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Das Lukaschenko-Regime ist in einen neuen Skandal geraten


Weißrussland hat es verstanden, bei der Olympiade in Tokio ins Zentrum eines Skandals zu geraten. Die Leichtathletin Kristina Timanowskaja hat sich an das IOC gewandt und um politisches Asyl gebeten. Die weißrussischen Sportfunktionäre hatten sie aufgrund der Kritik an ihre Adresse aus den Startlisten gestrichen.

Der Skandal um die weißrussische Sportlerin in Tokio hatte am 1. August Wellen geschlagen. Die Weißrussische Stiftung für sportliche Solidarität (Belarusian Sport Solidarity Foundation — BSSF), die die Sportler vereinigt, die die Offiziellen nicht unterstützen, teilte mit, dass man die Leichtathletin Kristina Timanowskaja von den Startlisten gestrichen hätte und gewaltsam zum Flughafen bringe, um sie in die Heimat zu schicken. Nach einer gewissen Zeit meldete der Hörfunksender „Euroradio“ unter Berufung auf die Athletin an sich, dass sie beabsichtige, in der Botschaft Österreichs in Tokio um politisches Asyl zu bitten, da sie Angst hat, nach Minsk zurückzukehren. Die Sportlerin hatte Journalisten berichtet, dass man ihr nichts erklärt und einfach gesagt hätte, die Sachen zu packen und zum Flughafen zu fahren. „ich werde nicht nach Belarus zurückkehren. Die Situation ist so: Zwei Teilnehmerinnen der belorussischen 4×400-Meter-Staffel haben keine Zulassung zu den Spielen aufgrund einer unzureichenden Anzahl von Doping-Tests bekommen. Die Trainer haben mich für die Staffel gemeldet, ohne mich darüber zu informieren. Ich habe öffentlich darüber berichtet. Danach kam der Cheftrainer der Mannschaft und sagte, dass die Anweisung von oben gekommen sei, mich aus dem Team zu entfernen“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Timanowskaja. Sie erklärte gleichfalls, dass, wenn man mit ihr gesprochen hätte, sie zugestimmt hätte, die Mannschaft zu unterstützen und die „fremde“ Distanz zu laufen. Sie hatte die Tatsache der Entscheidungen hinter ihrem Rücken empört.

Bereits im Flughafen Haneda von Tokio zeichnete die weißrussische Sportlerin ein Interview auf, in dem sie das Internationale Olympische Komitee um Hilfe bittet. „Ich bitte das Internationale Olympische Komitee um Hilfe. Auf mich ist Druck ausgeübt worden. Man versucht, mich ohne meine Zustimmung aus dem Land zu bringen. Daher bitte ich das Internationale Olympische Komitee einzugreifen“, sagte sie.

In einem offiziellen Kommentar der weißrussischen Olympia-Auswahl wird verständlicherweise eine andere Version dargelegt. „Entsprechend einem Ärzte-Gutachten ist im Zusammenhang mit dem emotional-psychologischen Zustand der weißrussischen Leichtathletin Kristina Timanowskaja durch den Trainerstab der Leichtathletik-Nationalmannschaft die Entscheidung über die Beendigung des Auftretens der Sportlerin bei den Spielen der XXXII. Olympiade getroffen worden. Folglich ist die Startmeldung der Sportlerin für die Teilnahme an den 200-Meter-Qualifikationsläufen und für die 4×400-Meter-Staffel zurückgezogen worden“, heißt es in ihm. Kristina Timanowskaja selbst hat jedoch diese Erklärung zurückgewiesen, wobei sie sagte, dass sie keinerlei Ärzte untersucht hätten. Die wahre Ursache bestehe darin, dass sie unvorsichtig gewesen sei und die Handlungen der weißrussischen Sportfunktionäre kritisiert hätte, meint sowohl sie selbst auch die Öffentlichkeit in Weißrussland.

Der Konflikt hatte am 30. Juli heranzureifen begonnen. „Es ist ein Schock. Ich habe gerade von der Neuigkeit erfahren, dass ich bei dieser Olympiade noch in einer dritten Disziplin laufen werden – die Staffel 4 x 400 Meter. Es stellt sich heraus, dass unsere sehr „tolle“ Führung wie üblich alles für uns entschieden hat. Sie haben mit den Mädchen Mist gebaut, denen die (Doping-) Tests nicht ausreichen, um zu ihrer ersten Olympiade im Leben zu fliegen. Und sie haben beschlossen, Spaß zu machen und mich bei der Staffel einzusetzen“, berichtete Kristina Timanowskaja in einem Video, dass sie in den sozialen Netzwerken postete. „Warum müssen wir für Ihre Flops geradestehen? Wenn Sie mit den Mädels, mit ihren Dopingtests oder mit deren Proben … womit auch immer … Mist gebaut haben, warum soll ich diese Probleme ausbaden? Warum muss ich davon von „anderen“ Leuten erfahren, während der Chef unserer Mannschaft, dem ich schreibe, mir nicht antwortet?“, fragt die 24jährige Sportlerin in ihrem Video.

