Georgiens Präsidentin Salome Zurabishvili hat in einem Interview für den US-Fernsehkanal CBS News erklärt, dass Russlandgegen ihr Land einen Hybridkrieg führe. Sie betonte unter anderem, dass die russischen Einwanderer ihr dadurch auf den Geist gehen würden, dass „sie in der Sprache des Feinds sprechen“ und sich in der Republik wie zu Hause fühlen würden. Gleichfalls hatte Zurabishvili nicht ausgeschlossen, dass der Kreml in der Zukunft unter dem Vorwand eines Schutzes dieser Menschen Tbilissi einen vollwertigen Krieg erklären werde. Dabei gab die Präsidentin zu verstehen, dass sie Russlands Bürgern eine Einreise in die Republik verbieten würde. Doch solche Vollmachten habe nur die Regierung, die Moskau sympathisiere.
Georgiens Parlamentschef Shalva Papuashvili erklärte, dass Salome Zurabishvili nach dem Impeachment-Verfahren (das im Parlament scheiterte – Anmerkung der Redaktion) kein Vertrauen des Großteils der Landesbevölkerung genieße. Daher könne sie nicht im Namen des Volkes sprechen.
Derweil war ihr Interview Teil eines großen Beitrags über die Situation in der Republik und den Kreml-Einfluss auf diese. Außer mit der Präsidentin hatten sich die amerikanischen TV-Journalisten mit proeuropäischen Aktivisten unterhalten, die erklärten, dass die im Jahr 2022 eingereisten Bürger Russlands die Republik sogar vernichten könnten.
Einer von ihnen erzählte, dass die Einwanderer etwa alle halbe Stunde eine Wohnung und Land kaufen, aber auch Unternehmen registrieren würden. Außerdem hätten sie fünf russischsprachige Schulen eröffnet, die keine staatlichen Lizenzen erhalten hätten. Und sie hätten die Mieten für Wohnraum um fast 130 Prozent ansteigen lassen. Wie in dem Beitrag des amerikanischen TV-Kanals gesagt wurde, seien unter anderem daher 100.000 Georgier gezwungen gewesen, ihre Heimat zu verlassen. „Dies wird stilles Eindringen genannt“, erklärte ein Verfechter von Georgiens Beitritt zur Europäischen Union.
Möglicherweise hatten die Autoren des Beitrags verstanden, dass ihr Material ein extremistisches werde. Daher hatten sie beschlossen, ihm die Meinung von Einwanderern an sich hinzuzufügen. Sie versicherten, dass sie nicht aufgrund eines Hybridkrieges nach Tbilissi gekommen seien, sondern weil sie nicht an der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine teilnehmen wollten. Dabei hatte einer der Gesprächspartner eingestanden, dass aus einem Fenster seiner Wohnung in Tbilissi die große Beschriftung „Russen geht nach Hause“ zu sehen sei.
Von der „NG“ befragte Experten sind der Auffassung, dass Zurabishvili die Leistungen von CBS News im Interesse einer eigenen PR-Aktion ausgenutzt habe. Wahrscheinlich habe sie die Vorbereitung zu den Parlamentswahlen im kommenden Jahr begonnen. Daher versuche sie, sich der Opposition durch eine antirussische Rhetorik anzunähern. Faktisch habe ihr Auftritt die Erklärung von Ex-Präsident Michail Saakashvili, die von ihm am Vorabend abgegeben worden war, doubliert. Nur hatte sie von einem Hybridkrieg gesprochen, er aber darüber, dass Bürger Russlands angeblich Georgien in die Sowjetunion zurückholen würden. Am 30. September hatte der Ex-Präsident gleichfalls erzählt, dass laut seinen Informationen russische Diversanten in die Republik eingedrungen seien, die die Macht ergreifen wollen.
