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Den Anhängern von ausländischen Agenten fügt das Justizministerium auch Komplizen hinzu


Im Justizministerium Russlands hat es einen neuen „Black Friday“ gegeben, das heißt einen Tag für die Erweiterung des Registers der sogenannten ausländischen Agenten, wo es bis zum 1. Dezember 724 Positionen gegeben hatte. Am Freitag wurde das Verzeichnis mit dem Soziologen Igor Eidman, dem Projekt „Arche“ (das Emigranten hilft, die aufgrund der Militäroperation in der Ukraine Russland verließen) und dessen Gründerin und Menschenrechtlerin Anatstasia Burakowa erweitert. Interessant ist, dass der TV-Kanal „Doschd“ erneut in das Register des Justizministeriums aufgenommen wurde. Freilich sind nicht alle Einträge aktuell, da sich die ausgewiesenen Personen (gemeint sind die Rechtspersonen – Anmerkung der Redaktion) regelmäßig selbst auflösen. Dennoch werden sie aber weiterhin im Register ausgewiesen. Augenscheinlich nicht zufällig, sondern für die Perspektive. Schließlich sind die meisten Organisationen, in denen es nicht wenige Menschen gegeben hatte. Für solche gibt es ein geheim gehaltenes Verzeichnis affiliierter natürlicher Personen oder Anhängern von ausländischen Agenten. Die allwöchentliche Erweiterung der Liste heutiger Volksfeinde sieht wie das Arbeiten des Staatsmechanismus aus Trägheit aus. Möglicherweise nimmt dieser aber nur die Fahrt erst richtig auf.

Die gesamte vergangene Woche haben hauptstädtische Gerichte Entscheidungen zu ausländischen Agenten gefällt. Dem einen wurden Strafen aufgrund des Fehlens der vorgesehenen Markierung von Materialien auferlegt, anderen verweigerte man eine Aufhebung des Status (zum Beispiel dem Friedensnobelpreisträger Dmitrij Muratow – Anmerkung der Redaktion).

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind in dem Register, das auf der Internetseite des Justizministeriums der Russischen Föderation zu finden ist, fast 730 Positionen ausgewiesen. Freilich, es besteht keinerlei Zweifel daran, dass bis zum Jahresende die Liste mindestens um ein Dutzend Namen länger werden wird.

Die vorgelegte offizielle Statistik des Justizministeriums in Bezug auf ausländische Agenten entspricht jetzt praktisch schon nicht mehr der Realität. Kaum hatte es zum Beispiel der stellvertretende Justizminister Oleg Swiridenko, der für diesen Bereich verantwortlich ist, genau vor einer Woche geschafft, die aktuellsten Zahlen zu nennen, als sie sich sofort änderten. Und jetzt kann man nach der erneuten Korrektur sagen, dass im Register vorerst tatsächlich knapp 540 natürliche und Rechtspersonen sind. Wobei gerade in den letzten paar Jahren häufiger Personen als NGOs oder irgendwelche Bewegungen den Status von Feinden des Staates oder gar des Volkes erhalten.

Im Justizministerium versichert man allerdings, dass natürliche Personen auch häufiger aus dem Register entfernt werden. Die tatsächlichen Daten bestätigen aber nicht diesen Trend. Zum Beispiel werden offiziell 188 Positionen des Registers als nichtaktuelle angesehen. Von denen sind nach Aussagen des bereits erwähnten O. Swiridenko 123 Rechtspersonen liquidiert worden. Und wenn man es genauer sagen möchte, so hat sich ein Großteil von ihnen einfach selbst aufgelöst. 65 ausländische Agenten wurden nach Überprüfungen durch das Justizministerium nicht mehr als solche angesehen worden. Und eben gerade unter ihnen sind tatsächlich mehr Menschen und keine Organisationen. Und die ganze Sache hängt damit zusammen, dass es für Rechtspersonen beinahe unmöglich ist zu beweisen, dass sie nicht mehr allen Kriterien entsprechen, um sie zu den ausländischen Agenten zu rechnen.

Dabei ist unschwer zu bemerken, dass sowohl die aus dem Register ausgestrichenen als auch ausgeschlossenen ausländischen Agenten weiterhin in ihm ausgewiesen werden. Es gibt nur ein Datum zur letzten Entscheidung in Bezug auf sie. Dies könnte man als ein bürokratisches Verfahren oder als einen bürokratischen Trick ansehen, damit die übergeordneten Chefs anschaulich die Arbeit des Staatsapparats sehen, wenn es nicht das überarbeitete Gesetz „Über die Kontrolle der Tätigkeit der Personen, die sich unter einem ausländischen Einfluss befinden“ geben würde. Und in dem gibt es den Verweis auf noch eine Liste – das sogenannte Gesamtregister der natürlichen Personen, die mit ausländischen Agenten affiliiert sind. Allerdings gibt es das Verzeichnis an sich nicht auf der Internetseite des Justizministeriums, was auch im Gesetz und den normativen Akten des Ministeriums verankert worden ist. Wie aber bereits im Sommer aus einem Bericht des Justizministeriums für das Parlament bekannt wurde, hatten sich im vergangenen Jahr in diesem geheim gehaltenen Verzeichnis von Anhängern ausländischer Agenten 861 Personen befunden.

