Der Sondervertreter der Europäischen Union für die Einhaltung der Sanktionen, der irische Diplomat David O’Sullivan, hat eine Tournee durch postsowjetische Länder mit Kirgisien begonnen, wo er Gespräche mit der Führung der mittelasiatischen Republik führte. Bei einem Briefing in Bischkek informierte er über die Pläne, Usbekistan, Kasachstan, Georgien und Armenien zu besuchen, an die es Fragen im Zusammenhang mit dem Umgehen der antirussischen Sanktionen gebe. Die EU beabsichtigt, eine Kontrolle deren Einhaltung durch diese Staaten zu organisieren.
„Wir achten die Meinung der Länder, die die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützen. Wir wollen aber nicht, dass sie zu einer Plattform für ein Umgehen der Sanktionen werden“, erklärte David O’Sullivan bei einem Briefing in Bischkek am 28. März. „Es ist unsere Aufgabe, eine effektive Implementierung der Sanktionen zu sichern. Nach einer Analyse der Handelsströme konstatieren wir eine erhebliche Zunahme, die es früher nicht gegeben hatte. Kyrgystan ist einer solcher Staaten.
Es sei aber hervorgehoben, dass es nicht das einzige Land ist. Ich habe die VAE besucht, die Türkei. Ich beabsichtige, Kasachstan, Usbekistan, Georgien und Armenien zu besuchen“, zitiert das Nachrichtenportal www.24.kg den EU-Abgesandten.
Der europäische Beamte teilte mit, dass entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2022 der Warenexport aus der Europäischen Union nach Kirgisien um 300 Prozent angestiegen sei. Und hinsichtlich einiger Positionen – in Bezug auf moderne Technologien und Waren mit einer zweifachen Zweckbestimmung – um 700 Prozent. In der Europäischen Union ist man erstaunt. Sind die Bedürfnisse Kirgisiens so gestiegen oder werden die Waren nach Russland re-exportiert (weiterexportiert – Anmerkung der Redaktion)? Der Sonderbotschafter warnte, dass eine Verletzung des Sanktionsregimes Probleme nach sich ziehen werde. Nach Aussagen von O’Sullivan dürften die Sanktionen zu keiner Ursache für eine Verschlechterung der Beziehungen mit Kirgisien werden. Er teilte mit, dass die EU beabsichtige, im Herbst eine Mission zwecks Kontrolle der Warenströme in die Republik zu entsenden.
Für die Europäische Union ist es wichtig, Kommunikationskanäle mit den Offiziellen der Länder anzubahnen, die sich den Sanktionen nicht angeschlossen haben. Dabei versteht die EU, dass jeder Staat seinen wirtschaftlichen und politischen Kontext besitzt. „Die EU ist bereit, Hilfe zu gewähren, um das Potenzial der kontrollierenden Organe zu erhöhen. Sie müssen das Wesen und den Charakter der Sanktionen besser verstehen“, betonte O’Sullivan. Die europäischen Beamten planen, Gespräche über diplomatische Kanäle mit den Ländern Zentralasiens zu führen, um sie vor den Konsequenzen zu warnen.
„Früher oder später wäre die Frage nach sekundären Sanktionen an die erste Stelle gerückt. Der Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in Astana, wo er diese Frage bei einem Treffen mit Ministern der Länder Zentralasiens angesprochen hatte, zeigte, dass das Gespräch zu diesem Thema in der nächsten Zeit fortgesetzt wird. Der Bischkek-Besuch von David O’Sullivan, dies ist ein konkreter Schritt in solch einem Handlungsalgorithmus, der von den USA umfangreich ausgearbeitet worden ist. Das Gesetz „Über die Bekämpfung von Gegnern Amerikas durch Sanktionen“ ist ein systematisches und funktioniert reibungslos. Wir müssen begreifen, dass einige inakkurate Handlungen bestimmter Akteure zu sekundären Sanktionen führen werden“, sagte der „NG“ Kubatbek Rachimow, Ex-Berater von Kirgisiens Premierminister und amtierender Direktor des Zentrums für strategische Lösungen „Applicata“.
Der Experte erinnerte daran, dass in Bezug auf Usbekistan bereits ein „Case zu sekundären Sanktionen“ eröffnet worden sei. Ein in der Republik auf einen gewissen Staatsbürger der Russischen Föderation registriertes Unternehmen ist unter sekundäre Sanktionen der USA „aufgrund der Unterstützung der militärischen Anstrengungen Russlands“ geraten. In Bezug auf Kasachstan sind, wie Rachimow betonte, „mehrbändige Materialien zusammengetragen worden, die ständig aktualisiert werden“. „Und dass Kasachstan Maßnahmen zu einer präventiven Kontrolle der Warenbewegung unter Verwendung elektronischer Frachtbriefe, die ab 1. April wirksam werden, dies ist eine palliative Lösung. Die kasachisch-russische Grenze zu kontrollieren, die die längste Landgrenze in der Welt ist, ist sehr schwierig“, meint Rachimow.
