Im kommenden Jahr übernimmt Russland den Vorsitz in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Dabei habe Moskau sowohl in der EAWU als auch in der GUS „keinerlei führende Rolle“ und „mythische Ambitionen“, teilte man am Mittwoch im Föderationsrat (dem russischen Oberhaus – Anmerkung der Redaktion) mit. Den Schlussfolgerungen der Eurasischen Entwicklungsbank (EAEB) nach zu urteilen, gibt die aktuelle Sanktionssituation anderen Ländern – vor allem der Volksrepublik China – die Möglichkeit, neue Nischen im postsowjetischen Raum einzunehmen. Zumal China auch so schon hinsichtlich der direkten ausländischen Investitionen (DAI) in der GUS die Nummer 1 ist. Ihre gesamten DAI in zwölf postsowjetischen Staaten haben fast 68 Milliarden Dollar erreicht, davon sind rund 13 Milliarden Investitionen in Russland. Die gesamten DAI von Russland an sich in der GUS haben aber etwas mehr als 35 Milliarden Dollar ausgemacht.
Russland gestalte eine positive vereinigende Agenda für das Jahr seines Vorsitzes in der EAWU, teilte die Vorsitzende des Föderationsrates, Valentina Matwijenko, mit. Nach ihren Aussagen gebe es weder in der GUS noch im Unionsstaat und in der EAWU „keinerlei Führungsrolle Russlands“, meldete die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS. „Man versucht, uns irgendwelche mythischen Ambitionen zuzuschreiben. Die gibt es nicht. Dort sind alle gleich. Und daher wird dies gleichfalls bei dem Wunsch von Ländern, diesen Vereinigungen beizutreten, berücksichtigt“, erläuterte sie.
„Erstens sind dies nichtpolitisierte Organisationen. Zweitens gilt ein Konsens. Dort werden die Entscheidungen nur zu gegenseitig vorteilhaften, für alle verständlichen Bedingungen getroffen“, fuhr die Vorsitzende des Oberhauses des russischen Parlaments fort. „Und dies ist noch ein Beleg dafür, dass sich die Welt zu einer multipolaren bewegt“. Entsprechend ihrer Präzisierung würden sich die Integrationsprozesse vertiefen. „Ja, sie werden vielleicht modernisiert, aktualisiert und berücksichtigen die neuen Realitäten. Aber sie entwickeln sich“, sagte Matwijenko.
Am Dienstag haben Spezialisten EAEB Ergebnisse eines Monitorings der Investitionen im postsowjetischen Raum veröffentlicht. Entsprechend ihren Daten machte das summarische Volumen der gegenseitigen direkten ausländischen Investitionen der GUS-Länder bis Mitte des Jahres 2022 44,6 Milliarden Dollar aus. Der hauptsächliche grenzüberschreitende Investor in der GUS ist Russland. Auf dessen entfallen über 79 Prozent in der Struktur des Exports von DAI. Und unter den Empfängern gegenseitiger Investitionen führt in der GUS Kasachstan mit einem Anteil am Import von DAI, der 24 Prozent übersteigt.
Gegenwärtig werden in der Datenbank für gegenseitige DAI der zwölf postsowjetischen Länder 570 Projekte ausgewiesen, deren summarischer Umfang der DAI eine Million Dollar am Ende zumindest eines Jahres im Zeitraum vom Jahr 2016 bis einschließlich des ersten Halbjahres des Jahres 2022 überschritt. Entsprechend den Ergebnissen des vergangenen Jahres gab es unter ihnen 458 Projekte mit über Null liegenden DAI. „Die Angaben für das erste Halbjahr des Jahres 2022 tragen einen vorläufigen Charakter. Man kann ein offensichtliches „Schrumpfen“ der Datenbasis der laufenden Projekte (hauptsächlich aufgrund des Weggangs der russischen Investoren aus der Ukraine) bis auf 433 feststellen“, teilte die EAEB mit.
„Die politische Situation des Jahres 2022 erlaubt nicht, irgendwelche genauen Prognosen über die Dynamik der DAI im postsowjetischen Raum bis Ende des laufenden Jahres und im Verlauf des Jahres 2023 anzustellen“, betonen die Autoren des Monitorings. Es sei schwierig, die Verstärkung des Sanktionsdrucks des kollektiven Westens, darunter auf Russlands Partner in Bezug auf die EAWU vorauszusagen. Die Experten fügten gleichfalls dem die große Wahrscheinlichkeit des Fortbestehens einer Reihe von Problemen in der Wirtschaft der Russischen Föderation hinzu.
