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Der komplette Weggang ausländischer Unternehmen wird von Moskau als vorsätzlicher Bankrott bewertet


Die Nachrichten über Pläne oder gar getroffene Entscheidungen mehrerer ausländischer Investoren, ihre Tätigkeit in Russland auszusetzen oder einzustellen, haben Befürchtungen hinsichtlich dessen ausgelöst, was wird mit jenen Bürgern Russlands werden, die in den hiesigen Produktionsstätten, an den Verkaufspunkten, in den Servicezentren dieser Unternehmen usw. arbeiteten. Wenn ein ausländischer Investor die härteste Variante für ein völliges Verlassen der Russischen Föderation wählt, so werde dies laut einer Erklärung des 1. Vizepremiers Andrej Belousow als ein vorsätzlicher Bankrott betrachtet. Und die Regierung werde in die Situation eingreifen.

In der russischen Regierung hat man die Erklärungen der Offiziellen ausländischer Staaten und konkreter Unternehmen analysiert, „die nach Vornahme riesiger Investitionen für eine Lokalisierung der Fertigungen den russischen Markt nicht verlassen wollen, heute aber mit einem beispiellosen politisch motivierten Druck der eigenen Aufsichtsbehörden konfrontiert werden“, teilte der 1. Vizepremier Andrej Belousow mit.

Dabei könnten heute Unternehmen auftauchen, deren Aktionäre entscheiden, den russischen Markt zu verlassen, präzisierte er. Folglich gebe es derzeit drei Varianten für eine Entwicklung der Beziehungen mit den ausländischen Partnern, wird auf der offiziellen Internetseite der russischen Regierung mitgeteilt.

Die erste Variante: Das Unternehmen setzt die vollwertige Arbeit in Russland fort. „Dabei wird im vollen Umfang die Lieferung von Rohstoffen, Materialien und Bauteilen, die für den Produktionsprozess erforderlich sind, gesichert und werden die Arbeitspflichten gegenüber den Beschäftigten erfüllt“.

Die zweite Variante: Die ausländischen Aktionäre übergeben ihren Anteil unter die Verwaltung der russischen Partner und werden im Weiteren auf unseren Markt zurückkehren können. „Solch eine Variante ist mit der russischen Unternehmergemeinschaft erörtert worden. Sie ist dazu bereit. Einzelne Investoren haben bereits solch eine Option genutzt“, erläuterte Belousow.

Die dritte Variante ist, wenn ein Unternehmen endgültig die Arbeit in Russland einstellt, die Produktionsstätte(n) schließt und die Mitarbeiter kündigt. „Wir stehen dem wie faktisch zu einem vorsätzlichen Bankrott gegenüber“, sagte der 1. Vizepremier. „Bei dieser Variante werden wir über das Prozedere einer beschleunigten Insolvenz eingreifen, da für uns eine absolute Priorität die Bewahrung der Beschäftigung und das soziale Wohlergehen unserer Bürger sind, damit gewissenhafte Unternehmen ein effektives Funktionieren des Business sichern können“.

Belousow erinnerte daran, dass die Regierung der Russischen Föderation stets von der Notwendigkeit eines konstruktiven Dialogs mit dem ausländischen Business und der gegenseitigen Erfüllung der von den Seiten übernommenen Pflichten ausgegangen sei. „Im Verlauf vieler Jahre sind den ausländischen Unternehmen und Joint-Ventures Maßnahmen einer staatlichen Unterstützung gewährt worden, wobei auf die Erfüllung der Pflichten zur Vertiefung der Lokalisierung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf dem Territorium unseres Landes gesetzt wurde“.

Im Ministerkabinett betonte man, dass alle vorbereiteten Maßnahmen auf eine Unterstützung der Produktions- und geschäftlichen Aktivitäten in der Russischen Föderation, auf die Bewährung der Beschäftigung, aber auch auf eine schnellstmögliche Wiederherstellung der Tätigkeit aller Unternehmen ausgerichtet seien.

Wie die Dozentin der Russischen G.-V.-Plechanow-Wirtschaftsuniversität Ludmilla Iwanowa-Schwez präzisierte, gebe es da noch einen wichtigen Moment, welche Maßnahmen, die auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Umschulung und Unterstützung des Business abzielen, die regionalen Behörden ergreifen werden. Außerdem könnten nach Aussagen der Expertin in dieser Situation auch die staatlichen Programme zur Unterstützung von Startups und vorrangiger Richtungen des Business wichtige sein.

