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Bischof Nestor verspielte das Westeuropa-Exarchat des Moskauer Patriarchats


Der Patriarch von Moskau und Ganz Russland Kirill I. hat den Westeuropa-Exarch, Metropolit Nestor (Sirotenko), des Amtes enthoben. Hinsichtlich des Bischofs ist ein kirchengerichtliches Verfahren eingeleitet worden. Ungeachtet dessen, dass die Gründe dafür, dass der Hierarch in Ungnade gefallen ist, nicht genannt wurden, ist zur Ursache wahrscheinlich das Poker-Spielen geworden.

Dass Metropolit Nestor (Sirotenko) von der Leitung des Westeuropa-Exarchats des Moskauer Patriarchats suspendiert wurde, ist am 8. November bekannt geworden. „Per Anordnung des Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill I. ist der Metropolit von Korsun und Westeuropa Nestor von der Leitung des Exarchats für Westeuropa, aber auch der Korsun- und der spanisch-portugiesischen Eparchie (Diözese) sowie der Gemeinden des Moskauer Patriarchats in Italien im Zusammenhang mit dem gegen ihn eingeleiteten kirchengerichtlichen Verfahren suspendiert worden“, heißt es in dem Text, der auf der offiziellen Internetseite des Moskauer Patriarchats veröffentlicht wurde.

Metropolit Nestor (sein weltlicher Name lautet Jewgenij Sirotenko) hatte vor drei Jahren, im Oktober 2022 die Leitung des Westeuropa-Exarchats des Moskauer Patriarchats übernommen. Zum Metropoliten wurde er im November des gleichen Jahres. Im September dieses Jahres wurde der gebürtige Moskauer 51 Jahre alt.

Er beendete 1995 ein Studium im Geschichts- und Archivinstitut der Russischen staatlichen geisteswissenschaftlichen Universität und wurde in dem gleichen Jahr am Moskauer Geistlichen Seminar immatrikuliert. 1999 wurde er zur weiteren Ausbildung an das St.-Sergius-Institut für Orthodoxe Theologie in Paris (ist weltweit die einzige französischsprachige Institution, die ein Studium der orthodoxen Theologie auf Universitätsniveau anbietet – Anmerkung der Redaktion) entsandt. Seit dieser Zeit lebte er in Frankreich, Italien und Portugal. Es war der Eindruck entstanden, dass man in der Russisch-orthodoxen Kirche in großem Maße auf Sirotenko setzte. Im März dieses Jahres vertrat er beispielsweise das Moskauer Patriarchat bei der Amtseinführung von Papst Leo XIV.

Bis zum heutigen Tag war Sirotenko in keinerlei Skandalen verwickelt gewesen. Daher hat die Nachricht, dass er nicht nur von allen Ämtern suspendiert, sondern auch in die Hände des Kirchengerichts übergeben wurde, viele überrascht. Undurchsichtigkeit kaum auch noch dadurch hinzu, dass die Ursache, weshalb gegen Metropolit Nestor eine Untersuchung eingeleitet wurde, die Internetseite der Moskauer Patriarchie nicht ausgewiesen hatte. In unterschiedlichen sozialen Netzwerken begann man herumzurätseln, durch was sich der Bischof gegenüber dem Oberhaupt der Russisch-orthodoxen Kirche schuldig gemacht hat.

Die Sache ist die, dass gewöhnlich die Entscheidungen über die Absetzung von Hierarchen der Synod, das oberste Gremium der Kirchenführung, fällt.

Wenn aber das Oberhaupt der Russisch-orthodoxen Kirche derartige Anweisungen erteilt, so bedeutet dies nur eins: Der Metropolit hat Patriarch Kirill I. schon sehr mit irgendetwas in Rage versetzt. „Er hat geheiratet“, „ist zum Patriarchat von Konstantinopel übergetreten“, „hat mit Vertretern der Orthodoxen Kirche der Ukraine gemeinsam Messen zelebriert“, „hat die Ukraine unterstützt“ usw. Vorgebracht wurden unterschiedliche Versionen. Jede von ihnen hätte tatsächlich ernste Strafen der Führung des Moskauer Patriarchats nach sich ziehen können. Möglicherweise ist jedoch der Grund ein gänzlich anderer.