Die weißrussischen Propagandisten und Internet-Trolle haben gleich nach dem Auftauchen des Videos eine Hetze gegen die Sportlerin begonnen, wobei sie in keiner Weise die Ursache kommentierte, wonach ihr vorgeschlagen worden war, nicht auf ihrer (gewohnten) Strecke anzutreten. Ihre Strecke (200 Meter) sollte sie am Montagvormittag laufen.

Die Notwendigkeit, auch noch eine nicht gewohnte Strecke „zu übernehmen“, hatte sich im Zusammenhang damit ergeben, dass zwei Athletinnen – Anna Michailowa und Kristina Muljartschik, die für die Olympiade für die 4×400-Meter-Staffel ausgewählt worden waren, nicht die erforderlichen Zeitintervalle zwischen der Abgabe der Dopingproben einhalten konnten. „Wenn man es kurz und knapp sagt, so ist dies ein Zusammentreffen von Umständen“, erläuterte die Ursache für das Geschehene Weißrusslands Vizeminister für Sport und Tourismus Alexander Baraulja. Nach seinen Worten seien nicht nur weißrussische Sportler in solch eine Situation geraten. Etwa 20 Sportlern hätte die unabhängige Organisation zur Bekämpfung negativer Erscheinungen in der Leichtathletik (Athletics Integrity Unit, kurz AIU) kein GO für eine Teilnahme an der Olympiade gegeben, erläuterte er.

Gleichzeitig aber wurde in den Sportlerkreisen an sich behauptet, dass die Ursache in der schlechten Organisation der weißrussischen Sportfunktionäre an sich liege. Darüber hatte auch Kristina Timanowskaja in ihrem Video gesprochen.

Wie der Telegram-Kanal der Antikrisen-Volksverwaltung, die von dem Ex-Diplomaten und Ex-Kulturminister Pawel Latuschko geleitet wird, mitteilte, hätte dieses Gremium unter Nutzung seiner Möglichkeiten die diplomatischen Dienste einer Reihe von EU-Ländern für die Gewährung von internationalem Schutz für die 24jährige Athletin kontaktiert. „Das Team der Antikrisen-Volksverwaltung befindet sich bereits im Kontakt mit der Leitung von Polens Außenministerium und hat sich mit Österreichs Außenministerium für die Gewährung von Unterstützung für Kristina Timanowskaja durch die diplomatischen Dienste dieser Länder beim Erhalt von internationalem Schutz in Verbindung gesetzt“, heißt es in einer Mitteilung der Latuschko-Struktur.

Am Vorabend des Zwischenfalls mit Kristina Timanowskaja hatten Weißrussen in den sozialen Netzwerken gescherzt, dass alle weißrussischen Sportler, die keine Medaillen gewonnen haben, gleich um politisches Asyl bitten sollten. Der Grund besteht in den harten Erklärungen von Alexander Lukaschenko: „Wissen Sie, warum wir mitunter im Sport nicht gewinnen oder sonst noch irgendwo? … Sie sind nicht hungrig“, erklärte er zum Ausbleiben von Medaillen für die weißrussischen Sportler zu jenem Zeitpunkt. Die Siege der Sportler afrikanischer Länder und anderer „zerstörter“ Länder begründete er damit, dass „sie wissen, wenn sie bei der Olympiade oder einer Weltmeisterschaft gewinnen, dies bedeutet, dass sie alles haben werden. Wenn sie nicht gewinnen, werden sie nach einem Stück Brot suchen“.

Derartige Erklärungen sind auch früher abgegeben worden. Die heutige Situation wird jedoch dadurch erschwert, dass in Weißrussland beispiellose Repressalien vorgenommen werden. Und in die U-Haftanstalten geraten Menschen aufgrund der Farbe von Strümpfen. Und dies bedeutet, dass die unbeugsame Sportlerin durchaus ins Gefängnis geraten kann. „Wenn die Sportbeamten aus jeglichem anderen Land außer Belarus und sicherlich der KDVR beschlossen hätten, einen Sportler zum Flughafen zu bringen, der von den Spielen aufgrund Differenzen mit seiner Führung suspendiert wurde, hätte keiner dem gar Aufmerksamkeit geschenkt. In unserem Fall aber ist für alle selbst in dem fernen Japan klar, was Timanowskaja im „Geberland der europäischen Sicherheit“ drohen kann“, schreibt diesbezüglich der politische Analytiker Artjom Schraibman. Der Experte vermutet, dass diesem Zwischenfall die persönliche Forderung Lukaschenkos, die ungehorsame Sportlerin zu bestrafen, zugrunde liege. Artjom Schraibman ist der Annahme, dass dieser Skandal „für Belarus mit einem Rausschmiss aus dem IOC oder anderen Sportsanktionen enden“ könne, wonach die Offiziellen von einer „im Voraus gekauften Timanowskaja“ berichten werden.