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Das Thema der Migration aus Zentralasien wird in Russland lange aktuell bleiben


  • Die neuen offiziellen Daten des russischen Innenministeriums zur Situation um die Migration in Russland haben ein erhöhtes Interesse ausgelöst. Genannt wurde eine Zahl der illegalen Migranten. Man hatte eine nicht geringe Anzahl dieser ausgemacht – 670.000 Menschen. Wobei die erstmals veröffentlichten Informationen von Interesse sind. Über 50 Prozent von ihnen machen Frauen aus. Eine genaue Prozentzahl ist nicht genannt worden. Jedoch ist klar, dass es hunderttausende Frauen sind. Verständlich ist, dass zusammen mit den Arbeitsmigranten Familienangehörige und Kinder kommen. Bekannt ist gleichfalls, dass im ersten Quartal des vergangenen Jahres 106.000 Ausländer die russische Staatsbürgerschaft erhielten und dass meistens Bürger Tadschikistans die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation erhalten haben. Klar ist ebenfalls, dass praktisch alle ins Land gekommenen Menschen die bewachten Grenzen Russlands nicht verletzt haben. Sie sind nicht zwischen Grenzpfählen und unter Stacheldraht kriechend ist Land gekommen, sondern mit Transportmitteln und auf legaler Grundlage – ohne Visa, entsprechend dem Programm für eine Umsiedlung von Landsleuten und ohne die Forderungen, die russische Sprache zu beherrschen. Heute aber meint die Expertin für Migrationsfragen aus der Föderalen Ural-Universität in Jekaterinburg, Anastasia Faisowa, dass die „Sprachbarriere ein ernsthaftes Hindernis ist. Für einen Menschen ist es schwer, sich im Lexikon zurechtzufinden und die Veränderungen in den Gesetzen zu verfolgen. Ihr Nichtverstehen kann zu Problemen, Strafen oder gar zu einer Deportation führen“. Besondere Anforderungen an die Bürger Zentralasiens hat man in Russland nach der Tragödie im Konzertsaal „Crocus City Hall“ vom 22. März 2024 zu stellen begonnen. Die war zu einem solch spektakulären Terrorakt geworden, dass man darauf einfach reagieren musste. Es stellt sich aber die Frage: War aber alles in den vorangegangenen Jahren mit der Einwanderung von Bürgern Zentralasiens in Ordnung gewesen? Soweit angenommen werden kann, war die Situation rund um die Migration in den vorangegangenen Jahren etwa genau so eine wie im Jahr 2024. Und in den vergangenen Jahren haben auch hunderttausende Menschen die russische Staatsbürgerschaft erhalten. Doch ungeachtet des akuten Mangels an Arbeitskräften und Personal in einer Reihe von Branchen hat sich vergangenen Jahr die Gesamtsituation hinsichtlich der Einwanderer so sehr verschlechtert, dass in einer Reihe von Orten Bürgerwehren zum Schutz der Rechtsordnung gebildet wurden. Ohne dem ist augenscheinlich schon nicht mehr auszukommen. Wenn man sich der Geschichte erinnert, so wurde zum ersten Staatsorgan, das sich mit Migrationspolitik befasste, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der am 14. Juni 1992 beim Ministerium für Arbeit und Beschäftigung gebildete zivile Föderale Migrationsdienst. Im Jahr 2004 wurde der Pass- und Visa-Dienst zum Föderalen Migrationsdienst Russlands im Bestand des Innenministeriums Russlands umgebildet. Im Jahr 2012 wurde der Föderale Migrationsdienst aus dem Bestand des Innenministeriums herausgelöst und als eine eigenständige Struktur unter der direkten Jurisdiktion der Regierung etabliert. Im Jahr 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst Russlands aufgelöst, und seine Funktionen wurden in die Hauptverwaltung für Migrationsfragen des Innenministeriums der Russischen Föderation integriert. Und im vergangenen Jahr wurde die Bildung einer separaten Institution für Migrationspolitik angekündigt, in der es eine Rechtsschutz- und eine wirtschaftliche Komponente geben soll. Die Zeit geht voran, das unabhängige Russland wird bald 35 Jahre existieren. Eine Konzeption für die staatliche Migrationspolitik bis zum Jahr 2025 angenommen worden. Doch die Reaktionen der Abgeordneten und regionalen Behörden auf die entstehenden äußeren Bedingungen dauern an. Von Anfang an, nach ihrer Bildung 1993 hat die Staatsduma (Russlands Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) Gesetze zum Migrationsthema verabschiedet. Aber einen wahren Höhepunkt hinsichtlich der Annahme solcher Gesetzesakte gab es nur im Jahr 2024. In weniger als einem Kalenderjahr wurden 13 Gesetze zur Migrationspolitik verabschiedet. Eine Region nach der anderen trifft Entscheidungen über ein Arbeitsverbot für Migranten in einer Reihe von Branchen. Die Anzahl der Gesetze nimmt lawinenartig mit solch einer Geschwindigkeit zu, dass unter den Migranten ein Witz aufkam, obgleich es hier nichts Witziges gibt: „Wir sind erstmals in Russland, Ihre Gesetze kennen wir nicht, und vorerst werden wir nach unseren leben“. Inwieweit in vollem Maße bei der Annahme der Gesetzesakte die wirtschaftliche Komponente berücksichtigt wird, ist Aufgabe der Gesetzgeber. Was jedoch die Migranten