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Das nationale Projekt „Demografie“ – Rekordhalter in Sachen Ineffektivität


Das nationale Demografie-Projekt hat sich die Offiziellen als der größte Flop erwiesen. Die zusätzliche Haushaltsinvestitionen haben den Rückgang der Geburtenrate nicht gestoppt. Die Regierung vermochte auch das Ansteigen der Sterblichkeit aufhalten. Das Scheitern des nationalen Projekts versuchen die Beamten, der Coronavirus-Epidemie zuzuschreiben. Aber Verschlechterungen haben sich noch vor der Pandemie vollzogen. In den drei Jahren der Umsetzung des nationalen Projektes hat der natürliche Rückgang der Bevölkerung Russlands eine Millionen Menschen überschritten.

Spezialisten des Rechnungshofes und Demografen hoffen, ein völliges Fiasko des größten nationalen Projektes zu verhindern. Als Rettungsmaßnahmen werden die Zahlungen von Mutterschaftskapital für das dritte Kind, eine Stimulierung des Migrantenzustroms und eine mehrfache Anhebung der Haushaltsausgaben für die Sozialpolitik genannt.

Die Hauptparameter des nationalen Projekts „Demografie“ der Regierung zeigen bereits mehrere Jahre keine Verbesserung, teilte Prüfer des Rechnungshofes bei einer Diskussion in der Gesellschaftlichen Kammer mit. Der summarische Koeffizient der Geburtenrate, das heißt die Anzahl der Geburten je Frau ist im Jahr 2020 bis auf 1,489 zurückgegangen. Und dies dabei, dass hinsichtlich des Zielwertes des nationalen Projektes der Koeffizient für die Geburtenrate bis auf 1,7 bereits zum Jahr 2024 ansteigen soll. Dabei kann man nicht sagen, dass sich die Situation in Bezug auf die Geburtenrate nur aufgrund der Corona-Krise verschlechtert hat. Verweise auf die Pandemie widerlegt die Tatsache, dass sich der Wert für den Koeffizienten bereits die letzten Jahre auf dem Sinkflug befindet. Zum Vergleich: Entsprechend den Ergebnissen von 2018 machte er 1,6 aus und entsprechend den Ergebnissen von 2019 – 1,5.

Im vergangenen Jahr machte der natürliche Bevölkerungsrückgang in Russland mehr als 600.000 Menschen aus. Dies ist eine katastrophale Verschlechterung. Im Jahr 2019 belief sich der natürliche Rückgang der Bevölkerung auf rund 300.000 und im Jahr 2018 – auf etwa 200.000 Menschen. Und der Bevölkerungsrückgang hatte in Russland auch bis zur Pandemie zugenommen, obgleich die Corona-Krise in der Tat die existierenden demografischen Probleme zuspitzte.

Die durchschnittliche Lebenserwartung hatte bis zur Pandemie im Land zugenommen. Entsprechend den Ergebnissen von 2019 betrug sie 73,3 Jahre, wobei sie laut den Plänen der Offiziellen 78 Jahre bis zum Jahr 2024 erreichen soll. Im vergangenen Jahr ist aber die Lebenserwartung der russischen Bürger bis auf 71,1 Jahre gesunken. Darüber wird unter anderem im Entwurf für einen einheitlichen Plan für das Erreichen der nationalen Entwicklungsziele gesprochen, der auf dem Telegram-Kanal „Mai-Erlass“ gepostet worden war. Gemäß den Regierungsberechnungen wird das Land im besten Fall nicht früher als im Jahr 2024 zu den Vorkrisenwerten für die Lebenserwartung zurückkehren.

Das größte Paradoxon des nationalen Projekts besteht darin, dass sich die demografischen Werte weiter verschlechtern, obgleich die Regierung immer mehr Geld für dieses, das größte nationale Projekt ausgibt. Während im Jahr 2018 die Etatausgaben für die Demografie rund 360 Milliarden Rubel erreichten, so erhöhten sie sich bereits im Jahr 2020 praktisch um das 2fache – bis auf 690 Milliarden Rubel. Die Finanzierung nimmt zu, doch die Zielwerte verschlechtern sich weiterhin. Faktisch besteht keinerlei direkte Verbindung zwischen der Finanzierung des nationalen Projekts und dem Erreichen seiner Parameter, erklärte Sergej Schtogrin, Finanzprüfer des Rechnungshofes.

