Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Den Einwanderern will man die traditionellen russischen Werte beibringen


Im Innenministerium Russlands schlägt man den Regionen vor, in ihre Ordnungsrechtsgesetzgebung eine Haftung für ausländische Staatsbürger aufgrund eines Verstoßes gegen die Verhaltensregeln aufzunehmen. Die Öffentliche Kammer der Russischen Föderation besteht auf einer Verstärkung der aufklärerischen Arbeit unter den Ankömmlingen hinsichtlich der traditionellen Werte der Bürger Russlands. Nach Meinung von Experten scheint es jedoch vorerst nicht, dass die Sache weiter als Worte kommen werde, wie dies bereits beispielsweise mit den Programmen für ein freiwilliges Adaptieren und eine Integration der Fall gewesen war.

Den Subjekten der Russischen Föderation wird vorgeschlagen, für die Ankömmlinge Strafmaßnahmen aufgrund einer Verletzung der einen oder anderen Verhaltensnormen – unter Berücksichtigung der Besonderheiten sowie der geistig-moralischen Werte jeder konkreten Region – festzulegen. Bisher gibt es in den Gesetzbüchern über ordnungsrechtliche Verstöße und Vergehen keine entsprechenden Paragrafen. Und die Taten der ausländischen Staatsbürger werden lediglich in seltenen Fällen als geringfügiges Rowdytum ausgelegt.

Nach Meinung von Valentina Kasakowa, der Leiterin der Hauptverwaltung des russischen Innenministeriums für Einwanderungsfragen, müssten sich die Ankömmlinge die Kultur der indigenen Völker Russlands aneignen und nicht ihre eigene hierherbringen. Dies erklärte sie auf einer Tagung des IV. Allrussischen Forums „Die Völker Russlands – nationale Politik: Die gegenwärtige Etappe“. Normative Veränderungen würden gleichfalls erlauben, die Schaffung ethnischer Enklaven und marginaler Migranten-Communities zu vermeiden, erläuterte sie. Die Bereitschaft, entsprechende Korrekturen vorzunehmen, signalisierte man bereits aus den Verwaltungsgebieten Nishnij Nowgorod und Samara. Gerade im letzten hatte sich ein neuer Konflikt von Einheimischen mit Zugereisten ereignet. In Togliatti hatte ein Migrant den Passagieren eines Linienbusses aufgrund des Hinweises, in Anwesenheit von Kindern nicht Argo anzuwenden, eine Abrechnung angedroht. Dieser ausländische Bürger ist inzwischen von den Rechtsschützern aufgrund eines Strafverfahrens gerade wegen Rowdytum festgenommen, nachdem der Leiter des Untersuchungskomitees Russlands, Alexander Bastrykin, erklärt hatte, die Situation unter dessen Kontrolle zu stellen.

Es sei daran erinnert, dass im Frühjahr der russische Präsident Wladimir Putin einen Erlass unterzeichnete, der in der Konzeption für die staatliche Einwanderungspolitik der Russischen Föderation die Notwendigkeit von Maßnahmen verankerte, die eine Aneignung der russischen Sprache und der allgemein anerkannten Verhaltensnormen durch die Ankömmlinge fördern. Im Übrigen, gerade hat Alexander Bastrykin den Auftrag erteilt, in jeder Region spezielle Abteilungen für die Bekämpfung der Straftaten, die Einwanderer verüben, zu bilden. Dabei ist spürbar, dass das Untersuchungskomitee aufmerksam die entsprechende Statistik analysiert. Zum Beispiel ist betont worden, dass es außer den mehr als 31.000 Straftaten, die durch Ausländer verübt wurden, auch noch rund 8500 solcher Straftaten gibt, bei denen die sattsam bekannten „neuen Bürger Russlands“ aufgefallen sind, d. h. jene, die die russische Staatsbürgerschaft vor weniger als zehn Jahren bekommen haben. „Indem die Ankömmlinge den Rahmen der Gesetze und der Verhaltensregeln überschreiten, demonstrieren sie Aggression, Frechheit, Brutalität sowie eine Missachtung der traditionellen Normen der öffentlichen Ordnung und moralische Zügellosigkeit“, unterstrich der Leiter des Untersuchungskomitees auf einer Tagung mit Leitern regionaler Verwaltungen. Nach seinen Worten verursache solch ein Verhalten der ausländischen Staatsbürger soziale Spannungen und führe „zu einer Eskalierung negativer Stimmungen in der Gesellschaft“.

