Nach Schätzungen des russischen Finanzministeriums sollten die Öl- und Gaseinnahmen über 40 Prozent der Einnahmen des föderalen Haushalts in den nächsten drei Jahren absichern. In der EU schätzt man solche Einnahmen auf einem Stand von 45 Prozent und ist der Auffassung, dass der Löwenanteil – 37 Prozent – gerade auf den Verkauf von Erdöl entfällt. Dem Etat für das Jahr 2022 wurde ein prognostizierter Preis für Erdöl der Marke Urals in einer Höhe von 62,2 US-Dollar je Barrel zu Grunde gelegt.
Es ist klar, dass ein Teil der hauptsächlichen antirussischen Sanktionsmaßnahmen gerade den Erdöl- und Erdgassektor Russlands betrifft. Aber während hinsichtlich des Gases der Westen – und vor allem Europa – noch seine wesentliche Abhängigkeit von Russland verspürt, so sei hinsichtlich des Erdöls und der Erdölprodukte solch eine Abhängigkeit bereits überwunden, wie man in Washington, Brüssel und anderen Hauptstädten der führenden Länder des Westens meint.
Verbote für das Erdöl
Am 5. Dezember ist die Bestimmung des 6. Sanktionspaketes der Europäischen Union, das noch im Juni bestätigt worden war, in Kraft getreten, in der ein vollkommenes Verbot für den Kauf russischen Erdöls, das auf dem Seeweg transportiert wird, enthalten ist. Ab diesem Tag hatten die G-7-Länder, die EU und Australien durch eine gemeinsame Entscheidung auch geplant, ihren Banken, Versicherungsgesellschaften, Tankern bzw. entsprechenden Reedereien und Häfen zu untersagen, jegliche Leistungen zu erweisen, die mit einem Export russischen Erdöls auf dem Seeweg verbunden sind und der den von ihnen festgelegten Preisdeckel überschreitet. Die Verhandlungen in der Europäischen Union über die Höhe des Preislimits für russisches Erdöl hatten jedoch Meinungsverschiedenheiten zwischen den G-7-Mitgliedsstaaten und vor allem innerhalb der EU ausgelöst. Der endgültige Preis, über den man sich letztlich einigen konnte, beträgt 60 Dollar für einen Barrel russischen Erdöls. Gerade zu diesem Preis (und nicht höher) darf Russland in der Zukunft sein Erdöl an alle Kunden verkaufen. Außerdem könne, wie das Hamburger Wochenblatt „Die Zeit“ betont, russisches Erdöl nur in ausschließlichen Fällen in die EU gelangen. Das Hauptziel solcher Sanktionen besteht darin, dank einer Reduzierung der Öl- und Gaseinnahmen für den russischen Haushalt die Möglichkeiten der Finanzierung des Führens von Kampfhandlungen auf dem Territorium der Ukraine zu beschneiden.
Die Zeitung führt Berechnungen eines der EU-Beamten an, laut denen Russland dank den Sanktionen täglich um die drei Millionen Barrel Erdöl nicht verkaufen könne. Bei einem langfristigen Barrel-Preis von 70 Dollar werde Russland somit täglich jeweils 210 Millionen Dollar verlieren. Es wird angenommen, dass dieses Erdöl noch nirgendwo anders hin verkauft werden könne. Anders gesagt: Russland müsse seine Förderung drosseln.
Für jene europäischen Länder, die sich nicht auf der Schnelle von der Notwendigkeit einer Nutzung russischen Erdöls lösen und auf andere Lieferanten umorientieren können, sind Ausnahmen vorgesehen worden. Solche Ausnahmeregelungen ohne eine zeitliche Beschränkung können vorerst Ungarn, die Slowakei und Tschechien nutzen. Deutschland beabsichtigt, den Import russischen Erdöls nicht später als bis Ende dieses Jahres einzustellen. Ausnahmen bestehen für Bulgarien, das russisches Erdöl auf dem Seeweg erhält, und für Kroatien.
Versicherungsgesellschaften und Schiffen unter der Flagge von Ländern der G-7 und der EU wird untersagt, russisches Erdöl zu transportieren, zu versichern und zu verkaufen, wenn es zu einem Preis angeboten wird, der über dem festgelegten Limit liegt. Eingeführt werden gleichfalls Strafen für Tanker dritter Länder, die russisches Erdöl zu einem Preis transportieren werden, der über den durch die Sanktionen festgelegten liegt. In diesem Fall geht es um Länder, die weder zur G-7 noch zur EU gehören. Russland hat aber bekanntlich schon erklärt, dass es sein Erdöl nicht in die Länder liefern werde, die sich an solche Preisbeschränkungen halten werden.
