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Chinesische Strategie der „dualen Zirkulation“ kann Russland neue Sanktionen bescheren


Die Volksrepublik China geht von der Konzeption der „Weltfabrik“ ab und hat den Inlandskonsum zu einer Priorität erklärt. Die Strategie wurde als „duale Zirkulation“ oder als Strategie der doppelten Auflage bezeichnet. Peking verspricht, das Land zu einem weltweiten Lieferanten neuer Technologien zu machen. Experten prophezeien den Beginn eines kalten Krieges in der Art der Konfrontation UdSSR-USA. In dem neuen technologischen Krieg wird jedes Land vor einer Wahl zwischen den Vereinigten Staaten und der China stehen. Für Russland ist diese Entscheidung offensichtlich. China nicht zu unterstützen, kann das Land nicht, womit es den Sanktionsdruck auf sich seitens der USA verstärken wird, nehmen Wirtschaftsfachleute an. 

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas der 19. Legislaturperiode beendet seine fünfte Plenartagung mit der Veröffentlichung der Ziele des 14. Fünfjahrplans für die Jahre 2021–2025. Laut diesem Dokument ist eines der Prinzipien, das die nächste Entwicklungsetappe Chinas bestimmen wird, die Strategie der doppelten Auflage oder dualen Zirkulation. In der vergangenen Woche veröffentlichte die Zeitung „Renmin Ribao“ Erläuterungen des Staatsoberhauptes der Volksrepublik China, Xi Jinping, zu der neuen Strategie.

Bei der Gestaltung der neuen Entwicklungsarchitektur handelt es sich um eine strategische Entscheidung zu Gunsten eines Aufschwungs der Wirtschaftsentwicklung Chinas auf ein neues Niveau, aber auch der Schaffung neuer Vorteile auf dem Gebiet der globalen Wirtschaftskooperation und des Wettbewerbs. „Seit Beginn der Realisierung der Politik der Reformen und Offenheit, besonders nach Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation hat sich im Land ein Entwicklungsmodell im Geiste einer „Weltfabrik“ herausgebildet, was eine wichtige Rolle bei der rasanten Erhöhung der Wirtschaftsstärke Chinas und der Verbesserung des Wohlergehens des Volkes spielte“, schreibt Chinas Staatsoberhaupt.

Jedoch sei in den letzten Jahren nach den Veränderungen in der internationalen politischen und Wirtschaftssituation, dem Ausbruch der Deglobalisierung und dem Verhalten einzelner Länder, das durch Unilateralismus (das Handeln eines Staates im eigenen Interesse ohne Rücksicht auf die Interessen anderer – Anmerkung der Redaktion) und Protektionismus diktiert werde, die traditionelle globale Zirkulation spürbar schwächer geworden, erklärte Xi Jinping. Gerade aus diesem Grund plädiert Peking für ein Setzen auf den Binnenmarkt für das Erreichen eines Wirtschaftswachstums. „China ist der größte Verbrauchermarkt mit dem größten Potenzial, der große Wachstumsmöglichkeiten besitzt. Seit Beginn der Politik der Reformen und Offenheit ist es China mehrfach gelungen, die Risiken zu verringern, indem es sich auf eine Entwicklung innerhalb des Landes stützte“, erinnert der chinesische Staatschef. Er unterstreicht: Die neue Strategie bedeute keine geschlossene Inlandszirkulation, sondern im Gegenteil: Sie bedeute eine offene duale Zirkulation unter Beteiligung sowohl des Binnen- als auch des äußeren Marktes. „Die Förderung einer großangelegten und störungsfreien Zirkulation wird aber helfen, erfolgreicher globale Ressourcen zu gewinnen, die inländischen Bedürfnisse zu befriedigen, die industrielle und technologische Entwicklung zu beschleunigen, aber auch neue Vorteile bei der globalen Wirtschaftskooperation und im Wettbewerb zu schaffen“, resümierte Xi Jinping.

Über die Strategie der dualen Zirkulation oder der doppelten Auflage haben die Chinesen erstmals bereits im Mai dieses Jahres zu reden begonnen. Jedoch wurde sie erst jetzt auf aller höchster Ebene bestätigt. Das Prinzip der dualen Zirkulation basiert auf dem sogenannten inneren Kreis, das heißt auf dem Inlandskonsum Chinas. Der zweite Kreis – der äußere – wird durch das Funktionieren des inneren gestützt. Das Land wird „vollkommen die Vorteile seines supergroßen Marktes und das Potenzial der Inlandsnachfrage offenlegen, um ein neues Entwicklungsmodell zu etablieren, das eine Inlands- und eine internationale doppelte Zirkulation umfasst, die sich einander ergänzen“.

Die Beschleunigung des Übergangs zu einer dualen Zirkulation hat das in den letzten Jahren zu beobachtende Auseinanderdriften der Volkswirtschaften der USA und Chinas befördert, was „zu einer Verstärkung der Unsicherheit für China führte“, schreibt die einheimische Presse. Gerade die Spannungen in den Beziehungen mit den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren haben Peking genötigt, den Übergang zu einer technologischen Selbstversorgung zu stimulieren. „Chinas Politik hinsichtlich der dualen Zirkulation ist auf eine Bekämpfung der Bedrohung und Hegemonie der USA ausgerichtet“, schreibt das chinesische Blatt „Global Times“ (GT). „Die neue Politik Chinas, die den Versuch unternimmt, den Handelsprotektionismus und die technologische Blockade der Administration von USA-Präsident Donald Trump abzuwehren, zielt auf die Schaffung eines globalen Zentrums wirtschaftlicher und technologischer Innovationen ab, das mit dem Zentrum USA konkurriert“, fährt GT fort.  