angeht, so ist Anastasia Faisowa der Auffassung, dass es „für einen Menschen aus einem Kischlak oder Aul schwierig ist, nicht nur das Wesen der Gesetze, sondern auch deren Namen im Gedächtnis zu behalten. Solch ein Umfang an Informationen ist selbst für russischsprachige Menschen nicht zu bewältigen. Und selbst für die Abgeordneten der Staatsduma ist es schwierig“. Und dem kann man nur zustimmen. Entsprechend der Logik der Dinge soll der Mensch, der in ein anderes Land zum Arbeiten kommt, Geld verdienen und nach Hause zurückkehren. Und seine zahlreiche Verwandtschaft hat nichts damit zu tun. Ein Arbeiten im Ausland und das Nachreisen der Familie sind unterschiedliche Dinge. Und der Erhalt der Staatsbürgerschaft ist eine streng formalisierte Prozedur, genau solch eine wie, wenn man sich hinsichtlich einer Operation an einen Chirurgen und nicht an einen Freund, da er ein guter Mensch ist, wendet. Die Auflistung der für die Migranten nötigen Gesetze muss solch eine sein, dass man sie an den Fingern abzählen kann. Und nach Russland kommen die Migranten nicht auf der Grundlage einer entsprechenden Gewinnung von Arbeitskräften nach Berufen, wie man dies in der UdSSR in den 50ern des 20. Jahrhunderts getan hatte. Und die Menschen kommen mit Familien, was die Belastung für den Etat und den sozialen Bereich erhöht. Es gibt so viele Migrationsgesetze, dass den Menschen nicht ihre Anzahl Angst macht, sondern das, dass man die Gesetze über die Arbeitsmigranten und die Gesetze über einen Zustrom von Frauen und Kindern in einen Topf geworfen hat. Und selbst die Beamten an sich, die für die Migrationspolitik verantwortlich sind, haben begonnen, dies zu begreifen. Die russischen Medien veröffentlichen oft zum Thema der Migration unterschiedliche Zahlen und ungeprüfte Informationen. Und mit ihnen zu arbeiten, ist eine undankbare Sache (und möglicherweise gar eine strafrechtliche). Wie soll man aber beispielsweise auf die Frage antworten „Was erwartet in Russland tausende Kinder aus Zentralasien, die die russische Sprache nicht beherrschen?“. Und es erwartet sie wahrscheinlich ein neues Gesetz über Strafen von den Eltern, deren Kinder den Test hinsichtlich der Kenntnis der russischen Sprache nicht bestanden haben (ab 1. April tritt in Russland ein entsprechendes Gesetz, das für ausländische Kinder vor der Einschulung einen Russisch-Test verlangt – Anmerkung der Redaktion). Dabei wird die Entscheidung über eine Strafe an ganz konkreten Personen übergeben. Und dies bedeutet, dass da die Korruptionskomponente nicht bloß zu erahnen ist, sondern deutlich offenbar wird. Möglicherweise ist es bereits anders nicht zu regeln. Und vorab die Menschen, die mit dem neuen Recht ausgestattet worden sind, zu verdächtigen, ist nicht gut. Und wenn das Kind von Migranten schlecht hört und überhaupt taubstumm ist, wie ist damit umzugehen? Diese Logik macht auch klar, dass die 670.000 Illegalen in Russland lediglich 0,46 Prozent der 146-Millionen-Bevölkerung des Landes sind. Natürlich ist es für die Abgeordneten der Staatsduma offensichtlicher, mit welchen Gesetzen man sich in erster Linie befassen muss. Mit den 41 Millionen Rentnern, der Inflationsrate von 9,5 Prozent oder mit dem Gesundheitswesen? Wenn man aber bereits die Illegalen zahlenmäßig erfasst hat, bedeutet dies, dass alle übrigen Millionen Einwanderer in Russland legale, mit ordnungsgemäß ausgestellten Dokumenten sind? Den sich in Russland befindlichen illegalen Migranten ist die Möglichkeit eingeräumt worden, sich bis zum 30. April dieses Jahres an das Innenministerium und zuständigen Institutionen zwecks Legalisierung ihres Status zu wenden. Wird man folglich bis zum 1. Mai berichten können, dass es praktisch keine Illegalen gibt? Während in der UdSSR alle einen einheitlichen Pass und eine Staatsbürgerschaft hatten, bestrafte man nicht aufgrund eines schwachen Beherrschens der russischen Sprache. Heute sind alle ins Land kommenden Menschen und deren Kinder Ausländer. Es sind viele, aber das Geld reicht nicht aus. Der Autor vorliegenden Beitrags erinnert sich gut daran, wie 1962 in einer Kreisstadt von Tadschikistan ein neuer Junge aus einer tatarischen Familie in die 2. Klasse kam, der die ganze Zeit sprach „min sine anlamyjm“ – „ich verstehe dich nicht“. Dennoch hat er nach der Schule die Orenburger Fliegerschule absolviert und ging als Pilot eines schweren Flugzeugs in Rente. Ein anderer Junge, Gafur, Sohn eines Metallbearbeiters aus Dagestan, kam in die 9. Klasse, verwendete keine Schimpfworte und hatte fast stets geschwiegen. Später aber wurde er zu einem guten Uhrmacher. Soweit man erwarten kann, wird die Anzahl der Gesetze im Migrationsbereich sicherlich weiter zunehmen. Für die Beamten wird sich stets Arbeit finden. Und die Finanzierung dieser Arbeit wird gewährleistet sein. In Gesellschaft nimmt jedoch das Begreifen dessen zu, dass kluge Vorgehensweisen effektiver sind und besser arbeiten. Besonders auf staatlicher Ebene.