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Der geplante russisch-chinesische Jet ist aus den staatlichen Programmen herausgeflogen


In zwei Jahren könne die Russische Föderation mehr als die Hälfte des Parks an Flugzeugen aus ausländischer Produktion aufgrund ihres Auseinanderbauens für die Gewinnung von Ersatzteilen verlieren, prognostiziert das US-Handelsministerium. Aufgrund der Sanktionen wird die Russische Föderation wahrscheinlich aus dem Gemeinschaftsprojekt mit der Volksrepublik China für den Bau des Großraumflugzeuges CR929 aussteigen müssen. Nach 2014 hatten die russischen Staatsbeamten große Hoffnungen in dieses Flugzeug gesetzt. Heute aber sagen sie, dass ihnen das Vorhaben nicht recht sei. Das künftige Flaggschiff der russisch-chinesischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Flugzeugbaus wird jetzt nicht in dem neuen staatlichen Programm für die Luftfahrtindustrie bis zum Jahr 2030 erwähnt.

Bis zum Jahr 2025 werde die Russische Föderation gezwungen sein, die Hälfte bis zu zwei Dritteln der kommerziellen Flugzeuge aus dem Betrieb zu nehmen, „um sie in Ersatzteile zu zerlegen“, sagt das US-Handelsministerium voraus.

Bis zum Beginn der sanktionsbedingten Konfrontation hatte die Russische Föderation über 90 Prozent der Flüge mit Flugzeugen aus ausländischer Produktion realisiert. Auf die ausländischen Maschinen entfallen fast zwei Drittel des gesamten Flugzeugparks, der durch Russland genutzt wird. Nach Verhängung der antirussischen Sanktionen hat unser Land jedoch die Möglichkeit einer technischen Wartung der ausländischen Jets verloren. Für eine Verlängerung der Einsatzdauer der ausländischen Flugzeuge müssen die russischen Fluggesellschaften einige Flugzeuge für Ersatzteilzwecke auseinandernehmen, aber auch andere Wege für die Lieferung von Bauteilen suchen.

Möglich ist außerdem ein Ersetzen ausländischer Jets durch einheimische. Zu Wochenbeginn bestätigte die Regierung der Russischen Föderation ein neues staatliches Programm für die Herstellung einheimischer Flugtechnik. Der Gesamtumfang für seine Finanzierung wird in den nächsten sieben Jahren über 770 Milliarden Rubel ausmachen. Dabei werden über 150 Milliarden Rubel bereits bi Ende des laufenden Jahres bereitgestellt werden.

Bis zum Jahr 2030 sollen den Park der russischen Fluggesellschaften über eintausend einheimische Flugzeuge vervollständigen, um letztlich den Zielwert von 81 Prozent für den Anteil gerade russischer Flugzeuge zu erreichen. Unter ihnen sind über 140 SSJ New Jets (Sukhoi Superjet), 270 Flugzeuge vom Typ MS-21-310, jeweils 70 Maschinen vom Typ Il-114-300 und Tu-214. Außerdem wird ein großer Umfang von Lieferungen kleiner Flugzeuge wie TVRS-44 „Ladoga“, L-410 und „Baikal“ (LMS-901) vorgesehen.

Ein gesonderter Block des Programms gilt der Herstellung von Triebwerken für zivile Flugzeuge und Hubschrauber. Insgesamt ist bis zum Jahr 2030 die Herstellung von fast 5.000 Triebwerken für Flugzeuge und Hubschrauber vorgesehen worden.

„Noch eine wichtige Frage ist die nach dem Zustand der Unternehmen der Luftfahrtindustrie. Da gibt es interessante Lösungen, erfahrene Kader, aber die Produktionsbasis bedarf oft einer Erneuerung“, erklärte Premierminister Michail Mischustin. Nach seinen Worten würden viele der Unternehmen aufgrund der Sanktionen mit einem Mangel an Bauteilen, Materialien und kritischen Technologien konfrontiert werden.

Bemerkenswert ist, dass in dem neuen staatlichen Programm der russisch-chinesische Großraumjet CR929 nicht erwähnt wird. Das Abkommen über seine Entwicklung war bereits 2014 unterzeichnet worden. Und derzeit wird in der Volksrepublik China das erste Muster dieses Flugzeuges montiert. Unter Berücksichtigung der großen Produktionskapazitäten der Volksrepublik China könnte dieses Großraumflugzeug helfen, die Verluste beim Park ausländischer Flugzeuge auf dem Territorium der Russischen Föderation wettzumachen. Dies wird aber wahrscheinlich nicht eintreten.