Das Wichtigste in den getroffenen Entscheidungen ist, dass der maximale Preis für russisches Erdöl regelmäßig – beginnend ab Januar – überprüft und evtl. verändert wird, um den Preisdeckel mindestens um fünf Prozent unter dem international durchschnittlichen Verkaufspreis für Erdöl zu halten.
Der Preisdeckel für Erdölprodukte soll laut Plan erst ab Februar kommenden Jahres wirksam werden. Es muss gesagt werden, dass im Fall mit den Erdölprodukten die EU-Beamten augenscheinlich mit noch größeren Problemen als bei den Beschränkungen für Erdöl konfrontiert werden. Sie können nicht auf die Produkte der Erdölverarbeitung verzichten, und die Erdölverarbeitungsbetriebe/Raffinerien in der EU sind nur auf eine bestimmte Ölsorte ausgelegt. Die Realisierung solch einer Entscheidung zieht die Notwendigkeit wesentlicher Investitionen für diese Betriebe zwecks Umgestaltung der technologischen Prozesse nach sich.
Die Meinung russischer Experten
Bei einer Anfang Dezember im Internationalen multimedialen Zentrum der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti stattgefundenen Rundtischdiskussion über die Situation auf dem internationalen Energiemarkt und Russlands Interessen wurden Konsequenzen der Sanktionen für den russischen Erdölsektor erörtert. An der Diskussion nahmen unter anderem der Direktor des Zentrums für Energie-Studien am Institut für Probleme der Preisbildung und Regulierung natürlicher Monopole (Teil der Moskauer Hochschule für Wirtschaftswissenschaften) und Leiter der Abteilung für die Untersuchung des energiewirtschaftlichen Komplexes der Welt und Russlands im Institut für Energie-Studien der Russischen Akademie der Wissenschaften, Wjatscheslaw Kulagin, der Chefdirektor für den Energiebereich des Instituts für Energiewirtschaft und Finanzen Alexej Gromow und Prof. Leonid Grigorjew, wissenschaftlicher Leiter des Departments für Weltwirtschaft an der Fakultät für Weltwirtschaft und internationale Politik der Moskauer Hochschule für Wirtschaftswissenschaften, teil.
Formal würden die Erdöllieferungen noch einen Monat lang entsprechend den alten Regeln erfolgen, meint Kulagin. Aber nach Inkrafttreten der Sanktionen würde der Markt aus dem Gleichgewicht geraten. Und dies bedeute, dass in Europa die Preise für die Verbraucher zu steigen beginnen würden und die Marge für die Erdöl-Verarbeitungsbetriebe geringer werde.
Vom Prinzip her betreffe diese Entscheidung, wie Grigorjew meint, die OPEC+ und hänge damit zusammen, dass eine bestimmte Gruppe von Ländern versuche, ein für sie akzeptables Preisniveau festzulegen. Heute würden solche Handlungen in Bezug Russlands unternommen werden, doch zu ihrem Opfer könne vom Prinzip her jedes Erdöl-Förderland werden.
Russland habe sich darauf vorbereitet, meint Grigorjew. Und hunderte Tanker hätten im letzten halben Jahr ihre Registrierung gewechselt.
Es ist bekannt, dass Versuche hinsichtlich eines parallelen Versicherns unternehmen worden, in deren Rahmen russische Lieferanten begannen, nicht in Großbritannien Versicherungsverträge abzuschließen, sondern mit anderen unabhängigen Versicherungsgesellschaften. So lange eine Adaptierung des Marktes erfolge, müsse nach Meinung von Grigorjew ein geringer Einbruch der der Ölpreise mit deren schrittweisen Zunahme bis zum einstigen Stand erwartet werden.
Es versteht sich, dass in dieser Hinsicht wichtig ist, dass die OPEC bei ihrer Tagung, die dieser Tage erfolgte, beschlossen hat, die Erdöl-Förderquoten nicht anzuheben. Dies wird helfen, die Erdölpreise zu halten. Zumal Russland erklärte, dass es verzichte, mit den Ländern zusammenzuarbeiten, die die Sanktionen unterstützen.
Aus der Sicht von Alexej Gromow sei der Preisdeckel vor allem ein Präzedenzfall. In dieser Hinsicht sei nicht wichtig, welche Zahlen genannt worden seien. Es würde eine Preisregulierung auf einem der liberalsten Märkte, der bis vor kurzem der Erdölmarkt gewesen war, eingeführt werden. Und dies bedeute ein Diktat der Verbraucher. Im Endergebnis werde in der langfristigen eine aus zwei Konturen bestehende Struktur für den Erdölhandel entstehen. Einerseits werde eine eigene Logistik- und Versicherungskontur für die russischen Erdöllieferungen auf den Weltmarkt gestaltet. Und für das russische Erdöl würden neue Märkte auftauchen, vor allem asiatische. Die anderen Länder aber würden entweder entsprechend den alten Schemas mit den westlichen Reedereien und Versicherungsgesellschaften arbeiten oder auch irgendwelche alternativen logistischen Schemas schaffen.