Die chinesischen Offiziellen unterstreichen: Das Setzen auf den Inlandsverbrauch bedeute keine Aufgabe des Exports. Die Sache bestehe in etwas anderem: China beabsichtige im Rahmen der Strategie der dualen Zirkulation, technologische Innovationen zu stimulieren. Das heißt: China möchte nicht nur vom Bild eines Landes, das Hochtechnologien importiert, abgehen, sondern auch zu einem Land werden, das hochtechnologische Erzeugnisse liefert.  

In der Tat, die Notwendigkeit des Treffens entsprechender Entscheidungen nimmt zu, da die chinesischen Unternehmen, darunter solche wie Huawei Technologies und Bytedance, immer häufiger mit Restriktionen auf den ausländischen Märkten konfrontiert werden. „Das Ziel des neuen Modells für die Wirtschaftsentwicklung ist eine wesentliche Verringerung der Abhängigkeit Chinas von ausländischen Unternehmen, Technologien und Märkten. Die Entscheidung, die Wirtschaft der Volksrepublik China auf die inländischen Interessen zu fokussieren, hängt mit dem Begreifen dessen zusammen, dass die Beziehungen Pekings mit dem Hauptteil der entwickelten Welt schwierige bleiben werden“, resümiert das „Wall Street Journal“.

Die neue chinesische Strategie löst bereits Besorgnis in der entwickelten Welt aus. „Mit der Eskalierung des amerikanisch-chinesischen Konflikts besteht das Risiko, dass die Appelle in China, die Aufmerksamkeit auf die Inlandsnachfrage zu konzentrieren, über den Rahmen der Anstrengungen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts beim Konsum, bei den Investitionen und Export hinausgehen und sich in Anstrengungen zu einer vollständigen Ersetzung des Imports und dem Erreichen einer Selbstversorgung verwandeln können“, hebt die japanische englischsprachige Zeitung „Japan Times“ hervor. In der Nachrichtenagentur Bloomberg ist man der Auffassung, dass das Ziel der Volksrepublik China das Erreichen einer wirtschaftlichen Dominanz über den USA in einer Perspektive von zehn Jahren sei. 

Einige Experten sind der Auffassung, dass der Riss, und in erster Linie der technologische, zwischen beiden Ländern bereits ein unumkehrbarer sei, unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA. Xi Jinping, der faktisch einen Übergang zur dualen Zirkulation verkündete, hat mitgeteilt, dass China zu einem technologischen Wettrennen bereit sei, vermutet der ehemalige stellvertretende Zentralbank-Chef Sergej Alexaschenko. „Und jedes Land, das von einer digitalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts träumt oder darüber nachdenkt, muss für sich beantworten: Mit wem seid ihr, Meister der Kultur? Werdet ihr weiter mit China oder Amerika gehen?“, erklärte er in einer Sendung des Hörfunksenders „Echo Moskaus“. Nach Meinung des Wirtschaftsexperten werde die Welt bereits in 15 Jahren diese Entscheidung endgültig treffen müssen. „Alle Länder müssen wählen, mit wem sie und welchen technologischen Weg sie beschreiten werden. Werden sie von China oder von den USA Technologien erwerben?“, meinte Alexaschenko, wobei er annimmt, dass keiner mehr in der Mitte zwischen beiden Technologie-Mächten bleiben werde. 

Anton Grinschtein, Experte des Informations- und analytischen Zentrums der Firma „Hamilton“, stimmt zu, dass es keinen Weg zurück gebe. „Im amerikanischen Establishment hat sich in den letzten vier Jahren ein Konsens hinsichtlich des demonstrierten hohen Grades der Bedrohung der chinesischen Wirtschaftsentwicklung für die Bewahrung der Dominanz der USA in der Welt herausgebildet. Daher wird selbst ein Wechsel der Regierungspartei von der Republikanischen zur Demokratischen im Ergebnis der stattgefundenen Wahlen die Absicht der USA nicht ändern, auf jeden Fall China aufzuhalten“, sagte er. Und während Donald Trump als ein Geschäftsmann agierte, werden Joe Biden und Kamala Harris als Politiker handeln, fährt der Experte fort, wobei „sie gegen China eine Koalition von Ländern sammeln und vereinigen und auf den hauptsächlichen wunden Punkt Chinas drücken – die umstrittenen Gebiete im Bereich des Südchinesischen Meeres“. 

„Für Russland werden die Hauptrisiken mit der Wahl der Seite im bevorstehenden Konflikt zusammenhängen. Wenn die russische Führung China unterstützt, wird sich der Sanktionsdruck verstärken, bis hin zu einem Embargo für russisches Erdöl und dem Verbot für den Erwerb russischer staatlicher Schulden“, schließt Anton Grinschtein nicht aus.