Jeder x-beliebige Wähler kann, wenn er möchte, vom 15. bis 17. März bei einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungszentrums VTsIOM sagen, für wen er bei den Präsidentschaftswahlen votierte. In diesen Tagen verspricht auch die Opposition, ihre Exit-Polls durchzuführen. Öffentlich hat dies nur Ex-Kandidat Boris Nadeschdin mitgeteilt. Es ist aber klar, dass Ende dieser Woche ein Krieg der postelektoralen Propaganda erfolgen wird. Überdies ist für eine Analyse der Ergebnisse auch ein umfangreicher Einsatz von Internet-Instrumenten vorgesehen. Übrigens, VTsIOM-Generaldirektor Valerij Fjodorow ist der Auffassung, dass in fünf Jahren alle Umfragen im Internet vorgenommen werden. Und – allem nach zu urteilen — vor allem durch Kräfte sogenannter Bots. Und auf präzisierende Fragen werden die künftigen IT-Soziologen genauso arrogant wie die Beamten, die derzeit für die elektronische Fernabstimmung zuständig sind, antworten: Wenn Du keine Ahnung hast, scher‘ Dich nicht darum!
In einer Entfernung von ca. 50 Metern von 1400 Wahllokalen in 69 Regionen des Landes werden vom 15. bis einschließlich 17. März Mitarbeiter vom VTsIOM stehen, die für die Durchführung der Exit-Polls zuständig sind. „Am Ausgang aus den Wahllokalen werden die VTsIOM-Interviewer den Wählern, die abgestimmt haben, vorschlagen, an einer anonymen Befragung mittels Tablet-PCs teilzunehmen – entweder einen Fragebogen auszufüllen, der einen Abstimmungszettel imitiert, und ihn selbständig in eine spezielle geschlossene Wahlurne zu werfen“, wird auf der Internetseite des Meinungsforschungszentrums erläutert. Da das Gesetz verbietet, soziologische Untersuchungen im Verlauf von fünf Tagen bis zum letzten Abstimmungstag und im Verlauf eben dieses zu publizieren, „wird das VTsIOM die Daten der Exit-Polls um 21.01 Uhr des 17. März Moskauer Zeit (19.01 Uhr deutscher Zeit – Anmerkung der Redaktion) veröffentlichen“.
Ja, und da wird man zuerst einen Vergleich von zwei Tabellen – von der letzten Meinungserhebung am 11. März und von den aktuellen Exit-Polls – vornehmen und sich danach davon überzeugen können, inwieweit sie sich alle mit den offiziellen Wahlergebnissen decken. Die Erfahrungen der vergangenen föderalen Wahlkampagnen belegen, dass sich die Ergebnisse nur leicht voneinander unterscheiden werden. In diesem Jahr beabsichtigen jedoch Soziologie-Freiwillige, die in den letzten Tagen der föderale Stab von Nadeschdin und dessen regionalen Abteilungen gewinnen wollen, mit dem VTsIOM zu konkurrieren. Der Ex-Präsidentschaftskandidat hat gar selbst die Sammlung von Mitteln für solch ein postelektorales Monitoring gestartet. Dabei ist bisher unklar, ob es gelungen ist, irgendetwas Ernsthaftes zu organisieren.
Dafür ist aus den aktuellen Nachrichten von Nadeschdin von dem Vorschlag an die Anhänger und alle nichtgleichgültigen Bürger zu erfahren, sich bei einem speziellen Bot auf Telegram anzumelden, der „die Verteilung der Stimmen der Nutzer entsprechend Wahllokalen beurteilt“. Erklärt wird, dass „jeder Wähler berechtigt ist, das Ergebnis seiner Stimmenabgabe mitzuteilen. Und der Bot wird helfen, das reale Abstimmungsbild in verschiedenen Regionen zu zeigen“. „Er sammelt keine Personendaten, nimmt keine Agitation für Kandidaten vor und führt keine soziologischen Befragungen durch. Dies ist lediglich eine ehrliche und unvoreingenommene Erfassung Ihrer Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen“, erläuterte Nadeschdin. Dieser Bot ist scheinbar nicht von seinem Team geschaffen worden, sondern einfach von IT-Enthusiasten. Ihre Netzwerkinstrumente wollen auch andere Gruppen der außerparlamentarischen Opposition einsetzen. Und die Emigranten schicken sich überhaupt an, ihre Daten im Online-Regime zu publizieren. Folglich wird sich das Bild von Wahlen als ein lustiges und vielschichtiges zu präsentieren beginnen.