Dieser Tage berichtete auch der Chef des Innenministeriums Russlands, Wladimir Kolokolzew, über die Bekämpfung der Migranten-Kriminalität. Er informierte unter anderem über die Ergebnisse der Operation „Nichtlegaler-2023“. Festgestellt wurden um die 96.000 Verstöße gegen die Einwanderungsgesetzgebung. Wie auf der Internetseite des Ministeriums ausgewiesen wurde, „sind in Bezug auf ausländische Staatsbürger um die 15.000 Entscheidungen über eine ordnungsrechtliche Abschiebung oder Deportation aus unserem Land gefällt worden. Im Verlauf der durchgeführten Maßnahmen sind rund 3600 Strafverfahren eingeleitet worden, die mit der Organisierung einer widerrechtlichen Einwanderung, mit dem illegalen Verkauf von Drogen und psychotropen Stoffen, dem illegalen Vertrieb von Waffen und einem ungesetzlichen Überschreiten der Staatsgrenze verbunden waren“.

Derweil besteht man in der Öffentlichen Kammer der Russischen Föderation auf der Notwendigkeit, mit den Einwanderern eine aufklärerische Arbeit vorzunehmen. Man erklärt jedoch auch, dass die bestehende Einwanderungspolitik eine Gefahr für das entscheidende Merkmal unseres Landes – für die Einheit des multinationalen Volkes – schaffe, wie Irina Welikanowa, Chefin der Kommission der Öffentlichen Kammer für Kultur und die Bewahrung des geistigen Erbes, beim Forum „Gemeinschaft“ erklärte. „Wir müssen alles tun, damit die Menschen, die zu uns kommen, verstehen, dass sie in einem multinationalen, multikonfessionellen weltlichen Staat leben und dass jene Gesetze, die auf dem Territorium der Russischen Föderation existieren, durch alle einzuhalten sind“, erklärte sie. Wie allerdings der „NG“ Michail Burda, Dozent an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst und Mitglied des Expertenrates der Moskauer Abteilung des Weltweiten russischen Volksforums, sagte, zeige das Scheitern der staatlichen Politik auf dem Gebiet der sozio-kulturellen Anpassung und Integration, genauer gesagt: „jenes beschwichtigende Instrumentarium, mit dessen Hilfe sie realisiert wurde“, dass „es auch mit den traditionellen Werten eine analoge Geschichte geben wird“. Schließlich gehe es vom Wesen der Sache her darum, mit anderen Worten eben jene Programme an sich zu benennen. Simpel gesagt, sei dies nach seinen Worten einfach ein Ersetzen von Kategorien. „Es ist klar, dass, wenn wir über traditionelle Werte des Instituts der Familie oder der Ehe sprechen, über ein Vorgehen gegen die LGBT-Bewegung, es da weitaus mehr Gemeinsames gibt. Wenn wir jedoch über eine Achtung gegenüber dem Gesetz sprechen, so gibt es hier bereits wesentliche Fragen. Sagen wir einmal, was ist für die Einwanderer primär – das weltliche Recht oder die religiösen Normen?“, merkte Burda an.

