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Der Islamismus in Zentralasien: heute herrscht Ruhe. Aber morgen?


Sich gerade jetzt dem islamischen Thema zuzuwenden, veranlassen wichtige Ereignisse. Am 15. März sind die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Turkmenistan bekanntgegeben worden. Gurbanguly Berdymuchamedow hat das Amt des Staatsoberhauptes verlassen, und die Führung des Landes ist nun an seinen Sohn Serdar übergegangen. Im Januar war es in Kasachstan zu Massenunruhen gekommen. Und sie niederzuschlagen, gelang nur dank dem Eintreffen von Einheiten der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit in der einstigen kasachischen Hauptstadt Almaty. In beiden Ländern hat sich ein Machttransit vollzogen, was sich unweigerlich auf die Zukunft dieser Staaten auswirkt. Im Sommer des vergangenen Jahres ist in Afghanistan die „Taliban“-Bewegung (die in der Russischen Föderation als eine terroristische Organisation eingestuft worden ist) an die Macht gekommen, was, wie viele Politiker und Experten annehmen, zu einer Zunahme der Gefahr durch den Islamismus in der Region führen könne.

Die Verbindung zwischen diesen Ereignissen ist keine allzu geradlinige. Die „kasachische Explosion“ hatte jedoch offenkundig die Entscheidung von Berdymuchamedow beeinflusst, den Übergang der Herrschaft an den Sohn zu beschleunigen, dabei den Transit zu einem schmerzlosen machend. In irgendeiner Weise muss all dies auch Tadschikistans Oberhaupt Emomali Rachmon berücksichtigen, wo ebenfalls ein Machttransit bevorsteht.

Es muss die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, dass der Einfluss des sogenannten islamischen Faktors auf diese Ereignisse minimal ist oder überhaupt nicht vorkommt. Wir abstrahieren ausgehend von den Versionen über „kasachische und ausländische Terroristen“ über einen Taliban-Einmarsch nach Tadschikistan. Dass Islamisten einen bestimmenden Einfluss auf die Situation in Turkmenistan ausüben, davon kann überhaupt keine Rede sein.

Heute ist der Islamismus als ein Phänomen in Zentralasien so geschwächt wie nie zuvor. Solche Organisationen und Bewegungen wie die „Islamische Bewegung Usbekistans“ (die in der Russischen Föderation als eine terroristische eingestuft wurde und verboten ist), „Hizb ut-Tahrir“ (eine terroristische Organisation, die auch in Russland verboten ist), die „Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans“ (eine Organisation, die in der Antiterrorstruktur der Staaten der Shanghai-Gruppe als eine terroristische und extremistische anerkannt worden ist) und kleinere Gruppierungen hatten lange Zeit eine spürbare Rolle gespielt, es aber nicht vermocht, sich vollwertig zu realisieren. Sie erhielten keine massenhafte Unterstützung, sie vereinten keinen erheblichen Teil von Moslems um sich, obgleich auch viele den Islamisten sympathisierten.

Bei den Islamisten haben sich keine herausragenden und charismatischen Führungskräfte gefunden. In irgendeiner Weise hätte man als solche eine den Chef der Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans, Muchiddin Kabiri, ansehen können, doch in der tragischen Situation des Bürgerkrieges hatte er eine Reihe von Fehlern begangen. Überdies stand ihm aus militärischer Sicht stärkerer Gegner gegenüber. Der islamistischen Opposition ist es nirgends gelungen, sich auf nationaler Ebene zu konsolidieren, obgleich sie ihre Strukturen geschaffen hatten. Besser als dies im Übrigen der „Hizb ut-Tahrir“ gelungen war.

Es ist offensichtlich, dass es zu keiner massenhaften und effektiven Popularisierung der Ideen für eine totale Islamisierung gekommen ist.

Ein anderer, nicht weniger signifikanter Faktor ist die äußere Situation. Dem Islamismus ist es nicht gelungen, einen entscheidenden Erfolg in der moslemischen Welt zu erzielen. Ja, islamistische Parteien agieren von Marokko bis nach Indonesien, für sie votieren zig Millionen Wähler. Wo aber haben sie in der letzten Zeit die Herrschaft errungen? Wozu sind sie wirklich in der Wirtschaft imstande, bei der Lösung sozialer Probleme? Weder im Iran noch in Afghanistan, wo sie sich über Jahre an der Macht befinden, kann man die Ergebnisse ihrer Tätigkeit nicht als erfolgreiche bezeichnen.

Die Erfahrungen des „Islamischen Staates“ (eine terroristische Organisation, die in der Russischen Föderation verboten worden ist) sind extrem negative, obgleich einige seiner Gründer wirklich den Versuch unternommen hatten, eine gewisse Art von Staatlichkeit zu schaffen. Die Geschichte mit dem IS hat der eigentlichen Idee von einem religiösen Staat einen gewaltigen Schlag zugefügt, aber auch dem Ansehen der Islamisten als eine globale Bewegung. Die einfachen Moslems haben die terroristischen, die überaus brutalen Methoden seines Wirkens erschüttert.

