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Dem russischen Durchschnittsbürger ist Afrika genauso schnuppe wie der Mond


Russland wird immer auffälliger zu einem großen Player in Afrika, Wie der russische Landwirtschaftsminister Dmitrij Patruschew mitteilte, würden in Bälde Getreidelieferungen in Länder des Kontinents auf kostenloser Grundlage beginnen. Unter den Bedingungen der scharfen geopolitischen Konfrontation mit dem Westen sucht Moskau nach Verbündeten in den unterschiedlichsten Ecken des Planeten. Afrika kann in dieser Hinsicht zu einer wichtigen Quelle einer Unterstützung werden, wenn auch vorerst vor allem einer stillschweigenden.

Die Traditionen der sowjetisch-afrikanischen Freundschaft bewahren nach wie vor eine Trägheit. Russland erscheint für viele afrikanische Länder als ein vorteilhafter Partner in Wirtschafts-, humanitären und militärischen Fragen. Es macht keinen Sinn, auch das geopolitische Ansehen außer Acht zu lassen. Wenn Russland an Afrika interessiert ist, wenn es einen entscheidenden Einfluss auf die Situation auf dem Kontinent ausüben kann, so ist dies eine Komponente des Status einer Supermacht.

Die Zusammenarbeit mit Afrika kann eine gegenseitig vorteilhafte sein. Das russische Business besitzt in dieser Hinsicht bereits große Erfahrungen. Aber in der Welt des Durchschnittsbürgers riskieren diese Initiativen, auf Skepsis und Unverständnis zu stoßen. Afrika ist für den kleinen Mann von der Straße genauso schnuppe wie der Mond. Die Nachricht von der gescheiterten Mission der Sonde „Luna-25“, die dutzende Milliarden Rubel kostete, fügt sich in diese Logik ein. Wozu dafür Kräfte und – das Wichtigste – Geld aufwenden? Sicherlich wird die afrikanische Geschichte erneut auf nicht mehr als eine unentgeltliche Hilfe hinauslaufen, denkt der praktische Durchschnittsbürger. Die philanthropischen Projekte für kostenlose Getreidelieferungen untermauern derartige Stimmungen und Meinungen. Und wie viele Abschreibungen von Schulden hat es doch gegeben?! Wladimir Putin erklärte jüngst, dass Russland afrikanischen Ländern 23 Milliarden Dollar erlassen hätte. Eine sehr große Summe, die auch unserem, wenn auch reichem Land genutzt hätte.

Die Frage nach einem Vorteil durch die Hilfe für Afrika wie auch durch die Erkundung des Mondes ist die grundlegende für das Bewusstsein der Durchschnittsbürger. Sie ist sogar wichtiger als der Stolz auf das Land, das sich solche Programme erlauben kann. Im kolonialen Diskurs kann man aus kapitalistischer Sicht diese Projekte erklären: Sie bringen den Organisatoren einen Gewinn, schaffen neue Arbeitsplätze für das Land, bringen ihm billige Ressourcen und erlauben, Spitzentechnologien zu entwickeln. Russland aber unterstreicht wie auch die UdSSR die humanistischen Gründe seiner Projekte – Hilfe im Kampf gegen den Kolonialismus, Erkundung des Universums. Strategisch ist dies richtig. Und klingt schön. Was hat davon aber wenn nicht der Bürger selbst, so seine Kinder? Was für ein Ergebnis werden sie sehen? Dies, dass sie die Nachricht über erneute abgeschriebene Milliarden lesen?

Alle erinnern sich, womit der sowjetische Versuch, die Kinder Afrikas zu ernähren, endete und wie sowjetische Funktionäre auch aufgerufen hatten, auf Mega-Investitionen in den Kosmos zu verzichten. Sowjetische Pioniere hatten humanitäre Hilfe auf den schwarzen Kontinent gesandt, doch die Afrikaner waren dennoch mit den Kapitalisten befreundet. Die UdSSR hatte einen künstlichen Satelliten auf den Weg gebracht. Die Vorteile aus den Technologien erhielten aber die Kapitalisten. Idealistische Projekte lösen beim Volk Enttäuschung aus, wenn nicht in irgendeiner, nicht allzu entfernten Perspektive ein Ergebnis auszumachen ist.

Russland muss sich sowohl mit Afrika als auch mit dem Mond und einer Vielzahl anderer „unpraktischer“ Projekte befassen, wenn in dessen Plänen vorgesehen ist, auf der Weltkarte nicht bloß als das größte Land zu bleiben, sondern auch als ein in jeglicher Hinsicht souveränes Land. Nicht viele Staaten können sich dies erlauben. Man muss die Möglichkeiten ausnutzen. Wenn dies Moskau nicht tun wird, werden es andere tun. Der Westen, China… Und wir werden in ihre Abhängigkeit geraten.

Man muss aber auch klar Prioritäten setzen. Heutzutage ist die Versuchung groß, „es dem Westen heimzuzahlen“, sich anzustrengen, die Franzosen und Amerikaner vom afrikanischen Kontinent zu verdrängen, indem die Unterstützung der einheimischen Spitzenvertreter gekauft wird. Dies kann aber nicht das strategische Ziel sein. Es macht für die Offiziellen Sinn, die Aufmerksamkeit auf die Erfahrungen des Business zu lenken. Großangelegte Bauvorhaben, Agrar-Projekte, die Förderung von Bodenschätzen – dies alles kann nicht nur den Afrikanern helfen, sondern auch – was möglicherweise noch wichtiger ist – tausende einfache Bürger Russlands ernähren. Ein langfristiges wirtschaftliches Interesse wird auch zu einer zuverlässigen und für jeglichen Durchschnittsbürger verständlichen Grundlage für eine Erklärung dessen werden, weshalb Russland nach Afrika zurückkehren sollte.