Und der Pandemie diese ineffiziente Nutzung der Mittel vorzuwerfen, ist nicht möglich. Im von Alexej Kudrin geleiteten Rechnungshof weist man darauf hin, dass die Realisierung des nationalen Projektes auch vor dem Vordringen des Coronavirus im Jahr 2020 keine Wirkung erzielt hätte. Von den 27 Zielwerten des nationalen Projektes wurden im Jahr 2019 zehn nicht erreicht. Unter anderem konnten 82 Regionen die Forderungen hinsichtlich des summarischen Koeffizienten der Geburtenrate sowie in Bezug auf die Geburtenrate in den Altersgruppen 25 bis 29 Jahre und 30 bis 34 Jahre nicht erfüllen. Über 30 Regionen sind mit den Zielwerten für die Sterblichkeit unter Männern im Alter von 16 bis 59 Jahren nicht fertig geworden.

Bemerkenswert ist, dass bereits im vergangenen Jahr von den 34 Planvorgaben ganze zwei verfehlt wurden – hinsichtlich der Sterblichkeit unter Männern im Alter von 16 bis 59 Jahren und unter Frauen im Alter von 16 bis 54 Jahren. Jedoch gibt es dabei praktisch keinen Verdienst der Offiziellen. Ein so hoher Realisierungsgrad des nationalen Projekts wurde lediglich durch eine Anpassung bzw. nachträgliche Korrektur verursacht, berichtet man im Rechnungshof.

Es sei daran erinnert, dass seit Ende des Jahres 2020 die Offiziellen von der Notwendigkeit einer Korrektur der Parameter des nationalen Projekts „Demografie“ sprechen, als offensichtlich wurde, dass es unmöglich wird, die aktuellen Parameter unter anderem auch aufgrund der Pandemie zu erfüllen. Das Arbeitsministerium der Russischen Föderation hatte Pläne bekanntgegeben, den summarischen Koeffizienten für die Geburtenrate und den Koeffizienten für die Geburtenrate in einzelnen Altersgruppen im Jahr 2020 zu korrigieren. Außerdem sei geplant, die Zahlen-Skala für die Geburtenrate in den Jahren 2021-2023 zu prüfen, berichtete Jelena Muchtijarowa, stellvertretende Ministerin für Arbeit und sozialen Schutz der Russischen Föderation.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie müssten Korrekturen an den Zielwerten bezüglich der Verringerung der Sterblichkeit m nationalen Projekt „Demografie“ vorgenommen werden, erklärte Vize-gesundheitsminister Oleg Salagaj.

„Die ungünstige Situation im Zusammenhang mit der Verbreitung der Coronavirus-Infektion und die im Zusammenhang damit verhängten restriktiven Maßnahmen haben die Wirtschaftsentwicklung der Länder in der ganzen Welt negativ beeinflusst sowie sich auf den sozialen Schutz und die Situation auf dem Arbeitsmarkt, darunter auch in unserem Land, ausgewirkt“, erklärte Inna Swjatenko, Vorsitzende des Ausschusses des Föderationsrates für Sozialpolitik. Die Verringerung der Wirtschaftsaktivität habe einen Arbeitsstellenabbau, eine Zunahme der Arbeitslosigkeit und einen Rückgang der Bevölkerungseinkommen nach sich gezogen. Im Ergebnis dessen „wird aufgrund objektiver Ursachen eine Verlangsamung des Tempos bei der Realisierung einzelner Maßnahmen der nationalen Projekte „Gesundheitswesen“ und „Demografie“ beobachtet“, erklärte die Senatorin. Erstaunlich ist, dass die Beamten ihre Misserfolge der Pandemie zuschreiben, obgleich sich die demografische Situation in der Russischen Föderation lange vor Auftreten des Coronavirus zu verschlechtern begann.

In der Gesellschaftlichen Kammer schlägt man vor, die Lösung des Problems des Aussterbens mit einem Stimulieren des Zur-Welt-bringens dritter und weiterer Kinder, mit einer Anhebung des Niveaus der sozialen Unterstützung sowie mit Maßnahmen zur Verringerung der Sterblichkeit unter den arbeitsfähigen Männern, aber auch durch das Ins-Land-holen von Migranten zu beginnen.

