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Braucht Europa russischen Wasserstoff?


Russland beabsichtigt, bald zu einem Exporteur eines sauberen Brennstoffs – von Wasserstoff, auf den heute verschiedene Märkte setzen – zu werden. Entsprechend der Energiestrategie der Russischen Föderation bis zum Jahr 2035 kann Wasserstoff zu einem neuen Energieträger, der die Kohlenwasserstoffe ersetzt, werden und eine „Wasserstoff-Wirtschaft“ gestalten. Dabei macht der Umfang der Wasserstoff-Erzeugung in der Welt um die 65 Millionen Tonnen im Jahr aus, während in Russland insgesamt rund fünf Millionen Tonnen produziert werden.

Das Hauptprinzip der Energiewende, die die Regierungen der EU-Länder, der USA und einiger asiatischer Staaten heute so aktiv zu entwickeln versuchen, ist der Einsatz eines Energieträgers, der bei der Produktion und beim Einsatz keine Kohlenstoffspur hinterlässt, aber auch ein erneuerbarer ist. Unter diese Bedingungen fallen gemäß der in Europa eingenommenen Position bisher lediglich die Sonne, der Wind und „grüner“ Wasserstoff.

Im Grunde genommen wird „grüner“ Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser unter Nutzung von Energie aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt, ohne Emissionen von CO2 oder deren geringen Menge. Da ergibt sich freilich in der Zukunft ein Problem hinsichtlich des Grades der Umweltfreundlichkeit solch einer Art von Brennstoff, da bereits immer lauter die Besorgnis bezüglich einer Verwertung beispielsweise der verbrauchten bzw. verschlissenen Solarzellen oder Flügel der Windräder, die für die Stromerzeugung durch Wind eingesetzt werden, zu vernehmen ist.

Für Russland ist es natürlich schwierig, zu einem Lieferanten von „grünem“ Wasserstoff zu werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind in der Russischen Föderation Anlagen zur Erzeugung von weniger als drei Gigawatt Strom aus erneuerbaren Energiequellen errichtet worden. Im Vergleich dazu sind es in Europa Anlagen mit einer Leistung von 836 Gigawatt bei einer alljährlichen durchschnittlichen Zunahme von mehr als zehn Prozent. Und dieses Verhältnis wird in Vielem die Möglichkeiten für eine Beteiligung der russischen Erzeuger auf dem traditionellen Markt des „grünen“ Wasserstoffs in der Zukunft bestimmen.

Eine andere Frage ist, inwieweit wird der Wasserstoff als ökologisch sauberer angesehen werden, der aus anderen Quellen erzeugt wird, selbst mit einer minimalen Beeinflussung der Umwelt. Dies wird eher eine Frage des Lobbyierens und der Untersetzung der russischen Position gegenüber den europäischen Aufsichtsbehörden und Verbrauchern sein.

Laut Auffassung von Vertretern der Gasindustrie sei der sauberste der „blaue“ oder „dunkelblaue“ Wasserstoff. „Blauer“ Wasserstoff wird aus Erdgas produziert. Im Ergebnis bekommt man Wasserstoff, aber auch Kohlendioxid als Nebenprodukt. Bei solch einer Art von Brennstoff hat das System für das Abscheiden und die Speicherung des Kohlenstoffs bzw. Kohlendioxids (Carbon Capture and Storage — CCS) eine wichtige Bedeutung.

Die europäischen Aufsichts- und Regulierungsbehörden treten heute in erster Linie gegen einen Einsatz von „grauem“ und „braunen“ Wasserstoff auf. Ersterer wird aus Erdgas durch eine Methankonversion erzeugt, „brauner“ Wasserstoff – aus Kohle. Dies sind die billigsten Verfahren. Jedoch sind sie auch die schmutzigsten: Die Erzeugung solchen Wasserstoffs bedeutet erhebliche Emissionen von Kohlendioxid in die Atmosphäre.

