Die Vereinigten Staaten beginnen in Zentralasien ein „großes Spiel“ gegen China. Es ist offensichtlich, dass sich dieses Spiel vollkommen in die in den letzten zwei, drei Jahren aktiv propagierte euro-atlantische Strategie zur Zügelung der globalen Expansion Pekings einfügt. Zum ersten Schritt bei der Realisierung dieser Strategie in der zentralasiatischen Richtung wurde die Neuformatierung der militärpolitischen Präsenz der Amerikaner in Afghanistan, was Washington erlaubt, nicht nur aus der langjährigen und perspektivlosen afghanischen Falle herauszukommen, sondern auch neue ernsthafte Probleme für das Reich der Mitte zu schaffen.
Die Gerüchte über das mögliche Auftauchen eines amerikanischen Militärstützpunktes in einer der zentralasiatischen Republiken (am meisten wurden Usbekistan und Tadschikistan genannt) als eine Folge des Abzugs der Truppen der USA und der NATO aus Afghanistan haben scheinbar die russische Führung ernsthaft in Aufregung versetzt. Die Informationen aus diesem Anlass hat man im Kreml offenkundig als eine politische Vorabsondierung bewertet und mit einer Reise von Verteidigungsminister Sergej Schoigu nach Duschanbe und Taschkent, aber auch mit einer Einladung von Tadschikistans Präsident Emomali Rachmon zu den Feierlichkeiten des Tages des Sieges in Moskau darauf reagiert. Wie gemeldet wurde, war im Verlauf der Begegnung von Rachmon und Putin die Problematik im Zusammenhang mit der afghanischen Krise erörtert worden. Es kann angenommen werden, dass auch das Thema einer möglichen Verlegung von Objekten der amerikanischen Militärinfrastruktur aus Afghanistan nach Zentralasien nicht unbeachtet gelassen wurde.
Sorgenvolle Kommentare in einer Reihe russischer Massenmedien bestätigen die Version, dass Moskau die begonnene Transformation der amerikanischen Präsenz in Afghanistan und in der Region insgesamt als eine Bedrohung ansieht. Es scheint aber, dass die chinesische Führung aus diesem Anlass in größerem Maße nervös werden müsste. Die neue Afghanistan-Strategie Washingtons verheißt gerade, in erster Linie die Interessen Chinas zu treffen.
Erstens verändert der Abzug der Amerikaner aus Afghanistan auf prinzipielle Weise den Status der USA in dem langjährigen afghanischen Konflikt. Die Staaten verwandeln sich aus dessen Teilnehmer in einen Vermittler, in einen äußeren Schiedsrichter, dessen Leistungen nicht nur die Regierung Afghanistans und die Taliban (eine in der Russischen Föderation verbotene Organisation) noch mehr brauchen werden, sondern auch die Nachbarn dieses unruhigen Landes, vor allem die Republiken Zentralasiens. Selbst ohne die Schaffung eines Militärstützpunktes, sondern allein dank diplomatischer Anstrengungen und kleiner Investitionsvorhaben ist in der nächsten Perspektive eine Verstärkung der politischen Positionen der USA in der zentralasiatischen Region zu erwarten. Und was recht wichtig ist – bei einer drastischen Verringerung der militärischen Anfällig- bzw. Angreifbarkeit der Amerikaner. Ihr Abzug aus Afghanistan nimmt den Gegnern und Konkurrenten der USA die Möglichkeit, schmerzhafte asymmetrische Schläge an der afghanischen Front durch die Taliban-Krieger und Rebellen anderer Dschihadisten-Gruppierungen zu führen, die sich unter der Kontrolle der Geheimdienste Pakistans – eines wichtigen Verbündeten Chinas in der Region – befinden.
Zweitens wälzen die USA mit dem Abzug ihrer Truppen und der Truppen der NATO aus Afghanistan das hoffnungslose afghanische Problem auf die Länder der Region – vor allem auf China, aber auch auf Russland, Indien, Pakistan, den Iran, die Türkei, Saudi-Arabien und andere – ab. In Washington ist man sich sicherlich darüber im Klaren, dass diese Staaten nicht imstande sind, sich untereinander zu einigen und eine gewisse gemeinsame Linie auszuarbeiten, und dass sie sehr bald alle Reize der multipolaren Welt auf der Ebene allein nur dieses afghanischen Konfliktes zu spüren bekommen werden. Es ist offensichtlich, dass sich China aktiv der Problematik der Regulierung des Afghanistan-Konfliktes annehmen muss, indem es immer mehr Pflichten und fremde Probleme übernimmt. Und nicht nur, weil Peking auf den Status einer internationalen Supermacht Anspruch erhebt, sondern auch aufgrund dessen, dass Afghanistan unmittelbar an die Volksrepublik China grenzt. Und auf dem afghanischen Territorium befinden sich tausende Dschihad-Rebellen, die bereit sind, sich an den chinesischen Kommunisten für die Verfolgungen der moslemischen Uiguren zu rächen.