Dennoch aber haben die Autoren bestimmte Vermutungen formuliert – beispielsweise darüber, dass im kommenden Jahr die akkumulierten DAI insgesamt innerhalb der EAWU wie auch in der GUS zurückgehen können. „Die Fähigkeit des Business aus Kasachstan oder Aserbaidschan, die russischen transnationalen Unternehmen zu ersetzen, ist eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund ergeben sich verständlicherweise zusätzliche Möglichkeiten für äußere Konkurrenten, neue Nischen im postsowjetischen Raum zu besetzen“, betonten die Experten. Die Hauptrolle bei dieser Expansion werde nach ihren Einschätzungen China spielen, doch würden auch Unternehmen aus der Europäischen Union, den USA, der Türkei, aus arabischen Ländern und dem Iran versuchen, ihre Segmente zu bekommen.
Übrigens, China hat bereits als ein äußerer Investor im postsowjetischen Raum führende Positionen eingenommen, wobei es Russland überholte. „Während China noch in der ersten Hälfte der 2010er Jahre als eine Quelle DAI in der GUS stark Russland den Vorrang ließ, hat es gegenwärtig eine stabile Führungsrolle“, wird in dem Monitoringsbericht betont. „Bis Mitte des Jahres 2022 lagen die akkumulierten chinesischen DAI in zwölf postsowjetischen Ländern über 67,5 Milliarden Dollar, wobei unter anderem die Investitionen in Russland 12,5 Milliarden Dollar ausmachten“. Zum Vergleich: Die summarischen DAI Russlands in der GUS beliefen sich Mitte des Jahres 2022 auf 35,4 Milliarden Dollar.
„Die Hauptrichtungen der chinesischen Investitionsexpansion sind der Öl- und Gas- sowie der Pipelinesektor Kasachstans, die Goldförderung und Erdölverarbeitung in Kirgisien, die Goldförderung und die Zementindustrie in Tadschikistan“, zählten die Autoren des Monitorings auf. „In diesen drei Ländern kann China die Spitzenpositionen unter den ausländischen Investoren einnehmen“.
Besonders hebt sich Turkmenistan ab, dass laut den Daten des Monitorings rund neun Milliarden Dollar an chinesischen DAI für die Erdöl- und Gasförderung gewonnen hat. „Vor dem Hintergrund der mehr als 40 Milliarden Dollar akkumulierten ausländischen Investitionen in diesem Land ist Chinas Anteil ein bescheidener. (Die Hauptinvestoren in Turkmenistan sind Japan, die Republik Korea und Saudi-Arabien.) Zur gleichen Zeit muss man sich dessen erinnern, dass Turkmenistan aus den gegenseitigen direkten Investitionen im postsowjetischen Raum fast ausgeschlossen ist“, präzisierten die Experten. Außerdem nimmt der Umfang der chinesischen DAI in der Industrie Usbekistans zu.
Die chinesischen Investoren sind auch in Russland aktiver geworden. „Wenn man das Ende des Julis des Jahres 2022 mit dem Dezemberende von 2016 vergleicht, so sind die akkumulierten chinesischen DAI in Russland um 27,4 Prozent angestiegen, während es insgesamt hinsichtlich der EAWU nur um 8,1 Prozent der Fall war“, wird in dem Monitoring präzisiert.
Derweil seien laut Expertenschätzungen die Risiken hinsichtlich der chinesischen Wirtschaftsexpansion in Zentralasien und den anderen Ländern der GUS in Vielem übertrieben, da „die chinesischen Investoren in dieser Etappe erhebliche Möglichkeiten für eine offensive Wirtschaftsentwicklung der postsowjetischen Staaten gewährleisten“. Ja, und auch außerhalb der GUS hat China andere vorrangige Richtungen.
Russlands Anteil am Volumen der exportierten chinesischen DAI (ohne Berücksichtigung der Investitionen über Offshore-Zonen) beträgt 0,5 Prozent, der von Kasachstan – 0,2 Prozent, Usbekistans, Kirgisiens und Tadschikistans – jeweils 0,1 Prozent, der übrigen GUS-Länder – weniger als 0,1 Prozent. Dabei exportiert China rund drei Prozent seiner Investitionen in die USA, nach Singapur – über zwei Prozent, nach Australien – mehr als ein Prozent. „Die tatsächlichen Werte sind wesentlich höher, da über 50 Prozent der chinesischen Investitionen auf die Offshore-Jurisdiktionen entfallen“, präzisierten die Forscher.
Wenn man aber die Aufmerksamkeit nur auf die GUS konzentriert, womit nicht über den postsowjetischen Raum hinausgegangen wird, so zieht in ihr Zentralasien wirklich am stärksten die chinesischen Investoren an. Ursachen dafür sind zwei – die territoriale Nähe und die Politik der zentralasiatischen Länder, die auf einen Zustrom von Investitionen aus der Volksrepublik China ausgerichtet ist, erläuterte der „NG“ Jewgenij Winokurow, Chefökonom der EAEB.
