Die letzten Tage vor den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Turkmenistan (am 12. März) bescherten keinerlei Überraschungen. Die am 22. Februar abgeschlossene Kandidaten-Nominierung fixierte neun Anwärter für das Präsidentenamt, doch lediglich ein Name aus dieser Reihe sagt zumindest irgendetwas der turkmenischen Gesellschaft. Und er lautet: Serdar Berdymuchamedow. Der Sohn des amtierenden Präsidenten von Turkmenistan und Vizepremier für Wirtschaftsfragen Serdar Berdymuchamedow ist zuversichtlich zu den Wahlen angetreten und wurde als erster in der turkmenischen Zentralen Wahlkommission als Kandidat registriert, wobei er ein vorab vorbereitetes Programm hatte, das bereits den Status einer Staatsdoktrin für die sozial-ökonomische Entwicklung für die nächsten 30 Jahre erhalten hatte. Alle übrigen Kandidaten sehen blass aus, erfüllen aber mit Ehren ihre Bürgerpflicht zur Imitierung eines Präsidentschaftswahlkampfes. Es gibt keinerlei Intrige, und keiner hat irgendwelche Illusionen hinsichtlich des Geschehens. Alle begreifen alles ausgezeichnet. Durch ihre Apathie hat die Gesellschaft „dem das Präsidentenmandat ausgestellt, der es braucht“. Und die Wahlen an sich bezeichnet man als die „Wahl Serdars“.
Alle durch das Schicksal und dem leiblichen Vater gewährten Vorschusslorbeeren muss Serdar selbst irgendwie rechtfertigen, zumal dieses „irgendwie“ bereits für 30 Jahre durch sein eigenes Programm „Wiedergeburt einer neuen Ära des mächtigen Staates: nationales Programm für die sozial-ökonomische Entwicklung Turkmenistans in den Jahren 2022-2052“ bestimmt worden ist.
Und vor Serdar stehen keine leichten Herausforderungen. Und dies erst ist, zu verstehen, was denn wirklich in Turkmenistan vor sich geht, wie sind der Zustand der Wirtschaft, die Stimmung der Gesellschaft, ihre Kräfte und Reserven, unter anderem für die proklamierten Reformen zur „Wiedergeburt einer neuen Ära“. Und dies sind nicht einfach Worte.
Eine Statistik und soziologische Untersuchungen gibt es im allgemein üblichen Verständnis in Turkmenistan nicht. Die Sache ist so weit gegangen, dass es die Weltbank in ihrem Jahresreport zum Zustand der Weltwirtschaft bereits das zweite Jahr ablehnt, Turkmenistan (und Venezuela) in ihre Übersichten aufzunehmen. Die Gründe sind so selbstredend, dass es sich lohnt, sie vollkommen zu zitieren: „Gegenwärtig veröffentlicht die Weltbank keine Daten über die Wirtschaftsproduktion, die Einkommen oder das Wachstum für Turkmenistan und die Bolivarische Republik Venezuela aufgrund des Fehlens zuverlässigen Daten einer angemessenen Qualität. Turkmenistan und die Bolivarische Republik Venezuela sind aus den länderübergreifenden makroökonomischen Aggregatoren ausgeschlossen worden“ (Januar 2022). Die Mission des Internationalen Währungsfonds, die in Turkmenistan zwecks Beurteilung des Zustands der Wirtschaft weilte, gab zum Abschluss der Mission (im September 2021) eine Erklärung ab, in der es heißt: „Die Behörden haben keine Zustimmung zur Veröffentlichung eines Berichts des Personals und einer entsprechenden Pressemitteilung erteilt. Konkreter war das Außenministerium Großbritanniens in einer Übersicht über die Volkswirtschaften unterschiedlicher Länder der Welt: „In diesem Informationsbulletin sind die hauptsächlichen Daten zur Wirtschaft und Entwicklung von Turkmenistan vorgelegt worden. Bitte beachten Sie, dass einige Angaben nicht ordnungsgemäß sein und/oder politischen Manipulationen ausgesetzt werden können“. Und hier ein Zitat aus einer Pressemitteilung der Mission der Europäischen Union zu den Ergebnissen von Gesprächen mit Offiziellen Turkmenistans (Oktober 2021): „Die EU unterstrich