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Brüssel bringt Lukaschenkos Wahlkarten durcheinander


In Weißrussland ist am Dienstag eine weitere Etappe der Kampagne zu den Präsidentschaftswahlen abgeschlossen worden. Die Zentrale Wahlkommission (ZWK) nannte die Namen jener, die auf den Wahlzettel kommen. Die aktive informationsseitige Attacke gegen die alternativen Kandidaten, die gegen den amtierenden Präsidenten angetreten waren, veranlasste Experten zu der Hoffnung, dass sie registriert werden würden. Zumal davon die Beziehungen von Minsk und Brüssel abhängen würden. 

Nach der Bekanntgabe der letztlich fünf zugelassenen Kandidaten – neben dem amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko sind dies Anna Kanopazkaja, Sergej Tscheretschen, Andrej Dmitrijew und Swetlana Tichanowskaja – beginnt die Wahlkampfagitation. Lidia Jermoschina, die Chefin der ZWK, gestand bereits ein, dass dies die schwerste Wahlkampagne in ihrer bisherigen Tätigkeit seit 1996 sei. 

Wie mitgeteilt wurde, hatten sieben Kandidaten Dokumente zur offiziellen Registrierung als Präsidentschaftskandidaten eingereicht. Dies waren Lukaschenko, der Ex-Chef der „Belgazprombank“ Viktor Babariko, der Vorsitzende der Bewegung „Sag die Wahrheit“ Andrej Dmitrijew, die einstige Parlamentsabgeordnete Anna Kanopazkaja, die Gattin des Autoren des YouTube-Kanals „Ein Land für das Leben“,Swetlana Tichanowskaja, der Ex-Berater Lukaschenkos und einstige Leiter des Parks für Hochtechnologien Valerij Zepkalo und Sergej Tscheretschen, Vorsitzender der Weißrussischen sozialdemokratischen Partei („Gramada“).

Von den ausgewiesenen hatte Valerij Zepkalo die größten Chancen, nicht registriert zu werden. Laut Angaben der ZWK hatte er zu wenig Unterschriften für eine Registrierung eingereicht. Von den durch ihn abgegebenen 165.000 Unterschriften hatte die ZWK lediglich 75.000 bei einer Norm von 100.000 anerkannt. Doch kurz vor der endgültigen ZWK-Entscheidung vom Dienstag erklärte man im Stab von Valerij Zepkalo, dass es ihnen gelingen werde, „Verständnis in der Zentralen Wahlkommission zu finden“. Dort würde man jene 50.000 Unterschriften überprüfen, die man nicht in der ZWK abgegeben hatte, da man der Auffassung war, dass sie ohnehin ausreichend abgegeben haben. „Ich wage anzunehmen, dass es uns gelingen wird, einen Teil der Unterschriften zu rechtfertigen“, erklärte optimistisch Alexej Urban, Leiter des Pressedienstes des Zepkalo-Stabs. „Wir haben die Hoffnung, dass wir in die nächste Runde kommen. Tag und Nacht arbeiten wir dafür“, sagte er. Außerdem hatten 52.000 Menschen auf den Aufruf des Stabs reagiert, ihre Stimme durch das Senden eines elektronischen Antrags zu verteidigen. 

Experten äußerten gleichfalls Zweifel hinsichtlich der Perspektiven für eine Registrierung des Hauptkonkurrenten des amtierenden Staatsoberhauptes – Viktor Babariko. Für die Herrschenden war die Versuchung groß, ihn bereits in dieser Phase des Wahlkampfs aus dem Rennen zu nehmen, wofür es eigentlich ausreichend gewesen wäre, irgendwelche Fehler in der eingereichten Einkommenserklärung zu finden. Doch unter Berücksichtigung dessen, dass der Ex-Bankier Figurant einer Strafsache wegen der Legalisierung illegal erzielter Einnahmen ist, war es nicht schwierig, dies auch zu tun. Freilich, solch eine Variante hat bestimmte Mängel. Erstens hatten Vertreter des Babariko-Stabs und Experten mehrfach die These wiederholt, dass eine Nichtregistrierung der stärksten Kandidaten bedeuten werde, dass Alexander Lukaschenko sie schlicht und einfach fürchte. Zweitens hatte Brüssel Minsk die Forderung gestellt, alle Kandidaten zu registrieren, wobei die Perspektiven für die weiteren Beziehungen mit dem Verlauf und den Ergebnissen der Wahlen verknüpft wurden. 

