Teheran meldete die Entdeckung eines überaus großen Erdgasfeldes im iranischen Sektor des Kaspischen Meeres in der Region der Stadt Tschalus (Chalous). Westliche Analytiker knüpfen die Perspektiven für eine Erschließung und Ausbeutung des gleichnamigen Feldes an langfristige Abkommen des Irans mit China und Russland. Russische Experten räumen ein, dass China das iranische Gas für seine Interessen und nicht für einen Export nach Europa nutzen werde.
Der iranische Öl- und Gaskonzern Khazar Exploration and Production Company (KEPCO) gab die Entdeckung des größten Erdgasfeldes des Landes im iranischen Sektor des Kaspischen Meeres bekannt, das den Namen „Chalous“ entsprechend dem Namen der nahegelegenen iranischen Stadt erhielt.
„Wenn die ersten Schätzungen bezüglich der Gasvorräte des Feldes „Chalous“ stimmen, so wird iranisches Gas mindestens 20 Prozent des Gasbedarfs von Europa befrieden. Der Umfang der Lieferungen, die Route und der Preis werden jedoch wahrscheinlich mit Russland abgestimmt, was die Energieherrschaft Moskaus über Europa, die bereits ein entscheidender Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zwischen Europa und den USA ist, vergrößern wird“, nimmt der Experte der Agentur OilPrice Simon Watkins an. Nach seinen Worten werde der Iran ohne Russland und China den neuen Gasreichtum nicht ausnutzen können.
Das „Chalous“-Feld werde erlauben, einen neuen Gas-Hub im Norden des Irans zusätzlich zum südlichen Gas-Hub um das Feld „South Pars“ zu schaffen, meint Watkins. Die Perspektiven für die Erschließung und Ausbeutung der Gasressourcen des Irans verknüpft er mit dem unterzeichneten strategischen Abkommen des Irans mit China, aber auch mit dem sich schon viele Jahre lang in Vorbereitung befindlichen 20-Jahres-Abkommen mit Russland.
Ende März dieses Jahres signierten die Außenminister des Irans und Chinas, Mohammed Dschawad Sarif und Wang Yi, in Teheran eine Vereinbarung über eine allumfassende strategische Partnerschaft zwischen beiden Ländern mit einer Laufzeit von 25 Jahren. Das Abkommen sieht eine Entwicklung der Beziehungen der zwei Länder in Bezug auf 20 verschiedenen Richtungen vor, darunter in den Bereichen Investitionen, Verteidigung und Energiewirtschaft.
Die Vorbereitung des russisch-iranischen Abkommens läuft nicht erst das erste Jahr. Es ist aber nach wie vor nicht unterzeichnet worden. Ende Juli dieses Jahres erklärte Irans Botschafter Kasem Dschalali, dass der Umfang der Beziehungen zwischen beiden Ländern heute weitaus größer als in den vorangegangenen Jahrzehnten sei. Russland und der Iran haben nach Aussagen des Botschafters „in ihrem Arsenal mehr Möglichkeiten und ein größeres Potenzial, die man ausnutzen kann“. Dschalali erinnerte daran, dass ein Abkommen über eine allseitige Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern vor beinahe 20 Jahren unterzeichnet worden war.
„Der Iran besitzt heute die zweitgrößten Vorräte an Erdgas, das man theoretisch schon längst nach Europa liefern könnte. Dies erfolgt aber aufgrund der amerikanischen Sanktionen und der Transportschwierigkeiten nicht“, erläutert Sergej Prawosudow, Direktor des Instituts für nationale Energiewirtschaft. Eine andere diskutierte Route ist eine Gaspipeline aus dem Iran durch Pakistan nach Indien, für die russische Unternehmen bereit waren, Röhren zu liefern. Aber auch dieses Projekt wird bisher nicht verwirklicht. „Vorerst liefert der Iran rund zehn Milliarden Kubikmeter über eine Gaspipeline über kurdische Territorien in die Türkei“, erinnert Prawosudow. Und die Mitteilung über neue Lagerstätten ändere in keiner Weise die Situation und hebe nicht die bestehenden Hindernisse für einen Gasexport aus dem Iran auf, meint der Experte. Nach seinen Worten könne China an einer Verflüssigung iranischen Gases für weitere Lieferungen zu seinen Häfen interessiert sein. „Die Schlüsselfrage hinsichtlich einer kommerziellen Nutzung des iranischen Gases ist aber nicht geklärt – sowohl hinsichtlich der bekannten Felder als auch in Bezug auf die gerade entdeckten“, meint Prawosudow.
„Notwendig ist eine Bestätigung der Vorräte, am besten unter Beteiligung kompetenter Unternehmen mit internationalen Arbeitserfahrungen. Doch auch ohne das neue Feld verfügte der Iran über erhebliche Vorräte und wurde als ein potenzieller Konkurrent für das russische Gas in Europa angesehen“, sagt der leitende Experte der Stiftung für nationale Energiesicherheit Stanislaw Mitrachowitsch, ein Experte der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation.