gleichfalls die Wichtigkeit vergleichbarer, zuverlässiger und rechtzeitiger statistischer Angaben für das Treffen politischer Entscheidungen und hat Turkmenistan zu einer aktiven Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Statistik aufgefordert“. Das heißt: Die führenden internationalen Finanzinstitute und ausländischen Partner Turkmenistans konstatieren, wobei sie sich auf einen Vergleich der eigenen analytischen Materialien und der von Turkmenistan bereitgestellten statistischen Angaben stützen, dass die Wirtschaft Turkmenistans ein „schwarzes Loch“ darstelle, obgleich man es öffentlich und diplomatisch einfach ablehnt, etwas mit der turkmenischen Statistik zu tun zu haben. Was soll man da auch sagen, wenn die Ergebnisse der allgemeinen Bevölkerungszählung und der Erfassung des Wohnraumfonds, die 2012 durchgeführt wurden, sofort durch die Offiziellen zu einer geheimen Verschlusssache erklärt wurden. Und alle Angaben zur Bevölkerungszahl von Turkmenistan sind lediglich Vermutungen und Spekulationen. Noch schlimmer ist es um die Soziologie bestellt. Die einzige bekannte öffentliche Meinungsumfrage hatte in Turkmenistan eine ausländische Telekommunikationsfirma initiiert, um lediglich die Qualität des Service zu erhöhen. Folglich erfolgte diese Meinungserhebung auch nur im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches. Dieses Unternehmen ist allerdings in Turkmenistan nicht mehr tätig, nachdem es sein ganzes Business verloren hat.
Die Offiziellen aber stützen sich derweil auf Angaben, die für die ersten Männer des Staates durch die entsprechende Beamtenschaft gesammelt werden, und auf Berichte der Geheimdienste. Gerade diese vereinzelten und nichtsystematisierten Informationen, die keiner systematischen und qualifizierten Analyse unterzogen werden, gelangen auf den Tisch des Präsidenten und seines Apparates und werden durch sie unter anderem auch für die Ausarbeitung und Annahme von Entscheidungen verwendet. Von daher auch die wenig einleuchtenden, mit einer Vielzahl von Fehlern und Differenzen behafteten öffentlichen Berichte von Beamten der turkmenischen Regierung, denen verboten wurde, absolute Zahlen zu nennen, und die mit prozentualen Verhältnissen und Werten aus den vergangenen Jahren operieren. Selbst ein kurzes Bekanntmachen mit solchen Berichten im turkmenischen Fernsehen oder auf turkmenischen Internetseiten löst nichts außer Trübsal aus. Zum Zustand der turkmenischen Wirtschaft wird für die Aufmerksamkeit der Gesellschaft nichts Wesentliches – und das Wichtigste – nichts Vertrauenswürdiges veröffentlicht. Selbst der Jahreshaushalt von Turkmenistan sind drei, vier traurige Seiten ohne jegliche Detailierung.
Noch ein Grundübel der turkmenischen Wirtschaft sind der archaische Charakter des Bankensystems und das vollkommene Fehlen der Kategorien „E-Commerce“ und „Online-Banking“. Die einzige elektronische Dienstleistung, die die turkmenischen Banken erbringen, sind SMS-Benachrichtigungen über den Kontenstand und Ein-Weg-Codes für Zahlungen per Bankkarte. Es gibt weder Online-Überweisungen sowohl im Land als auch ins Ausland noch Systeme für einen schnellen Zahlungsverkehr und Überweisungen, es gibt keine Online-Zahlungsmöglichkeiten für kommunale Dienstleistungen und Strafen. Ebenso gibt es keine Möglichkeiten für den Erwerb und die Konvertierung von Devisen. All dies und vieles andere gibt es in Turkmenistan nicht! Sozusagen als eine Verhöhnung haben die turkmenischen Behörden den Zugang zu den Internetseiten der meisten großen ausländischen Banken und Handelsplätze blockiert, womit sie deren Dienstleistungen für Bürger Turkmenistans zu unzugänglichen machten.