„Zurabishvili hat vor, ein eigenes politisches Zentrum zu schaffen. Laut Gerüchten könnten zu ihrem Verbündeten Ex-Premierminister Giorgi Gacharia und einige Mitstreiter von Saakashvili werden. Um aber zu den Wahlen bereit zu sein, muss sie sich die Sprache jener politischen Nische aneignen, in der sie zu arbeiten beabsichtigt“, meint der Kaukasus-Experte Wladimir Nowikow. „Eines ihrer Elemente ist die antirussische Rhetorik“. Dabei glaubt der Fachmann nicht daran, dass die Opposition im Jahr 2024 die Partei „Georgischer Traum“ bezwingen könne. Und ohne dem werde es keine ernsthafte Gefahr für die Einwanderer aus Russland geben.
Der Leiter des Kaukasus-Sektors im Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Wadim Muchanow, ist ebenfalls der Meinung, dass der Auftritt von Zurabishvili in die Entscheidung der Opposition passe, die „russische Karte“ gegen die Regierung auszuspielen. Nach seinen Worten könne in diesem Fall nur der Umstand in Erstaunen versetzen, dass sich Saakshvili heute im Status eines Marginalen befinde. Daher könne man von ihm alles Mögliche erwarten. Zurabishvili aber sei dennoch eine geachtete Politikerin. Andererseits würde sich beide nicht auf dem politischen Olymp. Nur hätte er ihn schon lange verlassen, sie aber würde sich erst von ihm vor dem Hintergrund des Versuchs, sie abzusetzen, herabbegeben.
„Laut Angaben des Innenministeriums von Georgien befinden sich in der Republik etwa 113.000 Einwanderer. Zu den Wahlen wird man häufiger über sie zu sprechen beginnen können, zumal es antirussische Stimmungen im Land gibt. Möglicherweise hat man Zurabishvili den Tipp gegeben, dass das Migranten-Thema im Verlauf des Wahlkampfes an Popularität gewinnen wird. Oder sie hat selbst auf den Auftritt von Saakashvili reagiert. Man kann gleichfalls nicht ausschließen, dass sie sich einfach an der Partei „Georgischer Traum“ aufgrund des Impeachments rächt. Auf jeden Fall hat sie im Status der Präsidentin nicht so viele Anlässe für eine Kritik an den agierenden Herrschenden“, erläuterte Muchanow.
Dabei ist der Experte der Auffassung, dass Zurabishvili gegenwärtig Bürger Russlands ausgehend von populistischen Zielen kritisiere. Wenn auf einmal die heutige Präsidentin in die georgische Regierung komme, werde sie wahrscheinlich eine Auffüllung des Etats der Republik zu erreichen suchen. Sie werde aber nicht einen der wichtigen Finanzierungskanäle versperren.
Seinerseits betonte der Politologe Alexej Makarkin, dass die heutigen Georgier in irgendeiner Weise die Erfahrungen der Einwohner von Polen, Finnland und der Länder des Baltikums der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederholen würden. „Die Georgier befürchten, dass sich die Einwanderer als die Vermittler des russischen offiziellen Diskurses, der für sie unerwünscht ist, erweisen können. Unter Berücksichtigung dessen, dass viele Bürger Russlands Abchasien als ein Kurort auffassen, gibt es dafür einige Grundlagen: Den Touristen kann man eine derartige Leichtsinnigkeit vergeben. Wenn aber der Mensch in diesem Land bleibt, um zu leben, nehmen die Forderungen an ihn zu“, sagte der Experte. „Auf ähnliche Weise hatte man sich gegenüber der weißen Einwanderung in den Ländern verhalten, die in der nicht allzu weit zurückliegenden Vergangenheit Teil des Russischen Imperiums gewesen waren“.
In Frankreich und Jugoslawien beispielsweise konnten die Weißen Militärbündnisse und Kadettenkorps bilden. Die einheimischen Offiziellen hatten keine Angst davor, dass ihnen die Einwanderer schaden können. „In Finnland aber hatte sogar die politische Polizei die russischen Offiziere im Auge behalten“, unterstrich Makarkin.