Am Freitag hat die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) in erster und sofort auch in der dritten und abschließenden Lesung eine Regierungsgesetzesvorlage zur Unterstützung der Bürger und des Business unter Sanktionsbedingungen verabschiedet. Die Regierung unter Leitung von Michail Mischustin wird in diesem Jahr mit Vollmachten ausgestattet, die eine Bewahrung des Niveaus des sozialen Schutzes der Bürger der Russischen Föderation gewährleisten sollen.

Eine der Unterstützungsmaßnahmen ist ein Moratorium für die Überprüfungen des Kleinunternehmertums und des Mittelstands im Zeitraum bis Ende des Jahres 2022. „Dies ist eine sehr aktuelle Maßnahme. Unter Bedingungen, unter denen die Wirtschaft Verluste erleidet, sich der Gewinn verringert, ein aktiver Kampf um den Käufer erfolgt, binden die zahlreichen Überprüfungen unterschiedlicher Behörden materielle und Zeitressourcen“, erläuterte der geschäftsführende Partner der Kommunikationsagentur B & C Agency, Iwan Samoilenko. „Die Verschiebung der planmäßigen Überprüfungen von IT-Unternehmen ist eine stimulierende Maßnahme im Rahmen der Entwicklung zur Digitalisierung der Wirtschaft und des IT-Sektors“.

Derweil erweiterte Russlands Business-Ombudsmann Boris Titow die Liste der Vorschläge für die Regierung in Bezug auf Maßnahmen zur Rettung des Kleinunternehmertums und des Mittelstands und sandte ein entsprechendes Schreiben an Regierungschef Michail Mischustin.

Darin „wird konstatiert, dass der zunehmende Umfang der äußeren Einschränkungen zum Entstehen von Ungleichgewichten in der Wirtschaft führt (ein Abreißen von Lieferketten, die Verkomplizierungen der Verrechnungen mit ausländischen Geschäftspartnern, die Veränderung der Charakteristika der Nachfrage, eine Zunahme der Kreditzinsen, der Rückgang des Rubelkurses)“, teilte der Pressedienst des Ombudsmannes mit.

Unter diesen Bedingungen schlägt Titow eine Reihe von Maßnahmen vor. Einige seien aufgezählt: Gewährung eines Aufschubs für die Zahlung des verbliebenen Teils der Steuern für das Jahr 2021 und der Steuern für das erste Quartal des laufenden Jahres analog der Praxis von 2020, Verhängung eines Moratoriums für die Anhebung des Katasterwertes von Immobilien, Senkung des Satzes für die Versicherungsbeiträge bis auf 12 Prozent für alle Subjekte der Unternehmenstätigkeit, unabhängig von der Art der Tätigkeit, des Umfangs und der Sonderregimes von Vergünstigungen (anstelle der Zahlung der Versicherungsbeiträge wird vorgeschlagen, alle Einnahmen natürlicher Personen inklusive der Dividende aus einer unternehmerischen Tätigkeit zu erfassen). Des Weiteren wird vorgeschlagen, ein komplettes Moratorium für die Zahlung aller Strafen und Pönalstrafen für eine Dauer von drei Monaten mit der Möglichkeit einer weiteren Verlängerung einzuführen, sowie ein Moratorium für die Zahlung der Hauptschulden zu bereits gewährten Krediten zu verkünden, wobei die Verbindlichkeit der Zinszahlungen beibehalten wird, usw.

Gleichfalls gibt es Vorschläge zur Erfüllung staatlicher Verträge, zu den Tarifen für Ressourcen-Monopole, zur Pacht von staatlichem Eigentum, zum Verkauf des Devisenerlöses und für eine Kapitalamnestie. Vorgesehen sind auch Maßnahmen, die helfen sollen, die Beschäftigung zu bewahren. Vorgeschlagen wird beispielsweise, dem Business Unterstützung in Gestalt von „Zahlungen für die Bewahrung von Arbeitsplätzen“ mit einer Dauer von einem Jahr zu gewähren. Und dies zu Bedingungen einer Freistellung von der Pflicht einer Rückzahlung der erhaltenen Mittel im Falle einer Bewahrung von 100 Prozent der Arbeitsplätze.