Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Den Weg ins neue kirgisische Parlament versucht man, über Moscheen zu bahnen


In Kirgisien werden am 28. November Parlamentswahlen stattfinden. Die Agitationskampagne befindet sich in der heißen Phase. Zwei Dutzend Parteien und ihre Spitzenvertreter versuchen, die Herzen der Bürger zu erobern, wobei sie alle ihnen zugänglichen Mittel ausnutzen. Von diesen Mitteln gibt es aber nicht viele. Die vorangegangenen Wahlen im Oktober 2020 endeten mit Volksunruhen und einem Machtwechsel. Die Abstimmungsergebnisse wurden annulliert, denn man hatte den Politikern eine umfangreiche Ausnutzung administrativer Ressourcen und den Kauf von Wählerstimmen vorgeworfen. Die Unruhen brachten letztlich Präsident Sadyr Dschaparow an die Macht, einen Vertreter der damaligen Opposition. Nun versichert er, dass er keine Korruption im Verlauf des Wahlkampfes vor den Parlamentswahlen zulassen werde.

Wenn man keine dicken Geldbörsen zum Einsatz bringen kann, bleibt für viele Kandidaten der soziale Populismus. In einigen Fällen erlangt dieser Populismus die Form von religiöser Agitation. Diese Auffassung vertraten Vertreter der kirgisischen Öffentlichkeit und reichten bei der Zentralen Wahlkommission die Forderung ein, die Partei „Yjman Nuru“ aus dem Rennen zu nehmen. Der Name der Organisation kann mit „Licht des Glaubens“ übersetzt werden. Die Gegner der Partei waren der Auffassung, dass sie auf religiöser Grundlage gebildet worden sei.

„Es muss gesagt werden, dass es in der Parteisatzung an sich nichts Religiöses gibt“, erklärte der „NG“ die Leiterin des Bischkeker Zentrums für religionskundliche Forschungen Indira Aslanowa. „Aber während der Treffen mit Wählern und in den Agitationsreden kommen religiöse Aufrufe durch. Zum Beispiel, wir werden die Rechte der Gläubigen verteidigen und ein Programm auf religiösen Werten gestalten. An der Macht werden gottesfürchtige Politiker sein. Ja, und auch der Parteiname an sich hat etwas mit Religion zu tun“.

Jüngste Meinungserhebungen zeigen, dass die Partei „Yjman Nuru“ auf sieben Prozent der Stimmen bei einer 5-Prozent-Sperrklausel kommt. Folglich hat sie gute Chancen, in das Dschogorku Kengesch – ins Parlament Kirgisiens – zu gelangen. Parteichef Nurschigit Kadyrbekow belegt hinsichtlich der Popularität im Land den 3. Platz nach Präsident Dschaparow und seinem Mitstreiter, dem Chef des Komitees für nationale Sicherheit Kamtschibek Taschijew. Freilich, im Herbst vergangenen Jahres sowie im letzten Frühjahr und Sommer, als Kommunalwahlen stattfanden, erhielten die „Nuru“-Leute ein unbefriedigendes Ergebnis. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie die moslemische Trumpfkarte aufgrund des verzweifelten Wunsches, endlich ins Parlament einzuziehen, gezogen haben.

„Das Rating der Partei ist ein gutes, denn den Durchschnittsbürgern gefällt der Gedanke von einer Nutzung der islamischen Werte beim Staatsaufbau“, sagt Indira Aslanowa. „Ich bin vor kurzem aus dem Süden des Landes zurückgekehrt, wo gesellschaftliche Anhörungen zum Gesetzentwurf über die Glaubensfreiheit erfolgten. Und ständig wurden die Fragen laut: Warum bezahlt man den Imams keinen Lohn, warum lehrt man nicht die Religion in den Schulen. Es wurden die Vorschläge unterbreitet, der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Republik Kyrgystan einen Sonderstatus zu verleihen. Bevor der Präsident gewählt wurde, hatte er in seinen Versprechen gesagt, dass er beabsichtige, eine Religionsausbildung einzuführen. Bisher ist aber unklar, was für eine Vorgehensweise dabei genutzt wird: eine religionskundliche oder theologische. Den unterschiedlichen Wortmeldungen offizieller Persönlichkeiten nach zu urteilen, geht es um die zweite Variante“.

Die Religionswissenschaftlerin betont, dass die Ursprünge dieser Erscheinung in der Situation um die Wahlen des Jahres 2020 liegen würden. Damals waren mehrere Parteien mit islamischen Programmen angetreten. Unter ihnen war „Yjman Nuru“. Noch unter dem vorangegangenen Präsidenten hatte Nurschigit Kadyrbekow die Stiftung für die Entwicklung der geistlichen Kultur „Yjman“ geleitet, die unter anderem moslemischen Funktionären Stipendien zahlte.

„Das Auftauchen solcher Parteien ist nur einer der Indikatoren, die man als Anzeichen für eine institutionalisierte Islamisierung ansehen kann“, betont Aslanowa. „Es geht nicht nur darum, dass irgendwer auf der Straße einen Hijab trägt. Dies ist eine persönliche Entscheidung der Menschen. Es entstehen aber Parteien, die entgegen der Verfassung offen sagen, dass sie auf religiösen Grundlagen stehen“. Die Expertin erinnerte daran, dass im Oktober 2020 die Verfassung geändert wurde. Und damals seien die Meinungen geäußert worden, dass sich die weltlichen Machtinstitute diskreditiert hätten. Einige hätten sich die Frage gestellt, ob man überhaupt den Begriff der Weltlichkeit im Grundgesetz belassen müsse.

„Die Tendenz zur Islamisierung ist im Bildungswesen, in der Gesetzgebung auszumachen“, fährt Indira Aslanowa fort. „Bereits im Jahr 2016 haben islamische Finanzierungsprinzipien Eingang ins Zivilgesetzbuch gefunden. Gegenwärtig wird ein Gesetz über die Halal-Industrie erörtert. Registriert werden Fälle, in denen Gerichtsbeschlüsse auf der Grundlage religiöser „Neigungen“ gefasst wurden. Im Jahr 2017 haben wir ein Monitoring der Gerichtsbeschlüsse zur Glaubensfreiheit vorgenommen. In einem Verwaltungsgebiet zählten wir über 100 Entscheidungen, in denen der Richter darauf verwies, dass die Festgenommen nicht die Bestimmung der Geistlichen Verwaltung der Moslems zur Durchführung des Daawats (Gebets) befolgt hätten“. „In den Köpfen der Menschen setzt sich dies alles fest. Gegenwärtig wiederholen bereits gewöhnliche Bürger die Behauptungen, dass die weltlichen Machtorgane nicht handlungsfähig seien“, unterstreicht die Religionsforscherin.

Die kirgisischen Massenmedien melden, dass einige Kandidaten in den Direktwahlbezirken mit Wahlkampfreden in Moscheen auftreten würden. Und dies dabei angeblich gar zur Nachtzeit. Hinsichtlich solcher Gesetzesverstöße erfolgen auch Beschwerden von Konkurrenten. Wahrscheinlich ist die Agitation in einem Gebetshaus im heutigen Kirgisien ein wirksames politisches Instrument.