Derweil erklärte der VTsIOM-Generaldirektor dieser Tage, dass gerade im Internet die Zukunft der Soziologie liege. Bei einem Vortrag auf einer Plattform der Gesellschaft „Znanie“ (deutsch: „Wissen“) unterstrich Fjodorow: „Eine neue, aber bereits aktive genutzte Befragungsmethode steht ins Haus. Dies sind Internet-Umfragen. Da gibt es eigene Schwierigkeiten wie bei jedem beliebigen neuen Verfahren. Es gibt viele schwierige Aspekte, mit denen man zu arbeiten lernen muss. Doch die Internet-Umfragen werden sich ständig und unablässig einen Weg bahnen, dessen sind wir uns gewiss. Gegenwärtig werden bereits insgesamt rund zehn Prozent der Fragebögen per Internet erfasst. In einigen Unternehmen gar mehr. Ich bin sicher, dass in fünf bis sieben Jahren Internet-Umfragen zur hauptsächlichen Methode werden. Genauso wie einst, vor 15 Jahren die Telefonbefragungen das Verfahren der direkten Befragung verdrängten“.
Sicherlich ist der Fortschritt auch in der Soziologie schon nicht mehr zu stoppen. Aber hinsichtlich eben jener telefonischen Befragungen gibt es beispielsweise eine Hauptfrage, die nach dem prozentualen Anteil der Weigerungen. Die Antwort auf diese muss augenscheinlich für eine Analyse vorgelegt werden. Die meisten der soziologischen Dienste tun dies nicht. Freilich gibt es auch noch eine wichtigere Beanstandung, auf die vor allem die offiziellen Soziologen nie reagieren. Gemeint ist die Herstellung einer Korrelation zwischen den gewonnenen Umfragedaten und den sozial-demografischen Parametern. So ist es stets interessant, sich das sozial-demografische Targeting anzuschauen. Es ist jedoch nie klar, nach welchen Kriterien die Antworten – sagen wir einmal – der jungen Befragten für ein positives prozentuales Ergebnis, das einer korrekten Auswahl entspricht, ausgewählt worden. Angenommen sei einmal, dass 100 Fragebögen gebraucht wurden, und es wurden Fragebögen als eine Reserve erstellt. Welche sind aber verworfen worden? Nur jene, die sich mit der Mehrheit der Antworten decken? Oder sind die sich deckenden und die sich nicht deckenden doch entsprechend der realen Proportion ausgesondert worden?
Aber zum Schlimmsten in der Internet-Zukunft der Soziologie wird das, dass es bereits auch sinnlos wird, derartige Fragen zu stellen. Denn die Netz-Bots werden so antworten können, wie dies ihr Programm vorsieht. Was aber die IT-Soziologen der nächsten Zeit angeht, so werden sie wahrscheinlich eine Position einnehmen, auf der heutzutage die Verfechter der elektronischen Fernabstimmung stehen. Dies sind meistens arrogante Belehrungen für neugierige „Lamer“ (bedeutet im Englischen so viel wie «Trantüte», wird in der Online-Community abwertend für jemanden verwendet, der stört oder salopp gesagt einfach nervt – Anmerkung der Redaktion) in solch einem Stil: Wenn Du hinsichtlich des Blockchains nichts verstehst, wozu mischst Du Dich mit Anmerkungen ein?!
Post Scriptum:
Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, wollte am Freitag offensichtlich allen anderen zuvorkommen und gratulierte bereits am 1. Tag der Stimmenabgabe Wladimir Putin zum Wahlsieg und somit zu dessen neuen, zur fünften Amtszeit.