Die Islamisten im Nahen Osten, genauer gesagt: ihr extremistischer Flügel hat eine Niederlage erlitten. Diejenigen, die auf der Seite des IS gekämpft hatten, sind zu sich in die Heimat, nach Zentralasien als besiegte zurückgekehrt. Sie bleiben passive. Das Interesse für sie in der Gesellschaft ist gering. Von diesem Publikum irgendwelche ernsthaften religiös-politischen Aktivitäten sind nicht zu erwarten. Überdies haben es die Offiziellen gelernt, den Islamismus zu bekämpfen. Lange Zeit hatten sie keine Unterschiede zwischen den „alltäglichen, den gewöhnlichen“ Islamisten, solchen, die es lieben, einfach in der Küche zu diskutieren, und den Radikalen, den Extremisten gemacht. Obgleich dies nicht den Einsatz der Methode „Zuckerbrot und Peitsche“ ausgeschlossen hatte. In Kyrgystan ist die Haltung zu den islamischen Andersdenkenden eine vergleichsweise zurückhaltende. Und sie haben eine Handlungsfreiheit. Bemerkenswert ist die ruhige Haltung des offiziellen Bischkeks gegenüber der auffälligsten Organisation „Tablighi Jamaat“ (eine extremistische Organisation, die in der Russischen Föderation verboten ist).

Abgeschwächt wurde die Vorgehensweise der Offiziellen gegenüber dem religiösen Andersdenken in Usbekistan. Shavkat Mirziyoyev, der im Jahr 2016 zum Präsidenten geworden war, gab bereits ein Jahr später eine Erklärung über die Notwendigkeit einer „erneuten Untersuchung der Angelegenheiten der Moslems“, die früher auf schwarze Listen gesetzt worden waren, ab. Damals hatte er auch eingestanden, dass „man aufgrund eines geringen Fehlers, nur aufgrund dessen, dass irgendein Moslem irgendeinem per Telefon eine Mitteilung gesandt hatte, ihn dann als Mitglied einer verbotenen Strömung hinstellt, auf eine schwarze Liste setzt“, und forderte eine Rehabilitierung der Unschuldigen. Aus den schwarzen Listen wurden die Namen jener entfernt, die einen geringen Rechtsverstoß begangen hatten. Später wurden diese Menschen für unschuldig erklärt und kamen auf freien Fuß. Solche Schritte der Offiziellen halten die Menschen vor den Radikalen zurück. Ja, und keiner möchte es riskieren, mit ihnen zu kommunizieren. Wie lange die Herrschenden, und dabei nicht nur in Usbekistan, eine derartige Linie verfolgen werden, bezeichnen wir sie einmal als eine flexible, ist schwer zu sagen.

„Die Wahl eines säkulären Modells war die einzige und logische Entscheidung nach dem Zusammenbruch der UdSSR“, betonte zu Recht die Expertin Irina Swjagelskaja. Dies bestreitet keiner. Und dennoch…

Es darf nicht vergessen werden, dass der Säkularismus der islamischen Tradition fremd ist, worüber heute viel moslemischen Philosophen und Soziologen Überlegungen anstellen und demt die meisten einheimischen Politiker zustimmen, die unter anderem auch an der Macht sind. Den Säkularismus zu akzeptieren und sich an ihn vollkommen anzupassen, bedeutet für sie, die islamische Tradition herauszufordern, „sein Moslem-Sein aufzugeben“.

Ein „moslemischer Säkularist“ war das große Staatsoberhaupt der Türkischen Republik Mustafa Kemal Atatürk. Er hatte die Grundlage für die heutige Türkei gelegt. Und wenige hatten bis zum Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts angezweifelt, dass die Türkei ein einmaliger Staat ist, eine gewisse „säkularistische Oase“ im Raum der weltweiten Umma. Jetzt aber, an der Jahrhundertwende, kam 1996 zuerst Necmettin Erbakan in der Türkei an die Macht, und danach sein Schüler und Anhänger Recep Tayyip Erdogan, der seit 2014 Landespräsident ist. Und es stellte sich heraus, dass es selbst in diesem Land Platz für einen politischen Islam gibt. Der pragmatische und ambitiöse Erdogan neigt zum Islamismus, wenn auch in einer gemäßigten Form.

Wozu aber solche Abschweifungen? Nun, weil man ihn ungeachtet der gegenwärtigen Schwäche des Islamismus in Zentralasien nicht abschreiben kann. Heute ist er marginal. Aber morgen oder übermorgen…

Es gibt drei Ursachen für die Unumgänglichkeit, wenn man will: für die „Ewigkeit“ des Islamismus. Die erste wird durch die islamische Tradition bedingt, durch die Unzertrennlichkeit des Islams und der Politik. Der Prophet Mohammed war ein Politiker. Die zweite ist: Der Islam ist nicht nur eine Religion der Macht, sondern auch eine Religion des sozialen Protests, einer Befreiungsbewegung, was sich beginnend noch seit dem 19. Jahrhundert offenbart. Die dritte Ursache: Der Islamismus als eine religiös-politische Ideologie ist die Grundlage für die islamische Alternative, deren Sinn in der Schaffung und Realisierung eines besonderen Modells besteht, das eine totale Islamisierung der Gesellschaft im Interesse der Errichtung eines „idealen“ Staates vorsieht.

Man muss klar begreifen, vor allem die regierenden Politiker, dass die mögliche Wiederbelebung des Islamismus die Folge, wenn nicht ausschließlich ihrer eigenen floppenden Politik, so doch des Unvermögens, Reformen durchzuführen, der Korruption und der Vetternwirtschaft sein wird. Gerade dies schafft günstige Bedingungen für eine Versuchung der Moslems, sich dem Islamismus hinzugeben. Wenn er wiederbelebt wird, so werden sich die Führer der zentralasiatischen Staaten dies selbst zuzuschreiben haben. Und nicht einer berüchtigten ausländischen Einmischung. Die Islamisten sind bei einer Instabilität am aktivsten, selbst wenn sie keine sozialen und politischen Erschütterungen auslösen. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass irgendwo in den Ländern Zentralasiens der Machttransit noch nicht vollkommen abgeschlossen worden ist. Und in anderen steht er erst bevor.