„Dass Russland und der Iran taktische Verbündete hinsichtlich des Syrien-Konfliktes sind und insgesamt Überschneidungen hinsichtlich der außenpolitischen Positionen aufweisen, hebt überhaupt nicht die Tatsache auf, dass wir direkte Konkurrenten auf dem Markt der Kohlenwasserstoffe sind. Zynisch gesprochen war es für die russischen Unternehmen vorteilhaft, als das iranische Öl und Gas einen eingeschränkten Zugang zu den Weltmärkten aufgrund der Sanktionen des Westens hatten“, betont Mitrachowitsch. Russland sei ein Gaslieferant auf für den chinesischen Markt. Daher werde es schwierig werden, die Märkte mit dem Iran zu teilen. Nach Aussagen des Experten würde heute bereits die Formel der Zeiten der früheren Verhandlungen – „Russland liefert nach Europa, und der Iran, mag er nach Asien liefern“ — nicht wirken. Wozu soll Russland bei der Erschließung der iranischen Lagerstätten helfen, für die Schaffung von Konkurrenz für sein eigenes Gas sowohl in Europa als auch in der Türkei oder in China? Dies sei eine große Frage. „Ein Kompromiss kann in einem größeren Kontext der Beziehungen erreicht werden, wenn der Iran beispielsweise nicht verbal, sondern tatsächlich Russland einen Militärstützpunkt errichten lässt oder die russische Version für die künftigen politischen Konfigurationen in Syrien akzeptiert“, vermutet Mitrachowitsch.
Peking besitze riesige Erfahrungen aus der Arbeit im Iran in Bezug auf Öl- und Gasfelder, wobei in China sogar die spezielle Bank Kunlun etabliert worden war, die mehrfach für die Regelung des Öl-Imports über dutzende Milliarden Dollar während der UNO-Sanktionen gegen den Iran in den Jahren 2012-2015 genutzt wurde, erläutert Alexej Maslow, amtierender Direktor des Instituts für den Fernen Osten der Russischen Akademie der Wissenschaften. „China hat in der letzten Zeit mehrfach die Bereitschaft erklärt, Kredite über hunderte Millionen Dollar für die Entwicklung des Energiesektors im Iran bereitzustellen, was in gewisser Weise auch die chinesischen Risiken, die mit der Erhöhung der Einkäufe von Öl und Gas für die Entwicklung des Binnenmarktes zusammenhängen, absichern kann (per Hedging)“.
Zur gleichen Zeit habe China keine einfachen Verhandlungsbeziehungen mit dem Iran in Bezug auf viele Fragen. „Bereits im Jahr 2019 verzichtete der chinesische Öl- und Gaskonzern CNPC auf die Entwicklung des iranischen Gasprojekts „South Pars“, Etappe 11, nachdem das iranische Unternehmen Petropars dieses im Alleingang entwickelte. Ende des Jahres 2020 hat China jedoch die Arbeiten an diesem Abschnitt wiederaufgenommen, wobei der chinesische Konzern CNPC den Anteil des französischen Unternehmens Total von 50,1 Prozent übernahm und diesen dem bereits existierenden Anteil von 30 Prozent hinzufügte“, erinnert Maslow.
Die Bedingungen für China bei solchen Arbeiten seien äußerst vorteilhafte, meint der Experte. Irans Erdölministerium bietet den Chinesen einen Bonus von 15 Prozent zu den Kosten des gesamten zu fördernden Gases für einen Zeitraum von neun Jahren an. „Es ist natürlich, dass auch das Feld „Chalous“ nicht ohne eine Beachtung Pekings geblieben ist, das auf dieses wie auf eine strategisch vorteilhafte Investition blickt, bei der China, wenn nicht als ein Monopolist, so zumindest als Hauptplayer zusammen mit Russland auftreten kann“, ist sich der Experte gewiss. „Bei diesem Gasprojekt kann auch Russland eine wichtige Rolle spielen, wenn man berücksichtigt, dass es uns in der letzten Zeit gelungen ist, gute sachliche Beziehungen mit dem Iran zu gestalten. Die Bildung eines Konsortiums unter Beteiligung Chinas und Russlands könnte alle Etappen der Erschließung und Ausbeutung des Feldes und des Verkaufs des Gases absichern, aber auch eine stabile Entwicklung dieses Projekts gewährleisten, da der Iran im Alleingang wohl kaum imstande ist, dies unter den gegenwärtigen Bedingungen zu tun“, vermutet Maslow.
„China kann für die Erschließung und Ausbeutung des Feldes und den Bau einer Gaspipeline zu den bereits existierenden Gasleitungen aus Turkmenistan nach China Kredite bereitstellen. Dabei können die chinesischen Unternehmen auch selbst das neue Feld erschließen. Der Transportabschnitt vom iranischen Sektor des Kaspischen Meeres bis zu den Gebieten des Verbrauchs des Gases in China (die östlichen Regionen) ist ein recht großer. Daher ist es rentabel, solch ein Projekt nur bei geringen Einkaufspreisen für das Gas zu realisieren. Dieses Szenario hat ein Problem. Turkmenistan wird dagegen auftreten, da China derzeit selbst die vorhandenen Gaspipelines nicht auslastet, das heiß, von Turkmenien weniger Gas erwirbt, als es früher angenommen hatte“, meint Igor Juschkow, leitender Analytiker der Stiftung für nationale Energiesicherheit und Experte der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation.
„Peking wird wahrscheinlich nicht anfangen, Mittel in die Erschließung der iranischen Lagerstätte zu stecken, um Gas nach Europa zu liefern“, meint der Experte. Außerdem könnten die Investoren für ein derartiges Projekt mögliche amerikanische Investitionen fürchten.
„Unter Umgehung der Türkei Gas aus dem Iran nach Europa zu bringen, ist zu teuer. Man wird eine Gaspipeline durch Aserbaidschan nach Georgien ziehen und dort entweder eine Gasleitung durch das Schwarze Meer oder einen LNG-Terminal bauen müssen. Beide Varianten sind äußerst kostspielig. Für Russland ist die gegenwärtige Situation vorteilhaft, da der Iran keinen Zugang zum europäischen oder zu den asiatischen Märkten hat. So tauchen für uns keine neuen Konkurrenten auf“, betont Juschkow.