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Das Schicksal von „Nord Stream 2“ wird das Treffen Putins und Bidens entscheiden


Zu den Ergebnissen der für den 16. Juni geplanten Verhandlungen von Wladimir Putin und Joseph Biden werden keinerlei Dokumente unterzeichnet, teilte der Pressesekretär des russischen Präsidenten Dmitrij Peskow mit. Die Begegnung wird einen Kennenlern-Charakter tragen, was ihre Bedeutung nicht schmälert. Die Gespräche Putins und Bidens werden die Beziehungen der USA und der Russischen Föderation für einen langen Zeitraum bestimmen. Und von ihrem Ausgang wird in Vielem das Schicksal des Projekts „Nord Stream 2“ abhängen.

Dass die Präsidenten der beiden Länder sich nicht anschicken würden, konkrete Dokumente zu den Ergebnissen ihrer Gespräche zu unterzeichnen, teilte Peskow bei der Beantwortung einer entsprechenden Frage von Journalisten mit. „Nein, bisher ist darüber nicht gesprochen worden. Vorerst wird dies nicht geplant“, sagte er. Auch von amerikanischer Seite spricht man von keinerlei Dokumenten zwecks Unterzeichnung, die Biden vorbereitete.

Die Nachrichten über das bevorstehende Treffen beider Staatsmänner betreffen bisher in größerem Maße die Seite des Prozederes. Bekannt sind unter anderem der Zeitpunkt und der Ort der Gespräche. „Präsident Joseph Biden und Präsident Wladimir Putin werden sich am 16. Juni in Genf treffen“, hatte auf seinem Twitter-Account der Leiter des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten Ignazio Cassis geschrieben. Für das amerikanische Staatsoberhaupt werden die Gespräche mit dem russischen Amtskollegen zu einem Teil der ersten Auslandsreise als Staatsoberhaupt. Vom 11. bis 13. Juni wird Biden beim G-7-Gipfel in Großbritannien sein, am 14. Juni findet eine NATO-Tagung in Brüssel statt, und danach erfolgt ein Besuch der Schweiz. Solch ein Reisezeitplan verringert die Schärfe der Kritik am amerikanischen Präsidenten nach der Entscheidung seiner Administration, die Sanktionen gegen den Betreiber des Projekts „Nord Stream 2“, die Nord Stream 2 AG und dessen Chef Matthias Warnig, aufzuschieben. In einer Mitteilung des State Departments wird dies mit einem Verweis auf die Interessen der USA begründet.

Bei einem Briefing im Weißen Haus hielt es Biden für notwendig, detaillierter seine Position zu erläutern. Er erinnerte daran, dass er früher konsequent gegen das Projekt aufgetreten sei. Aber zu dem Zeitpunkt, an dem Biden sein Amt antrat, war der Bau der Gaspipeline praktisch abgeschlossen gewesen. „Weiter zu gehen und jetzt Sanktionen zu verhängen, wäre aus meiner Sicht hinsichtlich unserer europäischen Beziehungen konterproduktiv gewesen“, sagte er. Da ergibt sich: Biden betrachtet das Problem des Baus von „Nord Stream 2“ im Kontext einer Wiederherstellung der durch Donald Trump verdorbenen Beziehungen Washingtons mit den EU-Ländern. Zuvor hatte der amerikanische Präsident nichts Ähnliches gesagt. Er, wie auch seine Partei hatten „Nord Stream 2“ ausschließlich als eine Bedrohung angesehen – Moskaus Form, Probleme für die Ukraine zu schaffen und seinen Einfluss in Europa zu verstärken.

Dies hielten ihm unverzüglich die Kritiker in der Heimat aus den Reihen der Republikaner vor. Mehr noch, sie erinnerten daran, dass im Kongress ein Gesetzentwurf liege. Er wurde durch 14 Senatoren-Republikanern – durch Chuck Grassley, Kevin Kramer u. a. – vorbereitet. Durch die Gesetzesvorlage wird vorgeschlagen, unverzüglich alle Sanktionen gegen „Nord Stream 2“ zu verhängen, die durch früher verabschiedete Gesetzesakte vorgesehen wurden. Dies bedeutet, dass „Nord Stream 2“ und Matthias Warnig auf die Black List der Sanktionen gelangen müssen. Die Wahrscheinlichkeit einer Annahme dieses Gesetzentwurfes verringert dies, dass er ausschließlich durch Republikaner vorgelegt wurde. Demokraten haben ihn nicht unterzeichnet. Dennoch zu sagen, dass Biden und seine Administration den Abschluss des Projektes abgesegnet haben, ist zumindest verfrüht.

Die Verhängung von Sanktionen gegen „Nord Stream 2“ wird durch Gesetze vorgesehen, die durch den Kongress verabschiedet wurden. Der Präsident ist, wenn er keine Veränderung dieser Gesetze initiiert (was derzeit nicht der Fall ist), berechtigt, nur deren Umsetzung auszusetzen. Im Grunde genommen ist in der Erklärung von US-Außenminister Anthony Blinken, die die Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG betrifft, das Verb „to waive“ (zeitweilig aufschieben) verwendet worden. Und dann: Wenn Biden das Ergebnis des Treffens mit Putin nicht befriedigt, wird das Weiße Haus nichts daran hindern, die Aufnahme des Betreiber-Unternehmens von „Nord Stream 2“ in die Black List bekanntzugeben. Letzten Endes hatte es in der Geschichte der russisch-amerikanischen Beziehungen Fälle gegeben, in denen nach Treffen der beiden Staatsoberhäupter, die scheinbar von einer Entspannung zeugten, eine Zuspitzung der Situation folgte. Es genügt, sich an den Juni des Jahres 2010 zu erinnern. Damals folgte nach den bahnbrechenden Gesprächen von Dmitrij Medwedjew und Barak Obama – wie seinerzeit erklärt worden war — ein „Agentenskandal“ – die Festnahmen von elf Bürgern Russlands in den USA und auf Zypern auf der Grundlage von Spionagevorwürfen.

Der leitende wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für die USA und Kanada der Russischen Akademie der Wissenschaften Wladimir Wassiljew äußerte in einem Gespräch mit der „NG“ die Vermutung, dass in der Administration des Weißen Hauses gegenwärtig keine Einheit hinsichtlich der Zweckmäßigkeit einer Anbahnung von Kontakten mit dem Kreml herrsche. „Biden ist der Auffassung, dass er durch die Begegnung mit Putin zumindest deshalb gewinnen werde, da es ihm gelingen werde zu zeigen, dass nicht nur Trump in der Lage ist, eine gemeinsame Sprache mit den für Amerika problematischen ausländischen Staatschefs zu finden. Aber möglicherweise steht eben jener Blinken skeptischer den bevorstehenden Gesprächen gegenüber“, meint der Experte. All dies mache, wie Wassiljew annimmt, unterschiedliche Überraschungen vor und nach dem Genfer Treffen wahrscheinlich. „Es wird der Eindruck erweckt, dass das System der russisch-amerikanischen Beziehungen derzeit in Washington von mehreren „Köpfen“ betreut wird. Dies birgt die Gefahr eines Scheiterns der Gespräche oder dessen, dass sie mit nichts enden werden, in sich“, sagte Wassiljew.