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Das neue Jahr beginnt in Weißrussland mit einem Prozess gegen einen Gewinner des Friedensnobelpreises


Für den 5. Januar ist der Beginn des Prozesses gegen den Menschenrechtler und diesjährigen Friedensnobel-Preisträger Ales Beljazkij (der ihn mit den Menschenrechtsorganisationen Memorial aus Russland und Zentrum für bürgerliche Freiheiten aus der Ukraine teilte – Anmerkung der Redaktion) sowie gegen zwei Mitstreiter) anberaumt worden. Polens Botschafter in Weißrussland widmete seine Weihnachtsglückwünsche allen politischen Gefangenen. Vor diesem Hintergrund sind im Emigranten-Milieu Vorwürfe gegen Swetlana Tichanowskaja laut geworden, wonach sie mit den Offiziellen Weißrusslands keine gegenstandsbezogenen Verhandlungen über eine Freilassung der Gegner der derzeitigen Herrschenden führen wolle.

Bekanntgeworden ist der Termin für den Auftakt des Prozesses gegen den Vorsitzenden des Menschenrechtszentrums „Wjasna“ (deutsch: „Frühling“), den Friedensnobel-Preisträger Ales Beljazkij. Er, sein Stellvertreter Valentin Stefanowitsch und der Koordinator der Kampagne „Menschenrechtler für freie Wahlen“ Wladimir Labkowitsch werden auf der Anklagebank des Leninskij-Stadtbezirksgerichts in Minsk erscheinen. Ihnen wird Schmuggel (illegaler Transport von Bargeld in einem großen Umfang durch eine organisierte Gruppe über die Zollgrenze der Eurasischen Wirtschaftsunion) und „Finanzierung von Gruppenhandlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen“, angelastet. Die drei Menschenrechtler befinden sich seit dem 14. Juli 2021 in Haft. Den Angeklagten drohen sieben bis zwölf Jahre Freiheitsentzug.

Die Zeremonie zur Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis erfolgte am 10. Dezember in Oslo. Anstelle von Beljazkij nahm seine Gattin an ihr teil. Bis zum letzten Zeitpunkt hatten seine Mitstreiter gehofft, dass dieses spektakuläre Ereignis die weißrussischen Offiziellen veranlassen wird, den Preisträger freizulassen oder zumindest ihn unter Hausarrest zu stellen. Dies ist aber nicht geschehen.

Den Menschenrechtlern wirft man vor, dass sie die Beförderung von Bargeld „in einer Summe von mindestens 201.000 Euro und 54.000 US-amerikanischen Dollar“ vom Territorium Litauens organisiert hätten. Und danach – gemäß der Version der Untersuchungsorgane – „haben sie bereits in der ausgewiesenen Zusammensetzung, aber auch mit anderen Personen vorsätzlich eine Ausbildung von Bürgern für eine Teilnahme an Gruppenhandlungen, die grob die öffentliche Ordnung verletzen, vorgenommen, aber auch eine Finanzierung und materielle Absicherung solcher Aktionen unter dem Anschein einer Menschenrechts- und karitativen Tätigkeit, darunter im Namen des Menschenrechtszentrums „Wjasna“ und der nichtregistrierten Stiftung „BY_HELP“ im Zeitraum vom Mai 2020 bis einschließlich 14. Juli 2021“. Die „Finanzierung und materielle Absicherung“ beschränkte sich hauptsächlich auf eine Bezahlung von Strafen, die gegen Protestteilnehmer verhängt wurden, aber auch der Tätigkeit deren Anwälte.

Nicht nur internationale Nichtregierungsorganisationen, sondern auch offizielle Vertreter aus Ländern des Westens geben regelmäßig Erklärungen zur Unterstützung der weißrussischen Gefangenen ab. So nutzte Polens Botschafter in Minsk, Artur Michalski, seine Weihnachtsglückwünsche, um an deren Schicksal zu erinnern und zur Solidarität mit ihnen aufzurufen. Der Diplomat schrieb in den sozialen Netzwerken: „Viele unserer Nächsten, unserer Freunde können sich nicht zu Hause an diesem Fest erfreuen. Wir können sie nicht vergessen. Lassen Sie uns einen leeren Teller auf den Festtagstisch stellen. Mag er alle symbolisieren, die sich in Gefängnissen befinden“.

Und gerade an den Feiertagen ist es in der weißrussischen zu einem erneuten Skandal aufgrund des Schicksals der Gefangenen gekommen. Iwan Krawzow, ein Vertreter des Teams des sich gleichfalls hinter Gittern befindlichen Ex-Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko, warf der Anführerin der Opposition Swetlana Tichanowskaja vor, dass sie sich nicht sehr um das Schicksal der Gefangenen Sorgen mache.

Er erklärte, dass bei allen Begegnungen mit europäischen Politikern, bei denen er zugegen gewesen war, „die Position des Offices von Tichanowskaja stets eine eindeutige war: a) keinerlei Kontakte mit dem Regime; b) alle politischen Häftlingen müssen bedingungslos freigelassen werden, und erst dann sind Gespräche möglich“ und c) „keinerlei Schachern mit dem Regime“.

Die Internet-Ressource „Nascha Niwa“ zitiert die Forderung des Aktivisten: „Das Office als führendes außenpolitisches Team darf diese Prozesse nicht sabotieren und muss zumindest eine neutrale Haltung einnehmen“.

Swetlana Tichanowskaja reagierte unverzüglich in ihrem Telegram-Kanal auf diese Vorwürfe. Sie erklärte unter anderem: „Viele in unserem Team haben nächste Verwandte, ganz zu schweigen von Freunden oder Bekannten, die sich aufgrund politischer Ursachen hinter Gittern befinden. Alle im Team haben ihre persönliche Motivation, so schnell wie möglich die politischen Häftlinge freizubekommen. Daher kann ich weder politisch noch emotional verstehen, was gemeint ist, wenn irgendwer sagt, dass „das Office das Herauskommen der politischen Gefangenen sabotiert“.

Sie unterstrich, dass sie bereit sei, Kritik Gehör zu schenken. In diesem Fall halte sie die aber nicht für eine konstruktive. „In diesem Fall sehe ich keine Vorschläge: Was soll also getan werden? Wollen Sie einen Menschenhandel beginnen? Dann sagen sie – durch wen? Wie? Wo? Zu welchen Bedingungen? Auf welcher Art und Weise? Was für Garantien gibt es? Wie ist vorzugehen, um das Problem nicht zu verschlimmern? Sollen die politischen Häftlinge gegen eine Aufhebung von Sanktionen ausgetauscht werden?“, fragt Tichanowskaja, die sich offenkundig sehr verletzt fühlt. Sie betont, dass man nicht zulassen dürfe, dass, „wenn man irgendeinen freilässt, zwei neue als Geiseln nimmt“. Die Politikerin ist der Auffassung, dass „man konsequent eine Freilassung aller fordern muss“. Aber gerade diese Vorgehensweise scheint ihren Opponenten auch keine sehr produktive zu sein.

Derweil haben die Menschenrechtler zum heutigen Tag 1442 Menschen von denen, die sich derzeit in Haft befinden, als politische Gefangene anerkannt.