Einerseits besitzt die Russische Föderation einen Wettbewerbsvorteil für die Lieferung von Wasserstoff in die EU. Das Gastransportnetz, das Russland und die Europäische Union verbindet, könnte für einen Transport von Wasserstoff genutzt werden. Doch eine für die Russische Föderation einschränkende Bedingung ist das Vorhandensein oder eher das Fehlen freier Stromerzeugungskapazitäten, die mit erneuerbaren Energiequellen arbeiten, bei einer bedeutenden Inbetriebnahme neuer konventioneller Kapazitäten. So sind laut Schätzungen der Internationalen Organisation für erneuerbare Energiequellen (International Renewable Energy Agency — IRENA) im vergangenen Jahr weltweit die durchschnittlichen Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Electricity — LCOE) für küstennahe Windkraftanlagen (Onshore-Anlagen) im Vergleich zum Jahr 2019 um 13 Prozent gesunken, für die Offshore-Anlagen um neun Prozent und für die solaren Photovoltaik-Anlagen um sieben Prozent. Insgesamt sind von 2010 bis einschließlich 2020 die LCOE der neuen Solaranlagen-Projekte um 85 Prozent gesunken, während für die Onshore- und die Offshore-Windenergieanlagen um 56 Prozent bzw. 48 Prozent.

Im Zusammenhang mit dem drastischen Rückgang der Kosten für die Stromerzeugung auf der Basis erneuerbarer Energiequellen, der schnellen Erhöhung der Effizienz von Elektrolyseanlagen und den zu erwartenden wirtschaftlichen Vorteilen aufgrund der Steigerung der Produktion werden laut einer Reihe europäischer Prognosen die Elektrolyseanlagen „grünen“ Wasserstoff zu Kosten (im Lebenszyklus) auf dem Niveau von „grauem“ Wasserstoff bis zum Jahr 2025 produzieren können. Mehrere Untersuchungen belegen, dass der Preis für die Elektroenergie bei rund 20 Euro für ein Megawatt/Stunde liegen müsse, damit die Elektrolyse zu einer profitablen wird, wobei derzeit der Preis rund 50 Euro ausmacht.

Für Russland wird es schwierig werden, mit den Giganten zu konkurrieren, die gerade auf „grünen“, ökologisch sauberen Wasserstoff setzen. Zum Vergleich: Australien – einer der größten Exporteure von Energieträgern – wird laut Berechnungen von Wood Mackenzie zum Jahr 2050 Wasserstoff mit einer geringen Kohlenstoffspur über eine Summe von 50 bis 90 Milliarden Dollar exportieren. Und der Anteil dieses Landes am internationalen Markt des Wasserstoffs mit einer geringen Kohlenstoffspur kann 25 bis 45 Millionen Tonnen erreichen. Die Naturbedingungen für erneuerbare Energiequellen, die für die Produktion „grünen“ Wasserstoffs notwendig sind, sind in Australien gleichfalls weitaus besser als in den USA, in Europa oder China.

Das Portfolio für Projekte von Elektrolyseanlagen in Australien umfasst (mit Stand für das Jahr 2020) Kapazitäten von 2,94 Gigawatt. Der Umfang der australischen Vorhaben im Zusammenhang mit Wasserstoff in einem vorangeschrittenen und frühen Stadium ist in diesem Jahr um weitere 45 Prozent bis auf 4,25 Gigawatt gestiegen. Andere große internationale Lieferanten von Energieträgern schließen sich auch dem Wasserstoff-Run an.

Und es muss auch die Tatsache ins Kalkül gezogen werden, dass es Europa wahrscheinlich vorziehen würde, auf maximale Weise unabhängig vom Import von Energieträgern zu sein. Um aber „blauen“ Wasserstoff zu erzeugen, müssten die Europäer Erdgas importieren, vor allem aus Russland, während sie „grünen“ Wasserstoff bei sich im Land produzieren können, unter anderem in den Niederlanden, in Deutschland, Dänemark und anderen Ländern mit einem Zugang zum Meer, wo der Umfang der Windstromerzeugung zunimmt. Dies kann aus europäischer Sicht gut sein, erschwert aber für Russland den Wettbewerb auf dem perspektivreichen Wasserstoffmarkt.