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Das Ausbleiben eines Fortschritts bei den Verhandlungen verlangt von Russland entschlossene Maßnahmen


Am 10. und 12. Februar haben zwischen Russland und den USA und dann zwischen Russland und der NATO Verhandlungen stattgefunden, die den russischen Vorschlägen zu Sicherheitsgarantien gewidmet waren. Ungeachtet des Ausbleibens konkreter Vereinbarungen betont man sowohl in Russland als auch im Westen die Wichtigkeit der erfolgten Treffen. Besorgniserregend ist jedoch das, dass man in verschiedenen Hauptstädten keine gleichartigen Schlussfolgerungen zieht. Wenn die Aufgabe der Verhandlungen die Ausprägung eines generellen Begreifens der existierenden Herausforderungen gewesen war, so sind die Verhandlungen gescheitert. Moskau, Brüssel und Washington haben prinzipiell unterschiedliche Signale erhalten, die sie zu gegenseitig ungünstigen Entscheidungen veranlassen.

Wie dies auch üblich der Fall ist, hängt die Bewertung der in Genf und Brüssel stattgefundenen Verhandlungen von den Erwartungen des konkreten Beobachters ab. Viele Experten hatten von den Gesprächen überhaupt nichts erwartet, nun zumindest nichts Gutes. So betonte der Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“ Fjodor Lukjanow in einem Gespräch mit der Tageszeitung „Iswestija“, dass „nichts passierte. Und dies ist gut“. Im Rahmen solch einer Herangehensweise erscheint die Organisierung der Begegnungen an sich als ein Erfolg, zumal (Russlands Vizeaußenminister) Sergej Rjabkow beim gemeinsamen Fotografieren mit Wendy Sherman scheinbar sogar lächelte.

Moderate Optimisten hatten von den Begegnungen in Brüssel und Genf zumindest irgendwelche – wenn auch nicht unbedingt prinzipielle Entscheidungen und Kompromisse erwartet. Jelena Tschernenko vom Verlagshaus „Kommersant“ schreibt, dass „die USA und ihre europäischen Verbündeten die Bereitschaft erklärten, Russland hinsichtlich einer Reihe von Fragen entgegenzugehen, die sie lange Zeit gar zu erörtern abgelehnt hatten“. Gemeint ist natürlich in erster Linie die Bereitschaft des Westens, Verhandlungen über Mittel- und Kurzstreckenraketen in Europa zu führen und die Dimensionen der Militärmanöver zu beschränken.

Weiter als dies sind die Verhandlungen jedoch nicht gegangen. Aufgrund durchaus voraussagbarer Ursachen haben es die USA und ihre Verbündeten abgelehnt, ernsthaft Garantien bezüglich einer Nichtausdehnung der NATO zu erörtern – wie auch einen potenziellen Abbau der NATO-Infrastruktur bis auf den Stand von 1997. In Moskau hatte man angestrebt, diese zwei Themen zum Mittelpunkt des Verhandlungsprozesses zu machen. Seit Mitte November haben russische Politiker und hochrangige Staatsbeamte die Einsätze erhöht, wobei sie das ausländische Publikum davon zu überzeugen suchten, dass Russland seine Forderung nicht aufgeben werde. Und dass es im Grunde genommen auch keinerlei Menü gebe, aus dem man auswählen könne. Die Meinungen der westlichen Politiker hinsichtlich dessen, wie man den Forderungen Russlands gegenübersteht, sind auseinandergegangen.

Die von Moskau ausgegangenen Signale über die erstrangige Wichtigkeit der Sicherheitsgarantien haben den ausländischen Beobachtern nicht geholfen, objektiv eben jene Ernsthaftigkeit der Absichten der russischen Diplomaten und Militärs zu bewerten. Einerseits hatte man im Außenministerium mit allen Kräften Washington demonstriert, dass es ohne Garantien nichts geben werde. Andererseits war man in Washington durchaus erwartungsgemäß davon ausgegangen, dass man Moskau begreife, dass solche Garantien nicht realistisch sind. Im Ergebnis dessen hatte sich im Westen gesetzmäßig die Tendenz herausgebildet, in den Forderungen Moskaus einen Bluff zu sehen, dessen Ziel sei, vom Westen Zugeständnisse zu den Fragen zu erreichen, in deren Hinsicht sie wirklich möglich sind.