Beurteilt man ungefähr die Dynamik des Auffüllens des Hauptregisters der ausländischen Agenten und ihre qualitative Zusammensetzung im Verlauf des zur Neige gehenden Jahres 2023, kann man den Versuch unternehmen, eine Vorstellung darüber zu bekommen, wie viele Vertreter dieses zweiten Kreises ausländischer Agenten es derzeit gibt. Das Gesamtergebnis des vergangenen Jahres machte beispielsweise 188 Neuzugänge aus, von denen 41 Rechtspersonen waren. Im laufenden Jahr sind es bereits über 200 Neuzugänge, und Organisationen unter ihnen sind dabei fast 50. Die letzte Zahl ist wichtig, da gerade eine Rechtsperson die Möglichkeit verschafft, mit einem Schlag viele Menschen als affiliierte Personen anzusehen. Und gerade entsprechend dem Gesetz ist dafür lediglich eine Beteiligung oder überhaupt eine episodische Zusammenarbeit mit einem ausländischen Agenten ausreichend. Daher kann man durchaus annehmen, dass es in dem geheimen Register der „ausländischen Agenten der nächsten Ordnung“ bereits offensichtlich mehr als 2000 laufende Nummern gibt.

Jedoch wird es bald dort noch einen Zugang von Personen geben. Dies wird eine weitere Kategorie von ausländischen Agenten sein, sozusagen ihre Komplizen bzw. Handlanger. Die letzte Aktualisierung des Basisgesetzes hat es für alle – für die Staatsorgane, jegliche Organisationen, für die Bürger und Nichtbürger – zur Pflicht gemacht, keinerlei Handlungen zu unternehmen oder Unterlassungen zuzulassen, die die ausländischen Agenten bei einem Verstoß gegen die gegen sie verhängten zahlreichen Restriktionen unterstützen würden. Zitiert man den Vizejustizminister Swiridenko, so sieht die Situation hinsichtlich der nach seinen Worten dritten Personen so aus: „Dies sind gewöhnliche Menschen, die vorsätzlich oder unabsichtlich irgendwie ausländischen Agenten helfen oder sie unterstützen“. Das heißt: Wenn einmal angenommen, ein Fernsehkanal irgendeinen Künstler mit dem Status eines ausländischen Agenten zeigt, aber vergisst, ihn als einen solchen zu markieren. Oder beispielsweise ein Buch eines entsprechenden Autors erscheint. „Wir haben jetzt Vollmachten für ein Warnen bekommen, das heißt für eine gewisse Prophylaxe. Wir warnen, und wenn innerhalb eines Monats keine Reaktion erfolgt, so wird es eine Strafe von 300.000 bis 500.000 Rubel für das erste Mal geben. Danach können wir bis zu einer weiteren Entwicklung dieses Instituts gehen“, unterstrich der stellvertretende Justizminister.

Ja, und zu solch einer Entwicklung wird augenscheinlich auch das massive Auffüllen des Registers der „Affiliierten“ werden. Und von ihrem Schicksal werden sie dann erfahren, wenn es die Herrschenden für nötig halten werden, zum Beispiel während der Kampagne für die Präsidentschaftswahlen.

Post Scriptum

Im Fall des bereits erwähnten Friedensnobelpreisträgers Dmitrij Muratow, dem am 21. November der Status eines ausländischen Agenten in Russland per Gerichtsbeschluss bestätigt wurde, ist noch einmal deutlich geworden: Das entsprechende Gesetz kann durch die Offiziellen sehr willkürlich ausgelegt werden. Im Fall des Moskauer Journalisten stützte sich Richterin Natalia Chairetdinowa auf die Position des Justizministeriums. Muratow hatte keine Gelder erhalten, um als ausländischer Agent gelabelt zu werden. Für das Ministerium reichte es aus, dass er angeblich Mitteilungen und Materialien ausländischer Agenten verbreitet und an der Herstellung ihrer Materialien teilgenommen habe, wobei keine konkreten Beweise vorgelegt wurden. Überdies habe nach Auffassung des Justizministeriums Muratow eine politische Tätigkeit „in Form der Verbreitung einer Meinung“ über von den Staatsorganen getroffene Entscheidungen und „in Form der Ausprägung öffentlicher und politischer Anschauungen“ vorgenommen. Artikel 29 der russischen Verfassung über Meinungsfreiheit wurde dabei vollkommen ignoriert. Außerdem habe der Journalist „ausländischen Informationsstrukturen“ aus unfreundlichen Staaten – unter anderem aus der Ukraine, Großbritannien und Lettland -, die eine von vornherein negative Haltung gegenüber Russland haben, Interviews gegeben.