Russland reduziere seine Beteiligung am Projekt zur Schaffung des gemeinsam mit China geplanten Langstrecken-Großraumflugzeuges CR929, teilte der zuständige Vizepremier Jurij Borissow am Mittwoch mit. „Wir haben mit China dieses Vorhaben, es entwickelt sich vom Prinzip her nicht in den Bahnen, die uns recht sind. China ist im Zuge seiner Verwandlung in einen Industriegiganten immer weniger an unseren Leistungen interessiert. Bei uns arbeitet unser Konstruktionsbüro. Wir haben gewaltige Erfahrungen im Zentralen aero-hydrodynamischen Institut. Die Chinesen haben zum heutigen Tag mehr Bedürfnisse als wir. Unsere Beteiligung verringert sich immer mehr. Ich möchte nicht die Zukunft dieses Projekts voraussagen. Werden wir aus ihm aussteigen oder nicht. Bisher aber läuft es“, erläuterte Borissow.

Entsprechend den ursprünglichen Plänen sollte die russische Seite die Flügelhalterungen, die Tragflügelmittelstücke und die Mechanisierung der Flügel entwickeln, und die chinesische – den Flugzeugrumpf, die strömungsgünstige Verkleidung sowie das Höhen- und das Seitenleitwerk. Die Triebwerke für den Jet sollten ausländische sein.

Zuvor hatte Industrie- und Handelsminister Denis Manturow erklärt, dass das Projekt für das gemeinsame chinesisch-russische Flugzeug „auf nur russische und chinesische Bauteile“ umgestellt werde. Ob die Chinesen dem zugestimmt haben, ist bisher unklar.

Die private chinesische Kommunikationsfirma „Sina“ teilte ihren Nutzern mit, dass „China die Lieferung von Flugzeugbauteilen nach Russland“ bestätigte und dass „die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern ein neues Niveau erreichte“. Ob dem wirklich so ist, ist endgültig nicht klar. Zumal in dem chinesischen Beitrag mehr Annahmen geäußert werden. „Wenn China und Russland beginnen werden, exklusiv dieses Flugzeug zu entwickeln, wird es einen Vorteil im Konkurrenzkampf mit der Boeing 787 oder dem Airbus 330 erlangen. Die westlichen Länder können Moskau und Peking nicht mit weiteren Sanktionen und der Einstellung von Lieferungen der Hauptbauteile und Bauteile für das Flugzeug CR929 drohen. Und folglich wird der Westen nicht dessen Herstellung und Verkauf beeinflussen können“, urteilen die Chinesen.

Derweil sieht die russische Regierung direkt ein Zerlegen ausländischer Flugzeuge in Ersatzteile vor. „Unter Berücksichtigung des vorhandenen Überschusses an Transportkapazitäten ist für ein Decken des Bedarfs an Luftfahrtleistungen ein teilweises Zerlegen von Flugzeugen eines geringen Teils des Flugzeugparks zulässig. Im Endergebnis werden mindestens 70 Prozent des Parks an ausländischen Flugzeugen bis Ende 2025 im Einsatz bleiben, was den vorausgesagten Bedürfnissen an Kapazitäten entspricht“, wird im staatlichen Programm betont. Und diese Prognose der russischen Regierung unterscheidet sich radikal von den Prognosen des US-Handelsministeriums. (Zum Zeitpunkt der Verhängung der Sanktionen befanden sich in der Russischen Föderation 817 ausländische Flugzeuge und weitere 470 Maschinen aus der russischen und der sowjetischen Fertigung im Einsatz.)

Unter den System- bzw. komplexen Risiken, die die Umsetzung des neuen Programms stören können, nennt man in der Regierung „einen Wegfall des vorhandenen Parks an Flugzeugen aufgrund der Schwierigkeiten mit der technischen Wartung und der Organisierung von Ersatzteillieferungen“, aber auch „die Nichteinhaltung des Zeitplans für die Lieferungen einheimischer Flugtechnik“.

Russische Experten sehen gleichfalls wesentliche Risiken für die Luftfahrt an sich. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Fluggesellschaften mehr als zwei Drittel des Parks an ausländischen Flugzeugen kannibalisieren müssen. Es ist nicht ganz klar, wie das Problem mit der Aktualisierung der Software gelöst wird“, meint Ruslan Puchow, Direktor des Zentrums für die Analyse von Strategien und Technologien. Nach seinen Worten müssten wir uns auf eine Zunahme der Zahl von Luftfahrtvorfällen vorbereiten. „Wenn die russische Industrie es nicht schaffen wird, die wegfallenden Flugzeuge durch einheimische zu ersetzen, wird sich ein Problem hinsichtlich der Bewahrung der Transportverbindungen des Landes und des Tendierens der peripheren russischen Regionen zu den äußeren Zentren ergeben“, vermutet Puchow. Eine Zulassung ausländischer Airlines für das Bedienen innerrussischer Flugrouten wollte der Experten nicht voraussagen.