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Der Konflikt an der polnischen Grenze provoziert neuen Preisanstieg in Russland


Die Zeit für das Passagieren der polnisch-weißrussischen Grenze durch den Güterverkehr hat aufgrund der Migrantenkrise um ein Mehrfaches zugenommen. Die in Russland arbeitenden Unternehmen halten dies für ein ernsthaftes Problem. Die Stillstandzeiten der in den Staus stehenden Lastern erhöht die Kosten der Unternehmen. Und schaffen ein Risiko hinsichtlich eines Mangels an Importwaren in Russland. Der 1. Vizepremier Andrej Belousow hat angewiesen, sich Klarheit über die neuen Beschränkungen für den Warenimport in die Russische Föderation zu verschaffen.

Die Teilnehmer des Konsultativrates für ausländische Investitionen haben die russischen Behörden offiziell über die Probleme für den Warentransit aus Europa nach Russland in Kenntnis gesetzt. Danach haben das Außenministerium, das Transportministerium sowie das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung den Auftrag von Andrej Belousow erhalten, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen.

Das Transportministerium behandelt diese Fragen zusammen mit den beteiligten Strukturen, bestätigte man der „NG“ in dem Fachministerium.

Der Konsultativrat wird seit 1994 aus Spitzenkräften ausländischer Organisationen, die in die russische Wirtschaft investieren, gebildet. Er vereinigt über 50 der größten ausländischen Konzerne aus 18 Ländern. Und der Gesamtumfang der Investitionen in Russlands Wirtschaft hat 185 Milliarden Dollar überstiegen. Zu dem Gremium gehören Vertreter solcher Unternehmen wie AstraZeneca, BASF, BP, Procter & Gamble, Coca-Cola und Siemens.

Mitglieder des Konsultativrates hatten sich Andrej Belousow mit der Bitte gewandt, bei der Lösung der Probleme für die LKW-Transporte zwischen Europa und Russland, die sich an der Grenze der EU und Weißrussland vor dem Hintergrund der Migrantenkrise ergeben hatten, zu helfen. Ein Transportkollaps an den Grenzübergangsstellen an der Grenze zu Polen kann die Lieferketten und die Zugänglichkeit von Waren für die Bevölkerung wesentlich beeinflussen, besonders unter Berücksichtigung des zunehmenden Warenumschlags und der gestiegenen Nachfrage nach Erzeugnissen am Vorabend der Neujahrsfeiern, warnt man im Konsultativrat für ausländische Investitionen.

Ein Anhalten der Transportprobleme könne einen Anstieg der Preise auslösen. Besonders nachdem sich Staus aus LKW auch auf alternativen Routen über Lettland und Litauen zu bilden begannen. Dabei kostet ein Tag Stillstand eines LKW mindestens 500 Euro.

Die Krise an der Grenze Weißrusslands, wohin seit Jahresbeginn Migranten aus Ländern des Nahen Ostens strebten, hat sich seit dem 8. November drastisch zugespitzt, nachdem mehrere tausend Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Jemen von der weißrussischen Seite zur polnischen Grenze gekommen waren und versuchen, die Stacheldrahtabsperrungen zu überwinden. Der polnische Grenzdienst meldete, dass am 22. November der letzte Versuch von Migranten, nach Polen durchzubrechen, registriert wurde. Angeblich sollen an ihm rund 150 Migranten teilgenommen haben.

Die polnische Seite hatte bereits am 9. November die Grenzübergangsstelle in Kunica geschlossen, die am stärksten durch Attacken aus Weißrussland betroffen war. Speditionsfirmen bestätigten der „NG“ am Dienstag, dass diese Grenzübergangsstelle nach wie vor geschlossen sei. Natürlich ist Kuznica nicht der einzige Grenzübergang. Es besteht die Möglichkeit, die Grenze über andere Übergangsstellen zu passieren. Die Schwierigkeiten für die Logistikunternehmen halten aber an.

An der Grenze zur Europäischen Union warten über 1200 LKW auf eine Passiergelegenheit. In der polnischen Richtung haben sich an der Grenzübergangsstelle Bruzgi über 170 Großlaster angesammelt, an der Grenzübergangsstelle Berestoviza – über 100, in Kozlovitchi – über 50. An der weißrussisch-lettischen Grenze hatten sich bis zum Dienstag an den Übergangsstellen Grigorowstschina und Urbany rund 40 LKW angesammelt. Die Einreise nach Litauen erwarten vor der Grenzübergangsstelle Widzy über 50 LKW, in Kotlowka – 130 und in Kamennyj Log – über 270. An den Übergangsstellen Benjakoni und Privalka warten über 500 LKW auf eine Abfertigung.