Die Antworten auf derartige Fragen erfordern eine gesetzgeberische Definition und Verankerung – sowohl der Pflichten eines Einwanderers als auch der Sanktionen aufgrund deren Nichteinhaltung. „All dies gibt es in der Gesetzgebung nicht. Wir reden auf die Ankömmlinge ein, Russland zu lieben, unsere Traditionen und Gesetze zu achten. Die Vorgehensweise muss aber eine andere sein. Nicht ein- bzw. überreden, sondern vor den Fakt stellen und vor Bestrafungen warnen – wie beispielsweise in den VAE oder anderen Staaten, wo sowohl eine Abschiebung mit einem lebenslangen Einreiseverbot als auch riesige Strafen und lange Haftzeiten, besonders aufgrund von Straftaten gegen einheimische Einwohner, angewandt werden“, erläuterte Burda. Um jedoch etwas real zu verändern, müssten die Offiziellen, beharrt er, politischen Willen an den Tag legen, um zu entscheiden, „setzen wir das sowjetische Erbe mit dem Internationalismus fort oder fangen wir an, an die nationalen Interessen und die eigenen Menschen zu denken“.

Seinerseits erinnerte das Mitglied des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen, Alexander Brod, die „NG“ daran, dass schon lange von einer Adaptierung der Migranten gesprochen werde. Aber so wie es wenig Konkretes und reale Taten gegeben hätte, so sei es auch geblieben. Nach seiner Meinung würde er „gern mehr Informationen darüber sehen, wie die Zentren für Adaptierung in den Regionen arbeiten“. Hinsichtlich der Bekämpfung ethnischer Enklaven merkte er an, dass sich doch die Arbeitseinwanderer dort ansiedeln würden, wo es für sie bequem sei, näher zur Arbeit und in billigeren Vierteln. „Was wird aber vorgeschlagen? Normen für eine Ansiedlung einzuführen oder gewaltsam die Wohnviertel (von ihnen) auszudünnen? Oft trägt die Kritik keinen konstruktiven Charakter und ähnelt eher Populismus“. Bezüglich der Beachtung der traditionellen Werte erklärte Brod, dass zu spüren sei, dass sich die Migranten oft gerade an der sie aufnehmenden Gesellschaft orientieren würden. „Wie kann man von ihnen verlangen, die Werte zu achten, wenn sie auf den Straßen arme alte Menschen sehen, die um Almosen bitten, oder Schüler, die lauthals herumfluchen und Argo verwenden, Säufer und Obdachlose? Vielleicht werden wir damit beginnen, selbst kulturvoller zu werden. Und dann werden auch die Einwanderer diesem folgen“, unterstrich er.

Georgij Fjodorow, Präsident des Zentrums für soziale und politische Studien „Aspekt“, ist der Annahme: „Es scheint, dass sich die Offiziellen am Vorabend der Wahlen eine der Hauptthesen der Opposition über die besorgniserregenden Probleme im Bereich der Einwanderung zu eigen gemacht haben“. Darüber hätten sich buchstäblich gerade dieser Tage, erinnerte er, nicht nur Vertreter der Rechtsschutzorgane, sondern auch Patriarch Kirill ausgesprochen. Was für eine Wirkung erreicht jedoch die aufklärerische Arbeit mit den Ankömmlingen, wenn die meisten von ihnen keine Motivation haben, sich zu sozialisieren? „Sie geraten praktisch sofort in das gleiche Milieu wie auch in der Heimat. Nur hier wird sie durch Enklaven und Diasporen entsprechend von Spezialisierungen und Berufstätigkeiten repräsentiert, wo sie gemäß ihren Gesetzen leben, ihre Traditionen einhalten und in ihrer Sprache sprechen“. Oder es gibt da noch eine Frage: Was für einen Sinn gibt es für das Big Business, eine Aufklärung der von ihm ausgenutzten Migranten zu fördern? „Zuerst muss man die Einwanderungspolitik ändern und erst dann sich mit einer Aufklärung der ausländischen Staatsbürger befassen“, sagte Fjodorow der „NG“.