Es sei daran erinnert, dass Kasachstan ab 1. April ein Online-System starten wird, das alle Waren verfolgen soll, die die Grenze der Republik passieren. Mit Hilfe dieser Neuerung demonstriert Astana, dass die von den USA und der EU verhängten Restriktionen gegen Russland eingehalten werden. Das neue Informationssystem soll Fälle eines Re-Exports von Waren, die unter die Sanktionen fallen, in die Russische Föderation unterbinden.
Dennoch bleibt Russland der größte Handelspartner Kasachstans. Der Export ist im vergangenen Jahr um ein Viertel, bis auf 8,8 Milliarden Dollar angestiegen, meldete Reuters. Beinahe die Hauptposition des Exports Waren aus dem Bereich der Haushaltstechnik. Der Export von Fernsehgeräten, Monitoren und Projektoren hat um das 312fache zugenommen, der von Computern – um das 215fache, und der von Telefonen – um das 88fache. Zur gleichen Zeit sind Kasachstan und Kirgisien unter die führenden Länder auf dem Gebiet der Lieferungen von Schnittholz in die EU aufgestiegen. Der Import von Rohstoffen aus den beiden zentralasiatischen Republiken ist von 445.000 Euro im Jahr 2021 bis auf mehr als 30 Millionen Euro in den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres angestiegen. Dabei versucht Präsident Qassym-Schomart Tokajew den Westen davon zu überzeugen, dass Kasachstan zwar mit Russland zusammenarbeite, aber nicht die Sanktionen verletze, da „…die sogenannten sekundären Sanktionen seitens des Westens gegen unsere Wirtschaft folgen werden“. „Es erfolgt eine sehr schwierige, eine delikate Arbeit, die ich als ein Passieren von Skylla und Charybdis bezeichnen könnte“, betonte Tokajew.
Kubatbek Rachimow ist der Auffassung, dass es schwer werde, den Mechanismus zur Kontrolle der Warenströme innerhalb der Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion zu kontrollieren. „Wir befinden uns doch in der Zollunion. Auf welche Weise werden die Lieferscheine einer amerikanischen Kontrolle unterzogen, die von kirgisischen Unternehmen an russische gehen? Dies sind schließlich Territorien souveräner Länder. Die Frage ist eine komplizierte, wenn man nicht gar sagt: eine sensible. Und dann: Keiner hat die Logistik auf dem Luftweg gecancelt“, betonte der Experte. Nach seiner Meinung verstärke sich die Rolle des Luftfrachtverkehrs. Die elektronischen Frachtbriefe würden nach dem Ermessen der Zolldienste der Länder, die das Frachtgut empfangen, und der Luftfahrtbehörden der konkreten Staaten Asiens, die dieses Frachtgut weiter versenden werden, ausgestellt werden.
Wenn die USA und die EU von Androhungen zu Handlungen übergehen, werde der erste Schlag nach Meinung von Rachimow Kasachstan treffen. Kirgisien, dass sich aus der Logistik in einer Sackgasse befinde, stehe an dritte Stelle in der Liste – nach Kasachstan und Usbekistan. Das „Sanktionsschwer“ schwebe, und näher zum Sommer hin wird klar werden, wie der Mechanismus der sekundären Sanktionen aussehen wird“, unterstrich der Experte.
Jedoch kann sich alles verändern, wenn Moskau in Kirgisien 40 große Projekte über eine Gesamtsumme von zwei Milliarden Dollar (der Zeitraum für deren Realisierung ist aber unklar – Anmerkung der Redaktion). Darüber hatte der in Bischkek weilende stellvertretende Minister für Wirtschaftsentwicklung der Russischen Föderation, Dmitrij Wolwatsch, berichtet. Diese Frage wurde bei der Tagung der russisch-kirgisischen Regierungskommission erörtert, die am Mittwoch in der Hauptstadt der zentralasiatischen Republik stattfand. Wie Kirgisiens Kabinettschef Akylbek Dschaparow sagte, sei die kirgisische Seite an ein Engagement russischer Investoren interessiert. Er versprach ihnen eine maximale Hilfe und einen Schutz ihrer Interessen. „Heute erlangt die Frage nach einer Beteiligung der russischen Seite an der Lokalisierung einzelner Produktionskapazitäten aus der Russischen Föderation in Kyrgystan besondere Aktualität“, erklärte Dschaparow, wobei er betonte, dass es ein Potenzial hinsichtlich einer beiderseitigen Erweiterung der Präsenz des Business auf den Märkten beider Länder gebe.