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Bürger Russlands sind bereit, Krankheiten zu ertragen


In diesem Jahr wird die Regierung jedem Sozialhilfeempfänger für den Erwerb von Medikamenten monatlich 26 Rubel mehr als im vergangenen Jahr bereitstellen. Es geht dabei monatlich um etwa 886 Rubel (umgerechnet ca. 10,20 Euro). Nach Expertenschätzungen kostet im Land eine Packung von Importpräparaten im Durchschnitt beinahe 400 Rubel. Immer mehr Bürger sind gezwungen, die Ausgaben für Medikamente bis hin zu einem vollständigen Verzicht auf deren Erwerb zu kürzen, fand die Holding „Romir“ heraus. Laut deren Angaben spart bereits jeder vierte Russe bei Medikamenten, wobei diese im besten Falle durch Hausmittel ersetzt werden.

Der Anteil der Bürger Russlands, die gezwungen sind, auf die Verwendung von Medikamenten bei einer Behandlung von sie beunruhigenden Erkrankungen zu verzichten, hat in diesem Jahr bis auf 26 Prozent gegenüber 14 Prozent im Jahr 2019 zugenommen. Dies zeigte eine Untersuchung der Holding „Romir“ auf der Grundlage der Daten eines Scan Panels, das den Konsum von 40.000 Bürgern Russlands in 220 Städten mit einer Bevölkerung von über 10.000 Einwohnern erfasst. Die Teilnehmer des Panels scannen die Strich-Codes der gekauften Waren, danach gelangen die Angaben in eine entsprechende Datenbank. 

Während im vergangenen Jahr 10 Prozent der Befragten auf eine traditionelle Therapie chronischer Erkrankungen zugunsten weniger wissenschaftlicher, volkstümlicher Methoden verzichteten, so sind es im laufenden Jahre bereits 14 Prozent. „Außerdem verzichtet ein Teil der Befragten einfach auf eine Therapie, ohne sie durch Anderes zu ersetzen. So erklärten 12 Prozent der Befragten, dass sie bei Auftreten von Schmerzempfindungen keine Präparate einnehmen werden, sondern es vorziehen werden, die Schmerzempfindungen auszuhalten. Der Anteil derartiger Antworten hat innerhalb eines Jahres um das 3fache zugenommen§, teilten die Forscher mit. 

„Der Verzicht auf Heilmittel zugunsten von Hausmitteln zur Heilbehandlung oder einfach der Verzicht auf eine Heilbehandlung hängen teilweise mit der Zunahme der Preise für Heilpräparate und mit der Verteuerung des Lebens insgesamt zusammen, während die Realeinkommen der Bevölkerung zurückgehen“, erläuterte Marina Schepotinenko, Direktorin für Kundenarbeit der Holding „Romir“. „Das ist ein recht alarmierendes Signal, da die Menschen anfangen, beim Wichtigsten – bei ihrer Gesundheit – zu sparen, wobei sie die Lebensqualität verringern.“

Wie Schepotinenko gegenüber der „NG“ erklärte, ging es in der erwähnten Untersuchung „nicht insgesamt um einen Verzicht auf eine Behandlung chronischer Erkrankungen, sondern um die Bereitschaft der Russen, gerade kurzzeitige Schmerzempfindungen zu ertragen“. „Das heißt, die Menschen haben begonnen, die Ausgaben für die Medikamente zu verringern, die erlauben, sich von den Symptomen zu befreien.“

Natürlich, ein Teil der Bürger hat chronische Erkrankungen. Und sie können vom Prinzip her nicht auf den Erwerb von Medikamenten verzichten. In diesem Fall erfolgt, den Erläuterungen der Expertin nach zu urteilen, eine notgedrungene Ersetzung teurer Präparate durch billigere analoge.

Laut Angaben von Rosstat sind im Juni die Medikamente im Durchschnitt landesweit beinahe um 9 Prozent im Vergleich zum selben Monat des Vorjahres teurer geworden. Im Juli – um 8,4 Prozent. Obgleich die Verbraucherinflation insgesamt für die ausgewiesenen Zeiträume etwas mehr als drei Prozent ausmachte. 

Dabei sind die Preise für russische Medikamente entsprechend den Ergebnissen des Junis, wie in der Analytik-Firma DSM Group mitgeteilt wurde, innerhalb eines Jahres um fast 24 Prozent angestiegen. Und für importierte – um 7,5 Prozent. Im ersten Fall geht es im Durchschnitt um 115 Rubel pro Packung, im zweiten – um mehr als 380 Rubel pro Packung. 

Für die Bürger aus den begünstigten Kategorien ist die Regierung der Russischen Föderation bereit, in diesem Jahr den Erwerb von Medikamenten mit 886,40 Rubel monatlich für jeden Sozialhilfeempfänger zu unterstützen. Im vergangenen Jahr machte die Norm für die finanziellen Ausgaben für einen Sozialhilfeempfänger 860,60 Rubel aus, erinnern Nachrichtenagenturen. Also hat sich die Beihilfe um etwa 3 Prozent erhöht.

„Dies erhöht die Haushaltsausgaben für Sozialhilfe um mehr als 988 Millionen Rubel im Jahr 2020“, wird auf der offiziellen Internetseite der russischen Regierung mitgeteilt. „Ein Recht auf kostenlose Medikamente und medizinische Erzeugnisse haben über 20 Kategorien von Sozialhilfeempfängern.“ Das Rezept für ein Medikament stellt der behandelnde Arzt aus. Dabei kann die jeweilige Person auf das Recht auf den Erhalt von Vergünstigungen verzichten, wobei er im Gegenzug eine finanzielle Rückerstattung erhält.

„Die Preise für Medikamente steigen. Die Menschen sind gezwungen, auf sie zu verzichten, wobei sie häufig diese durch Hausmittel ersetzen. Ja, es gibt begünstigte Kategorien von Bürgern. Doch die Hauptmasse der Bürger hat keinerlei Vergünstigungen“, betonte Irina Kapitonowa, Präsidiumsmitglied der Unternehmervereinigung „Opora Rossii“ („Stütze Russlands“). Die Expertin erinnerte gleichfalls an den „Beitrag“ der Fernsehkanäle, die nichttraditionellen Heilmethoden mitunter in der besten Prime-Time Sendungen widmen. Je schlechter die Situation hinsichtlich der Kaufkraft der Bevölkerung, umso mehr wird sie gezwungen sein, selbst an der eigenen Heilbehandlung zu sparen.