Die Probleme existieren wirklich. Und sie beeinflussen ernsthaft die Lieferfristen, da die Fahrzeuge sowohl bei der Ausreise aus der EU als auch beim Passieren der Grenze in umgekehrter Richtung warten müssen, sagte der „NG“ Alexej Lipatow, Exekutivdirektor der Spedition Acex. „Wir sind mit bestimmten Schwierigkeiten konfrontiert worden, da beim Auftreten des Problems an den Grenzübergangsstellen EU-Belarus (und nicht nur Polen-Belarus) auf einen Schlag eine sehr große Menge an Flüchtlingen aufgetaucht sind, die durch ihre Handlungen die Arbeit der Grenzübergangsstellen stark erschwert haben. Beispielsweise sind für eine Überfahrt aus Litauen nach Weißrussland jetzt drei bis vier Tage anstelle der üblichen mehreren Stunden erforderlich. Kompliziert war es in der ersten Woche der Krise, als die geplanten Versandarbeiten verschoben werden mussten. Jetzt ist die Situation voraussagbarer, und wir arbeiten mit einem Vorlauf. Die Lieferfristen an sich werden aber nicht kürzer“, sagte der Experte.

Wie allerdings Fernfahrer gegenüber der Deutschen Welle erklärten, sei solch ein Stau an den Grenzübergangsstellen keine Seltenheit. Einer von ihnen erinnerte sich, dass er Anfang Oktober fast fünf Tage am Grenzübergang Kozlovitchi gestanden hätte, als sich dort aufgrund eines „Software-Fehlers“, wie die weißrussischen Dienste erklärt hatten, über 500 Laster aufgestaut hätten.

Die Probleme für unseren Import an den Grenzen von Weißrussland mit den EU-Ländern sind sogar geringer als für den Export, sagte der „NG“ der Politologe Andrej Susdalzew. „Die Exportgüter kontrollieren die europäischen Zöllner sehr sorgfältig. Und nicht nur in dieser Novemberkrise. Eine analoge Situation hatte sich im Juli an der Grenze zu Litauen ergeben. Traditionell kontrollieren die Grenzer und Zöllner sehr sorgfältig die Fahrzeuge auf einen Transport von Migranten und Schmuggelware in die EU. Weißrussland ist zu einem Zentrum des Zigarettenschmuggels in die EU geworden. Und in entgegengesetzter Richtung werden in die Russische Föderation Lebensmittel geschmuggelt. Oder beispielsweise Blumen aus Holland. Gut ist noch, dass es jetzt praktisch kein offizielles staatliches Abzocken gibt, wie dies von 2001 bis einschließlich 2007 der Fall gewesen war, als die weißrussischen Behörden teure Autos, Rechentechnik und Haushaltselektronik in ganzen Partien von unseren Geschäftsleuten konfisziert hatten. Alljährlich wurden Waren im Wert von 200 Millionen Dollar beschlagnahmt. Viele unserer Geschäftsleute gingen Pleite. Und einige begingen sogar Selbstmord. Solange Lukaschenko an der Macht ist, wird es meines Erachtens keinerlei Perspektive geben. Und Vizepremier Belousow wird nichts gelingen, um den Außenhandel an den weißrussischen Grenzen zu normalisieren“, meint der Politologe.

In Warschau hat man gewarnt, dass nicht nur Kuznica geschlossen werden könne. Die polnischen Behörden prüfen die Variante einer vollkommenen Schließung der Grenze mit Weißrussland im Zusammenhang mit der Migrationskrise. „Wir sind bereit, auch andere Grenzübergangsstellen zu schließen, aber auch die Möglichkeiten für den Transit und Handel zu unterbinden, um wirtschaftlichen Druck auf das Regime Lukaschenkos auszuüben, erklärte Polens Premierminister Mateusz Morawiecki.

Über die Grenze Weißrusslands und der EU (mit Lettland, Litauen und Polen) werden zehn Prozent des russischen Imports in Naturform abgewickelt. Über 90 Prozent der Lieferungen erfolgen per LKW. Laut Angaben der Zollstatistik werden über das Territorium von Weißrussland insgesamt über acht Millionen Tonnen an Frachtgütern im Jahr nach Russland gebracht. Und im Zeitraum Januar-Mai des laufenden Jahres machte dieses Volumen etwa zwei Millionen Tonnen aus. Auf diese Mengen entfällt ein Viertel auf Waren aus Deutschland, elf Prozent machen Waren aus Polen aus, neun bis zehn Prozent – Waren aus Italien und rund sechs bis sieben Prozent – aus Frankreich, berichtete Ksenia Bannikowa, Gruppenleiterin „Wirtschaft des Nichtrohstoffsektors“ im Zentrum für strategische Entwicklungen.

Die weißrussischen Offiziellen haben sich daran gewöhnt, ihre vorteilhafte Transitlage zwischen der EU und Russland auszunutzen. Als im Juli Alexander Lukaschenko den Vorschlag unterbreitete, als Antwort auf die Sanktionen des Westens gegen Minsk aufgrund der erzwungenen Landung eines Ryanair-Jets den Transit von Waren aus Deutschland nach Russland und nach China über das Territorium der Republik einzuschränken, erklärte der Pressesekretär des russischen Präsidenten Dmitrij Peskow, dass eine Einschränkung des Warentransits durch Weißrussland die Export- und Importketten zerstören könne, Fragen einer Minimierung potenzieller Konsequenzen solcher Entscheidungen aber durch die Regierung erörtert würden.