Das Hauptziel der chinesischen DAI in der GUS bleibe nach seinen Worten eine Sicherstellung der Ressourcenbasis für seine Wirtschaft. Dies betreffe vor allem Erdöl, Erdgas und Metalle. Aber neben dem Hauptziel nehme auch die Bedeutung der zweiten Richtung der chinesischen DAI zu, die eine Entwicklung der Binnenmärkte der Empfängerländer der Investitionen.
„Wir nehmen an, dass die positive Dynamik der akkumulierten DAI Chinas in der GUS und Russland sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr gewahrt bleibt. Wir erwarten, dass im Jahr 2023 die summarischen Umfänge der direkten chinesischen Investitionen in der GUS 68 Milliarden Dollar übersteigen werden, darunter in Russland – 13 Milliarden Dollar“, sagte Winokurow der „NG“.
Das Hauptplus durch Chinas Investitionen für die Empfängerländer seien eine Stimulierung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Investitionen und die Realisierung großer Infrastrukturprojekte, die die Länder selbständig nicht realisieren könnten, erläuterte Meri Walischwili, Dozentin an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Nach Aussagen der Expertin sei gegenwärtig zusammen mit der Volksrepublik China die Realisierung mehrerer großer Investitionsvorhaben geplant. Dies seien sowohl ein industrielles Kooperationsprojekt in Kasachstan als auch ein Infrastrukturprojekt in Kirgisien. Dies sei auch die Festigung der Handelsbeziehungen Chinas mit Usbekistan. Solche Projekte hätten eine multiplikative Wirkung.
Dieser Prozess habe aber eine Kehrseite, „die Gefahr, in eine Abhängigkeit der Kredite zu geraten“, räumt die Analytikerin Jelena Beljajewa von der Investitionsfirma „Freedom Finance Global” ein. „China ist wirtschaftlich stärker als die Länder der GUS und Russland, dass sich unter dem Druck von Sanktionen befindet. Daher offeriert China eine Wirtschaftskooperation von Positionen des stärkeren aus, wenn auch in einer verhüllten Form. Das heißt, vom Wesen her bemüht es sich derzeit, auf maximale Weise seinen Einflussbereich zu erweitern“, betont die Expertin. „Augenblicklich sieht die investitionsseitige Unterstützung seitens Chinas wie eine gegenseitig vorteilhafte aus, in der langfristigen Perspektive kann sie aber zu einem Verlust der Kontrolle über bestimmte Segmente der Wirtschaft führen“.
Die Erweiterung der chinesischen Wirtschaftspräsenz in den Ländern des postsowjetischen Raums sei ein objektiver und gesetzmäßiger Prozess, meint Prof. Sergej Zyplakow von der Fakultät für Weltwirtschaft und Politik in der Moskauer Hochschule für Wirtschaftswissenschaften. „China ist für die meisten GUS-Länder schon zum wichtigsten Handelspartner geworden und forciert jetzt dort sein Investitionspotenzial“, präzisiert er.
Dabei sei Zentralasien, das reich an Naturressourcen ist und über 70 Millionen Menschen zählt, eine Schlüsselregion aus der Sicht der Umsetzung der chinesischen Initiative „Ein Gürtel, eine Straße“, unterstreicht der Experte.
Jedoch beabsichtigen die chinesischen Spitzenvertreter, wie Zyplakow sagte, die für eine Entwicklung der Investitionszusammenarbeit mit den Ländern Zentralasien plädieren, was die letzten Besuche von Xi Jinping in Kasachstan und Usbekistan bestätigten, „die Mechanismen der Investitionszusammenarbeit entweder auf einer bilateralen Grundlage oder auf der Grundlage einer Gruppe von China plus die zentralasiatischen Fünf zu gestalten“.
Was die Entwicklung der Investitionszusammenarbeit unmittelbar mit Russland angeht, so ist schwierig, deren Dynamik vorauszusagen. „China bewahrt natürlich das Interesse für den russischen Öl- und Gassektor und für anderen Arten von Bodenschätzen. Zur gleichen Zeit darf man aber auch nicht den Faktor des Sanktionsdrucks auf Russland seitens des Westens ignorieren, die potenzielle Gefahr, unter sekundäre Sanktionen zu geraten“, betonte der Experte. „All dies wir die Aktivität der chinesischen Investoren in den Verarbeitungsbranchen, im Bereich des Handels und der Dienstleistungen beeinflussen“. Außerdem werde Vieles von der Wirtschaftssituation in der Russischen Föderation, von der Aufnahmefähigkeit des Binnenmarktes aus der Sicht der zahlungskräftigen Nachfrage abhängen.