Selbst bei einem Geburten-Koeffizienten von 1,58, einer Lebenserwartung von 78 Jahren und einem Migranten-Zustrom von jährlich 300.000 Menschen sei Russland zu einem allmählichen Aussterben verurteilt, meint Sergej Rybaltschenko, Vorsitzender der Demografie-Kommission der Gesellschaftlichen Kammer. Und bereits im Jahr 2046 werde der natürliche Bevölkerungsrückgang jährlich eine Million Menschen übersteigen. Um dies zu vermeiden, müsse das Land bis zum Jahr 2030 einen Migrantenzustrom für die Bevölkerung von mindestens 600.000 Menschen im Jahr gewährleisten. Der Koeffizient für die Geburtenrate müsse bis auf 2,1 angehoben werden. Diese zwei Komponenten würden ein stabiles Bevölkerungswachstum sichern, nimmt man in der Gesellschaftlichen Kammer an.

Eine wichtige Bedingung für die Umsetzung solcher Pläne ist eine weitere Erhöhung der Haushaltsausgaben für die Sozialpolitik. Rybaltschenko führt als Beispiel Frankreich an, das für diese Ziele bis zu 5-6 Prozent des BIP ausgibt. In Russland erreicht die staatliche Unterstützung für Familien mit Kindern ohne Maßnahmen zur Unterstützung bei der Lösung von Wohnungsproblemen ganze 1,2 Prozent des BIP, fährt er fort. Und er schlägt vor, zusätzliche Mittel für die Realisierung solcher ambitionierten Pläne durch eine Anhebung der Verbrauchssteuern für Tabak und Alkohol zu bekommen.

Die gegenwärtige Finanzierung der Demografie- und Sozialpolitik ist unzureichend. Sie muss um ein Mehrfaches angehoben werden, pflichtet der unabhängige Demograf Alexej Rakscha bei. „Während beispielsweise solche Länder wie Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Schweden, für diese Zwecke 4 bis 5 Prozent des BIP einsetzen, so die Russische Föderation unter Berücksichtigung des Mutterschaftskapitals und der Kindergartenausgaben – rund 1 bis 1,5 Prozent des BIP, von denen das Mutterschaftskapital rund 0,3 Prozent des BIP ausmacht“, betont er.

Der Experte ist gleichfalls der Auffassung, dass unter allen Maßnahmen der Sozialpolitik des russischen Staates das Mutterschaftskapital die effektivste sei. „Insgesamt hat dies in der Zeit seines Bestehens zur Geburt von 2 bis 2,5 Millionen Kindern geführt, die ohne dies nie zur Welt gekommen wären“, erklärt er.

Gleichzeitig hält er die Verlegung bzw. Einschränkung der Auszahlungen des Mutterschaftskapitals auf das erste Kind für einen Fehler. „Der Versuch, die Bereitschaft zum Kinderkriegen zu verjüngen und die Geburt des ersten Kindes zu stimulieren, dies hat beinahe nie und nirgends funktioniert. Mehr noch, die seit vergangenem Jahr geltenden neuen Regeln, wonach für die Geburt des zweiten Kindes vergleichsweise geringe Geldsummen gezahlt werden, wenn für das erste bereits Mutterschaftskapital erhalten wurde, werden nicht zur Geburt eines zweiten Kindes stimulieren, wie früher das Mutterschaftskapital stimuliert hatte“, unterstreicht der Demograf.

Nach Meinung des Experten sei es unter den gegenwärtigen Bedingungen erforderlich, den Kinderreichtum zu stimulieren, das heißt die Geburt gerade eines dritten Kindes. „Man muss Mutterschaftskapital für das dritte Kind in einer Höhe von 1 bis 1,5 Millionen Rubel in Form von Subventionen aus dem föderalen Haushalt für die überwältige Mehrheit der Regionen einführen. Dafür sind etwa 500 bis 600 Milliarden Rubel im Jahr erforderlich“, erzählt Alexej Rakscha. Dabei müsse die Höhe der Auszahlungen an die Dynamik der Kosten für Wohnraum gekoppelt werden, da die Verbesserung der Wohnbedingungen die Hauptmethode für die Nutzung der Mittel des Mutterschaftskapitals sei, präzisiert er.

Insgesamt sind die Zahlungen an die Familien für die Geburt von Kindern eine weitaus effektivere Methode zur Stimulierung der Geburtenrate als die zielgerichteten Zahlungen an sozial schwache Bürger. „Sie werden von den Empfängern nicht als ein Stimulus für Geburten wahrgenommen, sondern als eine Lebenshilfe, und sie stimulieren überhaupt nicht die Geburtenrate“, erläutert der Demograf, wobei er präzisiert, dass die Geltungsdauer des Mutterschaftskapitals eine unbefristete sein sollte. „Andernfalls wird dies zu Einbrüchen bei der Geburtenrate führen, wie dies bereits zweimal der Fall war“, unterstreicht er.