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China zieht die Schlinge um Taiwan enger


Die Volksbefreiungsarmee Chinas setzte die Manöver an der Ostküste des Landes fort. Die Erwartungen der Taiwaner, dass sie am vergangenen Sonntag beendet werden, haben sich erst am Mittwoch gerechtfertigt. Die Linien für Lieferungen auf die Insel können unterbrochen werden. Dies bedeutet, dass es den Status Quo in der Taiwanstraße nicht mehr gibt. Er hat sich zugunsten Pekings verändert. Verändert haben sich angesichts der militärischen Bedrohungen auch die Stimmungen der Bevölkerung von Taiwan. Sie glaubt nicht an die Möglichkeit eines Kompromisses mit der Volksrepublik China und unterstützt die Entscheidung von Präsidentin Tsai Ing-wen, die Insel zu verteidigen. Die Frage besteht darin, ob Washington bereit ist, Taiwan zu Hilfe zu kommen oder bewahrt es den Kurs einer „strategischen Zweideutigkeit“.

Am Tag nach der Abreise der Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, aus Taipeh hatte China Militärmanöver gestartet, in deren Verlauf Schläge gegen die Insel imitiert wurden. Dies hatte nach Meinung von Wu Xinbo, Dekan des Instituts für internationale Studien der Fudan-Universität in Shanghai, das Ziel, die Situation an den Rand von Kampfhandlungen zu führen, die denen ähneln würden, die sich in der Ukraine abspielen, die Insel zu isolieren und die Spitzenkräfte der USA und deren Verbündeten aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und Professor Men Jangtse von der Universität für nationale Verteidigung Chinas erklärt, dass die Manöver die sogenannte mittlere Linie in der Taiwanstraße annulliert und die Fähigkeit Chinas, eine ausländische (das heißt eine US-amerikanische) Einmischung in den Konflikt zu vereiteln, demonstriert hätten.

Wie die Zeitung „The Washington Post“ erinnert, hätte man in Peking den Besuch von Pelosi als eine gefährliche Provokation gewertet, die bestätigt habe, dass die USA von den gemeinsamen chinesisch-amerikanischen Dokumenten abgehen. Diese waren in den 1970er Jahren unterschrieben worden. Und in ihnen war Taiwan als ein Teil Chinas anerkannt worden. Die chinesischen Seestreitkräfte hatten die Insel faktisch eingekreist und Positionen eingenommen, die in der Zukunft einer Blockade der Insel gleichgesetzt werden können. Laut Berechnungen taiwanesischer Beamter seien seit Donnerstag letzter Woche mehr als 200 chinesische Flugzeuge und über 50 chinesische Schiffe in den Luftraum bzw. in die territorialen Gewässer von Taiwan eingedrungen.

US-amerikanische Analytiker sagen, dass dies mit dem generellen Kurs von Peking korreliere. Unter Führung des Staatsoberhauptes der Volksrepublik China, Xi Jinping, hat man begonnen, eine härtere Linie hinsichtlich vieler strittiger Probleme mit den Nachbarn zu fahren. Beispielsweise hat man gebirgige Inseln und Sandbänke im Südchinesischen Meer okkupiert, Schiffe zur Inselkette Senkaku (Diaoyu Dao), die Japan kontrolliert, entsandt sowie still und leise Landgebiete an der umstrittenen Grenze mit Indien im Himalaya-Gebirge eingenommen.

„Ähnlich dem, wie China den Status Quo auf Senkaku im Jahr 2012 und an der indisch-chinesischen Grenze im Jahr 2020 veränderte, möchte China den Status Quo in der Taiwanstraße zu seinen Gunsten verändern“, nimmt die US-amerikanische China-Expertin Bonnie S. Glaser an. Dies reflektiere das zunehmende Gewicht Chinas in der internationalen Arena. 1995 war der Militärhaushalt der Volksrepublik China nur zweimal größer als der von Taiwan, obgleich deren Bevölkerung 60mal größer gewesen war. Heute gibt China für die Verteidigung 20mal mehr als Taiwan aus. Nach Schätzung des Pentagons habe die Volksbefreiungsarmee Chinas eine Parität erreicht oder die USA hinsichtlich der Anzahl der Schiffe und U-Boote, der Boden-Luft-Raketen und der ballistischen Raketen, die sie entfalten kann, übertroffen.

Anders gesagt: China ist imstande, Taiwan „an die Wand zu drücken“. Und für Amerika wird es schwer werden, dies zu stören. Die Message von Peking besteht darin, dass die Vereinigten Staaten aufhören, ihre Kontakte mit Taiwan aufzublasen, und zu den in den 1970er Jahren erreichten Vereinbarungen zurückkehren sollen. Andernfalls kann China beginnen, die Freiheit der Insel, Handel zu treiben, und andere Kontakte mit der Außenwelt einzuschränken. Im diplomatischen Bereich gibt es dafür einen Präzedenzfall. Nachdem Tsai Ing-wen bei den Präsidentschaftswahlen auf Taiwan im Jahr 2016 gesiegt hatte, schränkte Peking die Möglichkeit der Insel ein, an der Arbeit internationaler Organisationen teilzunehmen.

Die Überlegenheit hinsichtlich der militärischen Stärke macht aber die Volksrepublik China in den Augen der Taiwanesen nicht populärer. Wie die Zeitung „The South China Morning Post“ meldete, hätten die Militärmanöver nur die Anti-Peking-Stimmungen und die Unterstützung für Tsai Ing-wen auf der Insel verstärkt. Die Mehrheit der Inselbewohner billigte den Pelosi-Besuch. Im Ergebnis dessen wird selbst die freundlicher gegenüber dem Festland eingestellte oppositionelle Kuomintang-Partei gezwungen sein, ihren Kurs unter Berücksichtigung der öffentlichen Meinung zu ändern.

In einem Gespräch mit der „NG“ betonte Alexander Lomanow, stellvertretender Direktor des Je.-M.-Primakow-Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften: „China will erreichen, dass die USA ernsthaft mit ihm sprechen und die Vereinbarungen erfüllen. US-Präsident Joseph Biden hatte beispielsweise in einem Telefonat mit Xi Jinping gesagt, dass die Vereinigten Staaten zur Politik des Bestehens von einem China stehen würden. Tatsächlich aber hat sich die Unterstützung für die Insel durch Amerika verstärkt, was auch die Reise von Pelosi belegt. Wobei Washington darauf verweist, dass es in den USA unterschiedliche Machtzweige gebe. Das heißt, gesagt wird eines, getan wird aber etwas Anderes. Dennoch denke ich nicht, dass China bereit ist, eine großangelegte Blockade von Taiwan zu organisieren. Dies schafft die Gefahr eines militärischen Konflikts. Die andere Seite wird nicht mit den Händen im Schoße sitzen und darauf warten, dass ihre Wirtschaft unter den Bedingungen der Blockade zusammenbricht. Peking braucht dies nicht, besonders angesichts des bevorstehenden Parteitages der KP. Die Militärmanöver, aber auch die Ablehnung von Kontakten mit dem Pentagon und anderen Einrichtungen der USA durch Peking sollen die andere Seite veranlassen, ihre Vorgehensweise zu ändern und dem Gehör zu schenken, was ihr Peking sagt“.