in der Hauptstadt Bischkek, sondern auch am Issyk-Kul eine freie Wohnung zu finden. „Insgesamt ist die Lage eine ruhige. Es besteht keine Gefahr für die nationale Sicherheit, sagte der 52jährige kirgisische Politiker.

Die Bürger Russlands an sich würden nach seinen Worten wie verlorenen aussehen und Hilfe benötigen. Die Einheimischen verwehren sie ihnen nicht. Im Gegenteil, in den sozialen Netzwerken kursieren Appelle, die asiatische Gastfreundschaft zu demonstrieren. „Die kirgisischen Offiziellen reagieren in keiner Weise auf die zunehmende Landesbevölkerung, beispielsweise im Unterschied zu den kasachischen“, betonte Dschejenbekow.

Im benachbarten Usbekistan haben sich vorrangig IT-Spezialisten niedergelassen. Vergünstigungen für IT-Unternehmen und Spezialisten haben das Land zu einem Emigrationshub gemacht. In dem in der Republik geschaffenen Techno-Park kann man Arbeit finden, was den Aufenthalt im Land erleichtert. „Aber in den letzten zwei Wochen hat die Anzahl von Bürgern Russlands spürbar zugenommen. Auf den Straßen von Taschkent sind Familien mit Kindern aufgetaucht. Alle verhalten sich sehr zurückhaltend, es sind keinerlei Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung festgestellt worden. Im Gegenteil, sie zeigen sich von unseren Schönheiten begeistert, der Fülle an Früchten und Gemüse, dem schmackhaften Essen und dem herzlichen Verhältnis ihnen gegenüber. Die Angekommenen heben hervor, dass in Taschkent das Leben weitaus komfortabler bei vergleichbaren oder geringeren Ausgaben als in Moskau sei“, berichtete der „NG“ Abror Guljamow, stellvertretender Leiter der Redaktion für internationale Informationen der Usbekischen nationalen Nachrichtenagentur. Offizielle Angaben über die ins Land eingereisten Bürger Russlands stellen die usbekischen Institutionen nicht bereit. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass in den ersten 15 Tagen für die Ausländer keine Anmeldung erforderlich ist. Daher wartet das Innenministerium auf Angaben.

Bürger Russlands haben es auch bis nach Tadschikistan geschafft, welches man in der ersten Auswanderungswelle umgangen hatte. Zwecks Hilfe für die Angekommenen sind auf Telegram zwei Gruppen gebildet worden, in denen man Ratschläge erhalten kann, wie man Geld von der russischen Bankkarte MIR abheben, eine Wohnung, preisgünstige Cafés, Freizeitmöglichkeiten u. a. finden kann. Mehr noch, Tadschiken bieten nicht nur ihre Hilfe an, sondern in der ersten Zeit auch eine kostenlose Unterkunft, womit sie die Moskauer in einen Schock versetzen. Die Offiziellen Tadschikistans kommentieren in keiner Weise die Situation.

Es scheint, dass man nur in Kasachstan eine Statistik führt. Kasachstans Innenministerium teilte mit, dass nach Verkündung der Teilmobilmachung der Russischen Föderation 98.000 Bürger Russlands ins Land eingereist seien, ausgereist seien 64.000. Von ihnen haben etwas mehr als 8.000 eine Identifikationsnummer (Steuer-ID) erhalten, die ein Recht auf Arbeit und die Eröffnung eines Bankkontos gibt. Bei einem Briefing in der Hauptstadt Astana teilten Vertreter des Innenministeriums mit, dass die Situation unter Kontrolle sei, „die Einwanderungsgesetzgebung wirkt, daher sehen wir keinerlei anomale Erscheinungen hinsichtlich von Verstößen gegen die Gesetzgebung“.

Innenminister Marat Achmetschanow informierte, dass Kasachstan den russischen Behörden keine Bürger Russlands, die sich vor der Mobilmachung verbergen, ausliefern werde. Nach seinen Worten würden einer Auslieferung nur Verbrecher unterliegen, nach denen eine internationale Fahndung ausgeschrieben wurde.

Fragen zu den russischen Flüchtlingen werden bei Gesprächen mit der russischen Führung angesprochen. „Wir werden Verhandlungen mit der russischen Seite führen und werden dieses Problem im Interesse unseres Landes lösen“, sagte dieser Tage Präsident Qassym-Schomart Tokajew bei einem Treffen mit Vertretern der Öffentlichkeit im Verwaltungsgebiet Turkestan. Das Staatsoberhaupt, das mit seiner Wiederwahl am 20. November rechnet, rief die Regierung und Bürger auf, „Fürsorge über die aus Russland kommenden Bürger an den Tag zu legen und ihnen die Sicherheit zu gewährleisten“. Dies sei nach seinen Worten eine politische und humanitäre Frage. Er erinnerte an die kasachische Redensart „Gute Beziehungen mit den Nachbarn sind ein Unterpfand für Ruhe“. „Das Wichtigste ist, dass wir die Eintracht mit den Nachbarländern bewahren. Wir verlieren dadurch nichts“, sagte er und beauftragte die Regierung, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.

„Die Erklärungen der kasachischen Offiziellen sind der Versuch, auf die kursierenden Themen, in erster Linie in den sozialen Netzwerken, zu reagieren, in denen Nutzer Unmut über „dreist dahergekommenen“ Bürger Russlands demonstrieren. Es wird der Versuch unternommen, der kasachischen Öffentlichkeit zu zeigen, dass die Situation nicht dem Selbstlauf überlassen wird, die Offiziellen die Hand am Puls (der Geschehnisse) haben. Gleichfalls ist klar, dass dies die Wahlkampfkampagne ist und der Hauptkandidat Tokajew auf die Situation reagieren muss“, sagte der „NG“ Stanislaw Prittschin, wissenschaftlicher Oberassistent am Zentrum für postsowjetische Studien des Wirtschaftsinstituts der Russischen Akademie der Wissenschaft. Nach seiner Meinung könne Tokajew derzeit keine heftigen Bewegungen machen – weder in die eine noch in die andere Richtung. Die Möglichkeiten seien eingeschränkt. Für eine Deportation von Bürgern Russlands sind juristische Grundlagen nötig. Für eine Beschränkung des Zustroms – auch, und dies unter Berücksichtigung dessen, dass sich beide Staaten in der Eurasischen Wirtschaftsunion befinden. Im Rahmen dieser Organisation ist eine gewaltige Anzahl bilateraler Dokumente angenommen worden, die keine Möglichkeit geben, einseitig das Regime für den Grenzübertritt zu ändern. Dies ist ein seriöser Faktor, der die Möglichkeiten der kasachischen Offiziellen einschränkt und der die bilaterale russisch-kasachische Agenda negativ beeinflussen kann.