Es hat sich herausgestellt, dass der Bischof der Russisch-orthodoxen Kirche schon nicht das erste Jahr nicht bloß ein Kartenspieler, sondern auch Teilnehmer internationaler Poker-Turniere ist. Er tritt dabei unter seinem weltlichen Namen auf. Auf verschiedenen internationalen Poker-Internetseiten kann man das Rating von Jewgenij Sirotenko sehen, aber auch Fotos von den einen oder anderen Turnieren. In den Teilnehmerlisten wird er als Staatsbürger Frankreichs ausgewiesen.

Laut Angaben des Global Poker Index für das Jahr 2025 belegt er den 11 303. Platz mit einem nationalen Rating von 488 Punkten und einer Gesamtpunktzahl von 601,17. Im Rating WSOP Player oft he Year 2025 hat Sirotenko den 10 402. Platz, im nationalen Rating 435 Punkte bei einer Gesamtpunktzahl von 563, 55. Beim Turnier APO Circus 500 im Jahr 2023, das in Paris stattfand, ließ der Metropolit alle übrigen 60 Teilnehmer hinter sich und belegte den ersten Platz, wofür er 58 Punkte erhielt und über 7600 Euro gewann. Im vergangenen Jahr belegte Sirotenko beim Poker-Championat Frankreichs den 20. Platz mit 34 Punkten und einem Gewinn von mehr als 4000 Euro. Ausgemacht wurde der Bischof auch bei unterschiedlichen Poker-Turnieren dieses Jahres. Russische Telegram-Kanäle berichtete in dieser Woche, dass der 51jährige gegenwärtig an einem Turnier in Panama teilnehmt, bei dem der Sieger 31.080 Dollar erhalten wird.

Liest man ausländische Internetseiten, die dem Poker-Spielen gewidmet sind, kann man sehen, dass man den russischen Bischof in der Poker-Welt hoch schätzt, wobei man ihn als beinahe „intelligentesten“ Spieler bezeichnet. Allerdings wird sein Kirchenrang an sich nirgends erwähnt.

Pokern wird zumindest in Russland als ein Glücksspiel angesehen, selbst ungeachtet dessen, dass es solch eine Richtung wie das Sport-Pokern gibt, bei dem der Teilnehmer nicht seine Gelder riskiert, sondern um den Preisfonds des Turniers spielt. Seinerzeit hat es im Land den Versuch gegeben, das klassische Turnierpokern zu einer offiziellen Sportart zu erklären. Im November des Jahres 2006 war sogar eine Föderation des Sportpokerns Russlands (FSPR) gebildet worden. Im Jahr 2009 erklärte jedoch das Sportministerium der Russischen Föderation, dass die FSPR nicht auf sportliche Leistungen, sondern auf die Organisierung von (kommerziellen) Glücksspielen ausgerichtet sei, und entfernte Pokern aus den Sportarten.

Interessant ist, dass man kurze Zeit später im Moskauer Patriarchat eine Erklärung abgab, wonach die Russisch-orthodoxe Kirche Karten- und andere Glücksspiele verurteilte. Der damalige Leiter der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen, Metropolit Hilarion (Alfejew), unterstrich in einer der Ausgaben der TV-Sendung „Kirche und Welt“: „Glücksspiele, umso mehr um Geld – dies ist ein zweifaches Übel. Einerseits ist dieses Spielen an sich sündhaft, andererseits ist dies eine unehrliche Form Geld zu verdienen und ein Betrügen eines anderen Menschen“.

Alfejew erinnerte damals auch daran, dass „man im 19. Jahrhundert während unterschiedlicher weltlicher Empfänge sehen konnte, dass auch Hierarchen der Kirche zusammen mit Profanen Préférence oder Whist spielten“. „Diese Hierarchen handelten wider der Kirchentradition. Leider folgten mitunter auch Kirchenhierarchen der weltlichen Mode. Es macht absolut keinen Sinn, ihnen nachzuahmen“, resümierte der Metropolit.