Einheimische Analytiker hatten nicht ausgeschlossen, dass die weißrussischen Offiziellen einen anderen Weg wählen und allen Anwärtern erlauben würden, das Rennen fortzusetzen. Solche Schlussfolgerungen drängten sich auf der Grundlage der Handlungen auf, die durch die Offiziellen unternommen wurden. Dies war in erster Linie die Kampagne zur Diskreditierung von Viktor Babariko. Die einheimischen Fernsehkanäle strahlten einen Beitrag, in dem ehemalige Kollegen des Ex-Bankiers über die Aufteilung gewisser Gelder erzählten, aber auch Auftritte von Wirtschaftsvertretern, die behaupteten, dass die Bank Babarikos sie durch übermäßige Zinsen und Schuldenforderungen ruiniert hätte, aus. Als einheimische Experten ihre Nachforschungen anstellten, kam heraus, dass sie sich selbst in die Insolvenz getrieben hatten, indem sie Kredite aufgenommen und diese nicht getilgt hatten. Nach Einschätzungen von Juristen sei auch in jenen Beiträgen kein strafrechtlicher Tatbestand auszumachen, in denen es um Geld ging. Aus dem Gesagten könne man die Schlussfolgerung ziehen, dass diese Gelder völlig legal überwiesen und von den Konten abgehoben worden waren. Übrigens, ein kompromittierendes Video sexuellen Inhalts tauchte auch in Bezug auf Valerij Zepkalo auf. 

Außerdem haben die Behörden selbst Posts in den sozialen Netzwerken unter ihre Kontrolle genommen. Aufgrund politisch falscher Posts sind bereits neun Journalisten und Moderatoren von Programmen der staatlichen Kanäle und selbst ein Mitarbeiter des Nationalen Kunstmuseums entlassen worden. Der Museumsführer hatte einen Appell an den Präsidenten in Versform mit der Bitte verfasst, die Bilder, die aus der Sammlung der „Belgazprombank“ beschlagnahmt wurden, „in Ruhe zu lassen“. An der Stelle sei daran erinnert, dass die Sammlung seit 2011 geschaffen wurde und über 100 Artefakte umfasst. Sie besteht aus Werken von aus Weißrussland stammenden Vertretern der Pariser Schule. Die Bank sah ihre Kulturmission darin, sie in die Heimat zurückzuholen. 

Repressalien werden auch Aktivisten der Zivilgesellschaft ausgesetzt, die ihre Empörung über die Handlungen der Propagandisten und jener Bürger bekunden, die helfen, gegen Dissidenten bzw. Andersdenkende Provokationen zu organisieren, aber auch hinsichtlich der Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane, die alle festnehmen, die sich eines inkorrekten Begreifens der politischen Situation „schuldig gemacht haben“. Am 13. Juli wertete Gennadij Kasakjewitsch, stellvertretender Innenminister Weißrusslands, im Verlauf einer Online-Konferenz solche Handlungen als „einen beispiellosen informationsseitigen Druck, ein Manipulieren der öffentlichen Meinung sowie eine Diskreditierung der Macht- und Verwaltungsorgane“. „Dank dem Internet haben solche Prozesse zusätzliche Vorteile erlangt. Dies sind vor allem die hohe Geschwindigkeit und Mobilität der Informationsübermittlung“, empörte er sich. Nach Meinung des hochrangigen Milizbeamten sei das Ziel solcher Aktionen, „die Situation im Land zu untergraben und zu destabilisieren“, „Hass der Bürger gegenüber der bestehenden Staatsordnung hervorzurufen, besonders gegenüber den Mitarbeitern der Organe des Innern und den Militärs der Truppen des Innern…, und das Bewusstsein der Mitarbeiter an sich zu untergraben, um letztlich Unsicherheit in ihnen zu säen und um Angst, die Unmöglichkeit oder den Unwillen auszulösen, die übernommene Pflicht zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verbrechensbekämpfung zu erfüllen“.

Nach Meinung von Analytikern seien die Offiziellen geneigt, den Anschein freier Wahlen zu wecken, aber die Gesellschaft so einzuschüchtern und unter Druck zu setzen, damit sich alternative Gedanken einfach keinen Weg in die öffentliche Sphäre bahnen können. Allerdings ist dies unter den Bedingungen einer breiten Entwicklung der sozialen Netzwerke recht kompliziert. Die radikale Opposition ist nach wie vor der Auffassung, dass unter solchen Bedingungen die richtigste Entscheidung wäre, wenn alle ihre Kandidatur zurückziehen und den Herrschenden nicht helfen würden, den Anschein von Wahlen zu wecken. „Der umfangreiche Einsatz administrativer Ressourcen und der staatlichen Massenmedien zu Gunsten des amtierenden Präsidenten sowie die Welle von Festnahmen, der strafrechtlichen Verfolgung und Repressalien, die gegen die Opponenten der Herrschenden, der Aktivisten der Zivilgesellschaft, Journalisten, Blogger und jeglicher aktiver Bürger gerichtet ist, bedeuten, dass die anstehenden Wahlen in keiner Weise als freie und gerechte anerkannt werden können“, heißt es in einer Erklärung der Partei „Weißrussische Volksfront“, die am 13. Juli veröffentlicht wurde.