Russland hat begriffen, dass seit dem 5. Dezember der Markt für den Erdöltransport auf dem Seeweg für Russland geschlossen wird. Er verschließt sich aber relativ, da die Auslastung des Pipeline-Systems „Druschba“ (deutsch: „Freundschaft“) für jene Länder zunehmen wird, für die ein vergünstigtes Regime eingeführt worden ist (dies gilt für die bereits erwähnten Länder Ungarn, die Slowakei und Tschechien). Und sie werden sich auf eine Erweiterung der Lieferungen einlassen. Russland ist es gelungen, einen Großteil der europäischen Öllieferungen nach China, Indien, in die Türkei und in eine Reihe anderer Länder Asiens umzuorientieren. Es ist klar, dass sich für Russland die Gewinnspanne dieser Lieferungen verringert, was mit der Verschlechterung der Logistik zusammenhängt. Schließlich wurden früher die asiatischen Lieferungen aus den Häfen im Osten Russlands abgesichert. Nun aber muss für die Lieferungen in asiatische Länder die Logistik auch der europäischen Häfen und der Region des Schwarzen Meeres und des Asowschen Meeres genutzt werden. Schwierigkeiten ergeben sich mit der Versicherung. Schließlich versichern bereits seit Mai die westlichen Länder unsere Tanker nicht mehr. Die britischen Versicherungen sind universeller. Und unsere decken die sogenannten offenen Risiken. Dies sind unter anderem die Risiken, die mit einem Austreten von Erdöl und mit Wasserverschmutzungen durch Erdöl verbunden sind. Anders gesagt – jegliche Umweltschäden. In Großbritannien ist auch das System einer Rückversicherung von Frachtgütern entwickelt. In Russland aber wird solch ein System erst geschaffen. Bei uns (in Russland – „NG Deutschland“) ist eine Rückversicherungsgesellschaft etabliert worden. Es gibt gleichfalls ein System für die staatliche Versicherung russischer Erdöl-Frachtgüter, die per Tanker befördert werden. Hier ist aber wichtig, dass unsere Partner, die das vom Westen eingeführte System von Obergrenzen für die Ölpreise nicht akzeptieren, unsere Versicherungen annehmen.
Was die Schiffe (Tanker) angehe, so sei es Russland in der vergangenen Zeit gelungen, einen Teil der Schiffe, die sich in einer internationalen Jurisdiktion befanden, in seine Jurisdiktion umzumelden. Und es sei gelungen, etwas als eine Art Schatten-Flotte zu erwerben. Das prinzipielle Problem bestehe aber darin, dass die eigentliche Logistik des Transports von russischem Erdöl aus dem Westen gen Osten eine völlig andere Anzahl von Großtankern erfordere. Ungefähr 60 Prozent solcher Tanker befanden sich bis vor kurzer Zeit in der Jurisdiktion von Griechenland, Zypern und Malta. Daher bleibt für Russland das Problem der Suche nach Großtankern. Und dies bedeutet, dass ab Januar 2023 ein preislicher Einbruch für das russische Erdöl unumgänglich sein wird.
Wir müssten aber begreifen, wie Gromow meint, dass für einen Verkauf unseres Erdöls an jene Länder, die sich nicht dem Preisdeckel angeschlossen haben, wir unser Erdöl zu Preisen unterhalb des Preislimits anbieten müssen. Dies werde ein gewisser Sanktionsdiskont sein.
Eine besondere Stellung nimmt diesbezüglich Japan ein, das im Rahmen der G-7 den Preisdeckel unterstützte, für sich aber eine Aufhebung der Restriktionen für Öl-Lieferungen von den Sachalin-Projekten erwirkte. Nunmehr bleibt bei Russland die Frage: Wird es Prinzipienfestigkeit demonstrieren und sein Erdöl auch nicht nach Japan liefern, das formell die Preis-Obergrenze unterstützt hatte. Eine Umgestaltung der Logistik für das russische Erdöl werde nach Einschätzung von Gromow die gesamte erste Hälfte des Jahres 2023 in Anspruch nehmen.
Aus der Sicht von Leonid Grigorjew müsse man in allen Handlungen des Westens die Prognosen für das Wirtschaftswachstum berücksichtigen. Wenn man über den heutigen Tag spreche, so liege die Prognose des IWF für das kommende Jahr praktisch bei 0 Prozent. Nach Auffassung Kulagins müsse man die Aufmerksamkeit auf China lenken, da die COVID-Restriktionen (die laut letzten Meldungen aber gelockert werden sollen – Anmerkung der Redaktion) die Nachfrage nach Erdöl bremsen würden. All dies verringere objektiv den Bedarf des internationalen Markts an Erdöl und einen Rückgang des Barrel-Preises beeinflussen.