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Bürger Russlands erhielten eine Rechnung für den malaysischen Boeing-Jet


In den Den Haag ist ein erstes Urteil im Zusammenhang mit dem Konflikt im Donbass gesprochen worden. Das niederländische Bezirksgericht hat drei der vier Angeklagten für schuldig für die vorsätzliche Vernichtung Boeing-777 der Malaysia Airlines, die sich am 17. Juli 2014 ereignet hatte, befunden und sie zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Die wird nicht nur Klage gegen Privatpersonen, sondern auch gegen die Russische Föderation nach sich ziehen. Versprochen wurden auch neue Gerichtsprozesse zu diesem Fall. Und schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass die Entscheidung der Haager Richter Korrekturen an dem Sanktionspaket vornimmt, das durch die Europäische Union geschnürt wird.

Der Vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis hat eine Präzedenzfall geschaffen, der die Beziehungen der Russischen Föderation und des Westens sehr stark beeinflusste. Erstmals ist hinsichtlich eines Falls, der mit dem Konflikt im Donbass verbunden ist, ein Urteil in einem EU-Land gegen Bürger der Russischen Föderation gefällt worden.

Das niederländische Bezirksgericht in Den Haag hat Igor Girkin (Strelkow), Sergej Dubinskij und Leonid Chartschenko (der einzige, der im Jahr 2014 die ukrainische und keine russische Staatsbürgerschaft besessen hatte) der Vernichtung des Jets der Malaysia Airlines mit einer BUK-Luftabwehrrakete, die aus Russland angeliefert worden war, für schuldig befunden. Sie hat man zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Der einzige Angeklagte, der zugestimmt hatte, wenn auch nur online mit dem Gericht zusammenzuarbeiten, Oleg Pulatow ist vollkommen freigesprochen worden. Wie im Urteil betont wurde, hatte er zwar auch Truppenteile der DVR „in dieser Region“ befehligt (das heißt im Gebiet von Torez), aber nichts mit dem Start der Rakete zu tun, die 298 Menschen das Leben genommen hatte. Gerade so viele waren an Bord des Flugzeugs gewesen (vor allem aus den Niederlanden – Anmerkung der Redaktion). „Die Angeklagten sind eines 298fachen Mordes schuldig“, sagte Steenhuis.

Die Argumente der Verteidigung, die durch den in Moskau ansässigen Hersteller der BUK, den Konzern VKO „Almaz-Antei“, vorgelegt wurden, sind vom Gericht zurückgewiesen worden. Unter den Gründen waren gefälschte Daten, wie im Urteil erklärt wird, die ihm vorgelegt worden waren, das Interesse des Konzerns an einer Aufhebung der gegen ihn geltenden Sanktionen und das, dass der Konzern „mit den Offiziellen der Russischen Föderation liiert ist“. Die Behauptung der Verteidigung von Pulatow, dass die Rakete aus dem Bereich des Dorfes Sarostschenskoje, wo sich zu jener Zeit vermutlich ukrainische Truppen aufgehalten haben sollen, abgefeuert worden sei, hielt das Gericht in Den Haag für eine haltlose. Steenhuis bezeichnete sie als etwas aus dem Bereich der Phantastik. Gemäß dem Urteil wurde die BUK-Rakete aus dem Bereich des Dorfes Perwomaiskoje abgefeuert, das sich unter der Kontrolle der Donezker Volksrepublik befunden hatte. Im Urteilsspruch des Gerichts wird klar betont, dass die Boeing-777 aufgrund eines Fehlers getroffen worden war. Man hatte den Jet für ein ukrainisches Militärflugzeug gehalten. Zur gleichen Zeit verwies das Gericht darauf, dass die Angeklagten kein Recht gehabt hätten, ein militärisches Ziel zu attackieren, da sie „keine Kombattanten gewesen waren“. Daraus ergibt sich, dass jeglicher Kämpfer der Truppen der DVR oder LVR aufgrund der Tatsache seiner Teilnahme an Gefechtshandlungen vor Gericht gestellt werden kann.

Im Urteil wird ebenfalls betont, dass nicht ermittelt worden sei, wer konkret gegen das Passagierflugzeug geschossen und wer befohlen hat, die BUK an Donezker Bürgerwehrkräfte zu übergeben. Sowohl Girkin als auch Dubinskij und Chartschenko wird lediglich eine Beteiligung an dem Verbrechen und eine Verschleierung von Beweisen angelastet. Dies eröffnet die Möglichkeit für neue Nachforschungen. Neue Nachforschungen hat bereits Piet Ploeg, ein Anwalt von Opfern der Tragödie angekündigt. Er teilte Journalisten mit, dass jetzt bevorstehe, die BUK-Crew und die Namen der russischen Beamten, die am Start der Rakete beteiligt gewesen waren, zu ermitteln.

Gefällt wurde nicht nur ein Urteilsspruch, stattgegeben wurde auch noch den Forderungen von Verwandten der Opfer nach Zahlung einer Entschädigung. Ihre Gesamtsumme beträgt 16 Millionen Euro. Unklar ist freilich, wer sie zahlen wird. Girkin hatte beispielsweise mehrfach erklärt, dass er entsprechend den Klageforderungen im Zusammenhang mit dem Abschuss der Boeing-777 nichts zahlen werde. Und als einen schuldigen sehe sich der ehemalige Verteidigungsminister der DVR auch nicht an. Überdies hätte er gar keine solchen Geldsummen, wie er behauptet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Frage auf EU-Ebene angesprochen wird. In Brüssel erfolgt die Vorbereitung eines neunten Pakets antirussischer Sanktionen. Wie erwartet wird, wird es Ende November vorgestellt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass angesichts der Entscheidung des Haager Gerichts in ihm auch das Thema von Entschädigungen seitens Russlands tangiert wird. Zumal im Urteilsspruch klar ausgewiesen wurde: Die Offiziellen Russlands tragen die Verantwortung für die Handlungen der Offiziellen der DVR. „Beginnend ab Mitte Mai des Jahres 2014 hatte sich eine Situation ergeben, in der Russland eine sogenannte Gesamtkontrolle auf dem Territorium der sogenannten DVR vornahm“, sagte Steenhuis. Er erwähnte den Namen des damaligen Beraters des russischen Präsidenten, Wladislaw Surkow: Ihn hätte man, wie der Richter hervorhob, in der DVR als „unseren Mann im Kreml“ bezeichnet.

Der Urteilsspruch des Gerichts kann auch andere Konsequenzen nach sich ziehen. Die Ukraine, Lettland, Estland, Polen und Tschechien haben Russland offiziell als einen „terroristischen Staat“ anerkannt. Für eine analoge Entscheidung plädierte die größte Fraktion im Europa-Parlament – die Fraktion der Europäischen Volkspartei. Wenn eine derartige Entscheidung auf EU-Ebene getroffen wird, ergibt sich eine Rechtsgrundlage für die Konfiszierung festgesetzter russischer Vermögenswerte im Westen. Ihre Summe wird, wenn man nur über die Vermögen der Zentralbank Russlands spricht, mit etwa 300 Milliarden Euro beziffert.