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China kann einen „diplomatischen Wolf“ nach Washington schicken


Cui Tiankai, der acht Jahre lang die diplomatische Vertretung Chinas in den USA leitete, kehrt nach Hause zurück. Er war bestrebt, die Widersprüche nicht zuzuspitzen. Doch in der letzten Zeit fingen eine Reihe chinesischer Diplomaten an, wobei sie möglicherweise die Linie des Generalsekretärs der KP Chinas Xi Jinping umsetzten, mit scharfen Erklärungen an die Adresse der Opponenten im Westen aufzutreten. Die Presse in der Volksrepublik China preist diese Mitarbeiter des Außenministeriums, wobei sie diese als „Wölfe der diplomatischen Front“ bezeichnet.

Der 68jährige Cui verlässt den Posten zu einer Zeit, in der die Administration von US-Präsident Joseph Biden die Allianz demokratischer Staaten, die unter Donald Trump untergraben worden war, auf eine Verstärkung des Zusammenwirkens gegen Peking ausrichtet, besonders im Bereich der Verteidigung der Menschenrechte und des Handels.

Den Standpunkt Chinas zum politischen Kurs von Biden hat in ihrem Kommentar die „Renmin Ribao“ dargelegt, das wichtigste Presseorgan des ZK der KP Chinas.

Biden habe eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die der Volksrepublik China Schaden zufügen. Er habe die Suche nach den Ursprüngen des Coronavirus wiederaufgenommen und 54 chinesische Unternehmen auf die Black List der Firmen gesetzt, in die die Amerikaner kein Geld anlegen dürfen. Das Blatt zitiert eine Aussage von Kurt M. Campbell, des Indo-Pacific Coordinators („Koordinators für den Indopazifik“) im United States National Security Council, in der offen erklärt, warum Washington die Politik der „Einbeziehung Chinas“, die durch die Präsidenten Bill Clinton und Barak Obama verfolgt worden war, aufgegeben und den Focus der Strategie aus Europa und dem Mittleren Osten gen Asien verlegt habe.

Die Hauptursache ist die, dass China zum hauptsächlichen strategischen Rivalen geworden ist. Sein Wachsen bedroht die Hegemonie der USA. Charakteristisch ist, dass in einer ähnlichen Art und Weise kein anderer als der frühere Pentagon-Chef und CIA-Direktor Robert Gates auftrat, der bei einem virtuellen Summit des Ronald-Reagan-Instituts eine Rede hielt. Nach seinen Worten müsse Amerika im Konkurrenzkampf mit China mehr leiden als zu Zeiten des Kalten Kriegs mit der Sowjetunion.

Die UdSSR hatte keine so breiten Handelsbeziehungen mit der Außenwelt wie sie die USA hatten. Und China verfügt über eine Wirtschaftsstärke, die mit den Vereinigten Staaten konkurriert. Washington hat nicht einmal eine Alternative zur chinesischen Initiative der „Neuen Seidenstraße“, die erlauben wird, den Einfluss Pekings auf die ganze Welt auszudehnen. Außerdem ist die chinesische Seekriegsflotte zur weltweit größten geworden. Wenn das Sprachrohr der kommunistischen Doktrin zu etwa genau solchen Schlussfolgerungen wie auch der ehemalige Chef des Verteidigungsministeriums und Geheimdienstes der USA gelangt, so bedeutet dies ja etwas. Es ist offensichtlich: Die Analytiker haben einen Volltreffer erzielt. Die Frage ist die, entsprechend welcher Linie die chinesisch-amerikanischen Beziehungen im Weiteren evolvieren werden. Die Zeitung „South China Morning Post“ erinnert daran, dass im März auf Alaska ein Treffen hochrangiger Diplomaten beider Länder stattgefunden habe. Es endete mit gegenseitigen Vorwürfen und hatte nichts Gutes gebracht. Daher könne man nicht erwarten, dass bald ein Gipfeltreffen zwischen Xi Jinping und Biden stattfinden wird.

In seiner Abschiedsbotschaft an die chinesische Diaspora in den USA sagt Botschafter Cui, dass die Beziehungen beider Staaten an eine Kreuzung zwischen Zusammenarbeit und Konfrontation gekommen seien. Der Botschafter rief die Landsleute in Amerika auf, einen Beitrag zur Verteidigung der ureigenen Interessen sowohl Chinas als auch der USA zu leisten.

Diese Erklärung stieß auf eine recht skeptische Bewertung seitens chinesischer Experten. Professor Shi Yinhong von der Volksuniversität in Peking sagt, dass Cui einen guten Dialog mit den USA aufrechterhalten habe. Dies währte aber nur bis zum Beginn der Pandemie und zu einem Zeitpunkt, solang Biden nicht den Weg einer Konfrontation mit China einschlug. Dies entzog dem Botschafter die Möglichkeit, den Dialog fortzusetzen. Der Professor stimmte auch nicht der Formulierung von einer Kreuzung zu. Die Kreuzung sei passiert worden. Die Vereinigten Staaten hätten die Entscheidung getroffen, in den Beziehungen mit der Volksrepublik China einen „sehr falschen Weg“ zu beschreiten.

Wer Cui ablösen wird, ist offiziell nicht bekanntgegeben worden. Man erwartet, dass zum neuen Botschafter der stellvertretende Außenminister Qin Gang (55 Jahre) werden könne. Ob sich diese Vermutung bestätigen wird oder nicht, wird die nächste Zukunft zeigen. Doch in der letzten Zeit bedienen sich die chinesischen Diplomaten, wie Beobachter betonen, immer häufiger einer anklagenden und militanten Polemik als Antwort auf die Attacken westlicher Politiker oder der Presse. In dieser Hinsicht hat sich der derzeitige Botschafter der Volksrepublik China in Frankreich (Lu Shaye) ausgezeichnet. Der künftige Botschafter in den USA ist ein „Joker“. Ob er die Reihen der Diplomaten-„Wölfe“ verstärken wird oder nicht, ist unbekannt.

In einem Gespräch mit der „NG“ betonte Alexander Lomanow, stellvertretender Direktor des Je.-M.-Primakow-Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften: „Cui Tiankai bemühte sich wirklich, den Beziehungen mit den USA einen gegenseitig achtenden Charakter zu verleihen. Ich denke, dass der neue chinesische Botschafter vom Prinzip her das Gleiche sagen wird. Schließlich hat sich das Bestreben Chinas, gute konstruktive Beziehungen mit den USA anzubahnen, nicht verändert. Daher wird man wohl kaum annehmen können, dass Peking zu einem Lautsprecherstil der Diplomatie übergehen wird“.