Die unweigerlichen Interessenskonflikte innerhalb der Gemeinschaft der Nachbarn Afghanistans verstärken die Widersprüche und die Konkurrenz zwischen ihnen und machen eine baldige Zunahme des Bedürfnisses nach einer amerikanischen Vermittlung zu einem recht wahrscheinlichen, was offensichtlich ebenfalls eine Verstärkung der politischen Positionen von Washington in der Region fördern wird.
Schließlich drittens: Der Abzug der Kräfte der USA und der NATO aus Afghanistan wird zu einer Liquidierung der großangelegten Infrastruktur zur Versorgung des westlichen Kontingents führen, die in Vielem mit Pakistan – dem regionalen Schlüsselpartner Chinas – verbunden ist. Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen tiefen Krise der pakistanischen Wirtschaft und des Sozialbereichs wird der Verlust auch noch der Einnahmen aus dem westlichen Transit zu einem starken Schlag für Islamabad werden, das wiederum die Chinesen retten müssen. Schließlich macht ein Kollaps der pakistanischen Wirtschaft die ambitionierten Pläne Pekings hinsichtlich eines transregionalen Transportkorridors aus China via Pakistan zum Ozean zunichte, schon ganz zu schweigen von den möglichen politischen Erschütterungen, die eine Schwächung des Verbündeten der Volksrepublik China auslösen können.
Vor diesem Hintergrund kann der wahrscheinliche Sprung der USA aus Afghanistan nach Zentralasien zu einem recht attraktiven Schema für eine Neuformatierung der US-amerikanischen militärpolitischen Präsenz in der Region führen, die eine effektivere und weniger anfällige seitens der geopolitischen Konkurrenten ist.
Bemerkenswert ist, dass an einem Auftauchen der Amerikaner in der zentralasiatischen Region sicherlich viele ernsthafte Gruppen der einheimischen Elite interessiert sein werden. Und nicht nur, weil die USA gewöhnlich nicht mit leeren Händen zu Besuch kommen, wobei sie möglicherweise nicht sehr viel, aber reales Geld mitbringen, dass bekanntlich niemals überflüssig ist. Umso mehr für die nicht gerade erfolgreichsten Volkswirtschaften der Republiken Zentralasiens, die sich nach wie vor nicht vom Pandemie-Schock erholt haben.
Von den 30 Jahren der postsowjetischen Unabhängigkeit haben die zentralasiatischen Staaten 20 Jahre unter dem Verteidigungsschirm der Vereinigten Staaten und der NATO in Afghanistan verbracht. Faktisch zwei Jahrzehnte haben die USA und der Nordatlantikpakt, indem sie in der afghanischen Reservation die terroristischen Dschihadisten aller Schattierungen in Schach gehalten haben, die Sicherheit der ehemaligen Sowjetrepubliken Mittelasiens gewährleistet und – wie paradox es auch sein mag – gleichzeitig die südlichen Grenzen der russischen Einflusszone in der GUS gesichert. Gerade das westliche Kontingent in Afghanistan gewährte China die einmalige Möglichkeit, sich im Verlauf von 20 Jahren ruhig den postsowjetischen Raum zu erschließen sowie erfolgreiche Wirtschafts- und Infrastrukturprojekte in der zentralasiatischen Region zu realisieren, ohne dabei Kräfte und Mittel für die Unkosten aufzuwenden, die mit der Lösung der Sicherheitsprobleme verbunden sind.
Jetzt ist diese segensreiche Zeit zu Ende gegangen. China und Russland, die solange sich die Freuden einer multipolaren Welt gewünscht hatten, werden sie bald voll und ganz in der Zone ihrer lebenswichtigen Interessen erhalten. Scheinbar bereitet sich Amerika vor, im Geiste der Philosophie der asiatischen Zweikämpfe gegen seine Kritiker und Konkurrenten in Eurasien deren eigenen Energien, Kraft und Wünsche zu richten. Und eine offensichtliche Priorität für Washington ist hierbei Peking, das die Amerikaner mit politischen Fallen entlang den westlichen Grenzen des nahen chinesischen Auslands – in Afghanistan, Pakistan und Zentralasien – methodisch zu umgeben beginnen. Bleibt jetzt abzuwarten, was für einen Zug China in dem neuen „großen Spiel“ mit den USA machen wird.