Nach den Verhandlungen hat sich Russlands Rhetorik nicht verändert. Sergej Rjabkow betonte am 13. Januar, dass im Falle eines Scheiterns der Diplomatie „weiter andere Maßnahmen, andere Methoden angewandt werden“. Der Vizeaußenminister wies auch darauf hin, dass es für neue Verhandlungsrunden in der nächsten Zeit keine Grundlagen geben würde, da die USA und ihre Verbündeten, den Forderungen Moskaus „in keinerlei Art und entsprechend keinerlei Ursachen“ zustimmen würden. Die Beibehaltung der bisherigen Rhetorik nach Erhalt einzelner Zugeständnisse ist ein klarer Beweis dafür, dass Russland in der nächsten Zeit die Forderungen in Bezug auf Garantien nicht aufgeben wird. Doch selbst diese Tatsache kann man unterschiedlich interpretieren.

Nach der Begegnung vom 12. Januar erklärte die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman: „Wenn Russland (aus den Verhandlungen) aussteigt, wird völlig offensichtlich, dass sie eine diplomatische Option nie ernsthaft in Erwägung gezogen haben“. Und am nächsten Tag wurde bekannt, dass die russische Seite in der nächsten Zeit keine neuen Verhandlungsrunden plane. Groß ist das Risiko dafür, dass man jetzt in Washington entscheiden wird, dass die Verhandlungen lediglich zu einem Schirm für „einen anstehenden russischen Einmarsch in die Ukraine“ geworden seien.

Auch Russland an sich befindet sich in einer heiklen Situation. Moskau kann wohl kaum die früher gestellten Forderungen hinsichtlich der Sicherheitsgarantien nach mehreren Monaten einer aktiven Informationskampagne aufgeben. Dabei erscheint jedoch auch der Unwille, zu den mehrfach versprochenen militärischen und militärtechnischen Maßnahmen überzugehen, als ein natürlicher, zumal die Diplomatie dazu berufen ist, sie zu umgehen.

Die von den europäischen Politikern erhaltenen Signale sind allem nach zu urteilen weder Moskau noch Washington recht, finden kein Gefallen. Die Länder des Baltikums haben die NATO bereits gebeten, die Personalstärke der Truppen auf ihrem Territorium zu erhöhen. Überdies sind die Europäer ernsthaft darüber beunruhigt, dass solch wichtige Fragen der europäischen Sicherheit ohne sie diskutiert worden sind. Darauf weisen sowohl die Überschriften der europäischen Zeitungen als auch die Statements einzelner Politiker hin. Polens früherer Außenminister Radosław Sikorski hat bereits erklärt, dass er dadurch „frappiert“ sei, dass man keine Vertreter der Europäischen Union zu den Verhandlungen eingeladen hätte. Bei aller Widersprüchlichkeit des Rufs von Sikorski in Russland haben seine Worte in Polen und in Brüssel Gewicht. Auch wenn man in Russland davon überzeugt ist, dass die europäischen Verbündeten der USA auf nichts besonders Einfluss ausüben würden, muss Washington auf die eine oder andere Weise auf die Appelle und Sorgen der Europäer reagieren.

Ungeachtet der erklärten Bereitschaft der westlichen Partner Russlands zu Zugeständnissen hinsichtlich einzelner Fragen wird sich wahrscheinlich die generelle Situation auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit nach den in Genf und Brüssel erfolgten Verhandlungen nicht verbessern. Die Frage dazu, ob sie sich verschlechtern wird, ist bisher offen.