Es gibt in Turkmenistan auch keine freie Konvertierung von Devisen. Der offizielle Kurs des turkmenischen Manats wird direktiv bestimmt und ist schon seit einigen Jahren unverändert (3,50 Manat kostet ein Dollar. Aber der sein eigenes Leben lebende Schwarzmarktkurs schwankt zwischen 15 und 40 Manat je Dollar, womit er wiederum entsprechende Preissprünge in Manat für Lebensmittel sowie andere Waren und Leistungen verursacht.
Dies löst auch eine gewaltige Inflation aus. Schließlich schließen die Lieferanten vorab und ständig diese Risiken in den Warenpreis ein. Dabei binden die Offiziellen alle offiziellen Wirtschaftsparameter an den stabilen offiziellen Kurs, womit sie die Probleme in der Wirtschaft verschleiern und sozusagen die mittlere Temperatur im Krankenhaus inkl. Leichenschauhaus ausweisen. Nun, und der Zugang zu einer Konvertierung von Devisen erfolgt über Anträge des Business, die in der Zentralbank geprüft und bearbeitet werden, wobei ausgewählte und mit der Präsidenten-Familie affiliierte Business-Strukturen Präferenzen besitzen, die danach mit Importwaren auf den Markt kommen. Aber zu Preisen, die an den Schwarzmarktpreis des Dollars gekoppelt sind. Der gesamte übrige Mittelstand und das Kleinunternehmertum sind derweil zum Dollar in bar übergegangen, wobei sie halblegale Mechanismen nutzen, die am offiziellen Bankensystem vorbeiführen. Für grenzüberschreitende Überweisungen sowie für den Erwerb und die Einfuhr von Waren.
Viele Probleme in der Wirtschaft haben Beobachter der Rückzahlung von Krediten für die Schaffung einer Infrastruktur zur Förderung und für den Transport von Erdgas zugeschrieben, in erster Linie an China. Im Sommer vergangenen Jahres hatten aber die turkmenischen Offiziellen vollmundig erklärt, dass die Hauptschulden hinsichtlich des Kredits an die Staatsbank Chinas für Entwicklung zurückgezahlt worden seien. Und dies bedeute, dass die gesamten Devisen für das zu verkaufende Gas nun nach Turkmenistan gehen. Und dies sind bis zu 80-85 Prozent aller Einnahmen aus der Außenwirtschaftstätigkeit. Es ist aber seitdem bisher zu keinerlei Belebung der Wirtschaft gekommen. Angemerkt sei im Übrigen, dass von allen Öl- und Gaseinnahmen nur 20 Prozent in den Staatshaushalt fließen, die übrigen 80 Prozent lösen sich in Fonds außerhalb des Haushalts in Luft auf. Es handelt sich dabei um undurchsichtige Strukturen mit einer unbekannten Satzung oder mit unbekannten Führungsprinzipien, die nicht ein einziges Mal irgendwelche öffentliche Berichte über ihre Tätigkeit, den Umfang der akkumulierten Mittel und Ausgaben vorgelegt haben. Der demoralisierten und eingeschüchterten turkmenischen Gesellschaft mangelt es an Geist und an Möglichkeiten, um den Offiziellen Fragen nach den Öl- und Gasgeldern sowie anderen Vermögenswerten zu stellen. Und die internationalen Finanzinstitute erhalten auf ihre Fragen keine Antworten von den turkmenischen Offiziellen. Oder letztere verheimlichen dies. Die Gold- und Devisenreserven Turkmenistans sind genau solch ein Geheimnis wie auch die Bevölkerungszahl des Landes.
Ein Augiasstall, den die turkmenische Wirtschaft darstellt, erwartet Serdar Berdymuchamedow. Vieles wird aber davon abhängen, inwieweit er selbst den kritischen Charakter der Situation begreift und zu welchen Schritten er sich selbst entschließen wird, inwieweit ihm das Wissen und die Kräfte seines Teams ausreichen werden und was ihm sein Vater zu tun erlauben wird, der ihm diesen Stall als Erbe hinterlässt.