Seitdem sind mehr als 15 Jahre vergangen. Alfejew verlor selbst im Jahr 2022 das Amt des Leiters der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen und wurde nach Ungarn geschickt, wo er die Budapester Eparchie übernahm. Freilich weilte er nicht lange dort. Im Jahr 2024 kam es in Ungarn für Alfejew zu einem unangenehmen Skandal, in dem man ihn sexueller Belästigungen in Bezug auf den (Kirchen-) Diener japanischer Herkunft Georgij Suzuki, aber auch des Erwerbs teurer Immobilien bezichtigte. Danach schickte man Alfejew nah Tschechien in Rente. Es wurden übrigens keinerlei Kirchengerichtsverhandlungen gegen Metropolit Hilarion durchgeführt, man beschränkte sich lediglich auf ein Anraten: „Es ist die Aufmerksamkeit des Metropoliten darauf zu lenken, dass der Charakter seiner Beziehungen mit der nächsten Umgebung und seine Lebensweise nicht einem Mönch und Geistlichen entspricht“.

Wenn das Pokern wirklich Metropolit Nestor verdorben hat, so ist schwer vorauszusagen, was für eine Zukunft ihn erwartet. Möglicherweise wird er seinen Titel entsprechend der allseits bekannten 25. Apostelregel verlieren, der gemäß ein Hierarch abgesetzt werden kann. „Ein Bischof oder Priester oder Diakon, welcher der Hurerei, des Meineides oder Diebstahls überführt ist, werde abgesetzt, aber nicht ausgeschlossen…“ (in „Die kirchlichen Canones der hl. Apostel (Canones ecclesiastici apostolorum)“ ist dies die 18. Regel – Anmerkung der Redaktion). Allein in den letzten zwei Jahren ist gemäß diesem Punkt der Kirchenkanons, die im Grunde genommen die Leitung, Disziplin und den Gottesdienst in der Kirche betreffen, einem Dutzend Geistlicher das Amt aberkannt worden.

Mehr noch, in der russischsprachigen Version der Kanons des Sechsten Ökumenischen Konzils von Trullo (auch 2. Trullanische Synode, die im Jahr 691 oder 692 stattfand) lautet die 50. Regel: „Keiner der Profanen und Kleriker darf sich einem verwerflichen Spielen hingeben“. Wenn aber wer dabei ertappt werde, so werde der jeweilige Kleriker abgesetzt und der entsprechende Profane vom Kirchenleben ausgeschlossen.

Möglicherweise wird man Sirotenko sogar aus der Kirche ausschließen. Oder man wird ihn vielleicht bei Wahrung des Titels pensionieren. Damit würde Metropolit Nestor die Reihen der „jungen Pensionäre“ der Russisch-orthodoxen Kirche auffüllen – der Hierarchen, die aufgrund unterschiedlicher Ursachen ohne das Erreichen eines Alters von 75 Jahren pensioniert wurden. Neben dem 58jährigen Metropoliten Hilarion (Alfejew) stehen heute auf der Liste der Kirchen-Pensionäre der 51jährige Metropolit Ioann (Roschtschin), der westeuropäische Gemeinden der Russisch-orthodoxen Kirche, aber auch Eparchien des Moskauer Patriarchats in Italien, Ungarn und Österreich geleitet hatte, der 69jährige Metropolit Ignatius (Pologrudow), der bis zur Absetzung die Argentinische Eparchie der Russisch-orthodoxen Kirche geleitet hatte, der Ex-Vorsitzende des Patriarchen-Exarchats in Afrika, der 57jährige Metropolit Leonid (Gorbatschow)…

P. S.

Die orthodoxe Theologin Natalia Vasilevich sagte am Montag der deutschen Katholischen Nachrichtenagentur (KNA), dass der wahre Grund für die Suspendierung allerdings die Tatsache sei, dass Metropolit Nestor gegen die sogenannte militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine gewesen sei und Priester unterstützt habe, die den Krieg ablehnten. „Würde er aktiv den Krieg befürworten, hätte es keinerlei Maßnahmen gegen ihn gegeben, zeigte sie sich überzeugt.

Nestors Aufgaben übertrug der Patriarch vorläufig Metropolit Mark (Golowkow). Der 61jährige hat bereits Erfahrungen mit der Leitung von Eparchien in West- und Mitteleuropa. Von 2009 bis 2015 stand er der Diözese Osterreich (und Ungarn) vor. Seit Ende Dezember 2024 verwaltet er vorübergehend die Eparchie Ungarn.